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Ich freue mich Uber Spanien!
Über den vielen unerfreulichen Geschehnissen, die uns die Stadt- und Weltchronik von heute, die Medien, zutragen, neigen deren Redakteure dazu, uns auch Angenehmes so zu servieren, daß uns wenig bewußt wird, daß wir uns über es freuen dürfen. So über Spanien in den letzten Tagen und Wochen.
Über den vielen unerfreulichen Geschehnissen, die uns die Stadt- und Weltchronik von heute, die Medien, zutragen, neigen deren Redakteure dazu, uns auch Angenehmes so zu servieren, daß uns wenig bewußt wird, daß wir uns über es freuen dürfen. So über Spanien in den letzten Tagen und Wochen.
Man bedenke:
Da hat es dort vor vierzig Jahren einen Bürgerkrieg gegeben, der volle drei Jahre gedauert hat. Das ganze Volk hat gegeneinander gekämpft — eine Hälfte gegen die andere, das Heer der einen gegen das Heer der anderen Hälfte. Und weil dabei ausländische Mächte die Gelegenheit benützten, um eine Art Generalprobe, ihrer neuen Kampfmethoden und Waffen für den Zweiten Weltkrieg abzuhalten, wurde dieser Bürgerkrieg ärger erlitten als irgendein anderer zuvor.
Worum damals gekämpft wurde,ist schwer in wenigen Sätzen zu sagen. Was immer es von den Beteiligten oder ihren Sprechern genannt wurde — es traf nicht oder nur zum Teil zu. Es war kein Krieg gegen den Faschismus und auch nicht gegen den Kommunismus, weil sowohl die Faschisten als auch die Kommunisten zu Beginn des Krieges die an Zahl und Einfluß kleinsten Gruppen auf beiden Seiten waren. Weit stärker waren auf der einen Seite um die Bewahrung überkommener Werte bemühte Traditionalisten vertreten, um ihre Kirchen und ihren Glauben besorgte Katholiken, über den Fall der Monarchie erbitterte carlistische Gebirgsbauern von Na-varra, Adelige die auf den von ihren Ahnen in vielen Schlachten um und für Spanien erkämpften Privilegien und Besitztümern beharrten, ein patriotischer Offiziersstand, durch Jahrhunderte dazu erzogen, einzuspringen und den Bestand des Landes zu sichern, wenn die Herrscher — ob Könige, ob Ministerpräsidenten — darin versagt hatten. Auf der anderen Seite kämpften Sozialisten, Anarchisten, Syndikalisten, katalanische und baskische Nationalisten, liberale und republikanische Bürger, Anhänger der säkularisierten Schul- und Volksbildung, landarme Bauern, Kommunisten, dissi-dente Kommunisten, Fabriksarbeiter, aber auch kleine Gewerbetreibende und Handwerker. Auf beiden Seiten waren ungefähr gleich viel Akademiker und Künstler zu finden. Wie in allen spanischen Bürgerkriegen, wurde auch in diesem voll des leidenschaftlichen Hasses gekämpft,der einem Krieg um Religion und Ideale eigen ist. Ich weiß mir außer den Juden kein Volk, das so sehr hierfür zu kämpfen und zu sterben bereit ist, wie das Volk des Don Quijote. Das Töten fällt den Juden schwerer. So war die Zahl der Opfer gräßlich hoch — nicht weniger als 500.000 und nicht mehr als eine Million Tote. Oft wurden an den Fronten keine Gefangenen gemacht. Es gab aber auch Lynchjustiz in den Dörfern und Städten, Massenhinrichtungen von politischen Zivilgefangenen, darunter von solchen, die an ihren Händen als Arbeiter und solchen, die daran als Nichtarbeiter erkannt wurden. Nach Beendigung des Krieges verurteilten „fliegende“ Kriegsgerichte der Frankisten tausende Funktionäre und Militärs der besiegten Republikaner zum Tode, zehntausende zu Freiheitsstrafen bis zu „dreißig Jahren und einem Tag“. An die 100.000 Republikaner flüchteten ins Exil — vielleicht die schwerste Strafe für einen Spanier. Ein Drittel von ihnen ist dort verdorben, gestorben, ein Drittel kehrte ins Land zurück, viele von ihnen noch zu einer Zeit, in der sie Verfolgung und Repressalien erwarten mußten.Die längste Zeit dieser seit dem Ende des Krieges vergangenen 37 Jahre hat es zwei Spanien gegeben: das der Sieger und das der Besiegten. Beide haben einander weiter gehaßt; die Sieger die Besiegten ein bißchen mehr, und das vielleicht am allermeisten dafür, daß es den Bürgerkrieg überhaupt gegeben und daß sie ihnen den Sieg so schwer gemacht hatten. Daher auch keinerlei Verachtung: man verachtet nicht jemanden, mit dem man drei Jahre lang auf Leben und Tod kämpfen mußte. All dies möge bedacht sein.
Und da erlebt man nun in den jüngsten Tagen und Wochen, daß streikende demonstrierende Arbeiter in geordneten Kolonnen durch die Straßen Madrids und anderer Städte ziehen. Keine von den früheren illegalen Demonstrationen, die von der Polizei auseinandergeschlagen wurden. Die Polizisten sind auch jetzt da, in langem Spalier an den Straßenrändern, und sehen unbewegten Gesichts auf die Demonstranten, die sie mit dem traditionellen Gruß der Antifaschisten der dreißiger Jahre, mit der erhobenen Faust, grüßen. Ich selbst-habe nie viel für diesen Gruß übrig gehabt, obwohl er derjenige meiner Seite gewesen ist. Ich empfand es als quer, daß das Symbol allen Hasses die geballte Faust, ein Gruß sein sollte, damit der Haß zur Gewohnheit gemacht und so verewigt werde. Heute bin ich froh, daß die Grüßerei nach 1945 in Österreich nicht wieder in Mode gekommen ist.
Dennoch glaube ich zu verstehen, was es den spanischen Besiegten von gestern bedeuten muß, wenn sie dieses Symbol der Sache, für die sie oder ihre Väter und eine Hälfte des spanischen Volkes gekämpft haben, heute den Siegern vorweisen können. Das insbesondere bei Spaniern: nimm ihnen ihren Stolz, und sie sind keine Spanier mehr! Gib ihnen den Stolz zurück, und sie sind es wieder: Spanier, wie alle anderen, unter allen anderen. Denen man einräumt,für das, woran sie glauben, kämpfen zu dürfen und die man nicht wie räudige Hunde hetzt und jagt.
Möge kein Irrtum aufkommen; was heute in Spanien an solchem und noch viel Wichtigerem vor sich geht: die Umstellung des franki-stischen Staates auf eine Demokratie, wurde nicht durch die Opposition erreicht, und schon gar nicht durch die Terroristen der ETA. Die jetzige innenpolitische Öffnung ist, wenn auch die wichtigste, so doch nur eine aus einer ganzen Reihe, die schon seit Jahren von Männern, die das Franco-Regime hervorgebracht hat, konzipiert, programmiert und öffentlich propagiert wurde. Vorangingen die Öffnungen nach Außen, in der Planung einer modernen Wirtschaft — und der damit verbundenen Sozialstruktur, und Öffnungen auch für die Freiheit der Presse und des Verlagswesens. Fraga Iribarne, in dessen Hände nun diese größte Aufgabe eines Politikers in der neuzeitlichen Geschichte Spaniens gelegt ist, war an deren Konzeption und Durchführung ebenso wie an denjenigen der vorhergegangenen Aperturas beteiligt. Als er 1962 von Franco zum Informationsminister ernannt wurde, wußte Franco, daß der für ihn nicht so neue Mann den Entwurf für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Presse- und Verlagsfreiheit als ersten Akt seines neuen Amtes mitmitbrachte. Davon zu wissen, ist heute wichtig, um alte in Europa, und insbesondere bei der Linken vorhandene Klischees über das Regime Francos zu überwinden.
So möge es auch keinen Irrtum über die politische Anatomie der jetzt in Spanien vor sich gehenden gewerkschaftlichen Aktionen geben. Bereits im Jahre 1966 hat es dort in den wichtigsten Branchen 450 Streiks gegeben, die 1970 auf das Vierfache, auf 1800, anwuchsen. Derlei kam nicht einfach zustande, weil es die Arbeiter, und auch nicht, weil es die Regierung beschlossen oder weil diese gar die Streiks begrüßt hätte. Alldem gingen Diskussionen auf allen Seiten und in aller Öffentlichkeit voraus und ernsthafte sozialwissenschaftliche Erforschung von Zuständen. Damit gelangte man zu Erkenntnissen von Notwendigkeiten. So etwa, den Arbeitern eine bessere Chance zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu geben, indem man mangels politischer und damit legistischer Voraussetzungen
schlichtweg „ignorierte“, daß die in den Betrieben selbstgewählten „Avbeiterkommissionen“ zwar illegal, aber für die Vermeidung von Konflikten und Betriebsstillegungen wirksamer waren als die zwar „systemimmanenten“ oder konformen, ständischen, vertikalen Syndikate mit ihrer von den Betrieben weit entfernten Sozialbürokratie.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen, die alle eine neutral wichtige Erkenntnis vermitteln: die Erkenntnis der grundsätzlichen Bereitschaft und Fähigkeit des frankistischen Regimes, sich auch durch außerhalb seiner Doktrinen und seines politischen Aufbaus liegende Maßnahmen und Methoden zu reformieren. Gewiß ist das nicht ohne Kämpfe und Rückfälle und zeitweise Ausschaltungen der Reformer und Protagonisten vor sich gegangen; es verlor jedoch bereits seit den sechziger Jahren immer mehr an Gefährlichkeit und Permanenz durch Presse- und Informationsfreiheit.
Man vergleiche das mit dem Immobilismus kommunistischer Diktaturen, denen, wie etwa in der CSSR, die Demoralisierung nahezu der gesamten Arbeitnehmerschaft durch „Selbsthilfe“ lieber ist als eine Reform der offiziellen, aber weitgehend nur fiktiv wirksamen Ökonomie.
Daa Regime Franco hat seine Fähigkeit, sich zu reformieren, auch durch Veränderungen an der Sozial- und Wirtschaftsstruktur bewiesen und dieser die Basis uralter und auch von der Republik ungelöster Probleme entzogen. Somit können die spanischen Linken heute vielfach nicht mehr damit rechnen, bei einem Comeback nachholen zu können, was sie zur Zeit ihrer Regierung versäumt haben. Nichtsdestoweniger beweisen die schon jetzt zwischen den in den Vordergrund getretenen Liberalen in der Regierung und den Führern der demokratischen Opposition auf einander wirkenden Impulse (zum Beispiel das Aufhören des ETA-Terrors ebenso wie die Bewilligung der Forderungen von Streikenden), daß es den Linken bei einem Comeback nicht an Aufgaben mangeln wird. Ein Grund mehr, daß Spanien heute zu den wenigen Gegenden gehört, über die wir uns nicht nur als Besucher der Costa Brava freuen dürfen.
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