6808774-1972_22_07.jpg
Digital In Arbeit

„Ich habe von der Macht genug”

19451960198020002020

Wohl keiner, der am 25. Mai 1892 an der Wiege des kleinen Josip Broz im kroatischen Kumrovec gestanden war, dürfte damals auch nur den leisesten Anhauch der Geschichte verspürt haben, in welcher der soeben geborene Sohn eines kroatischen Vaters und einer slowenischen Mutter eine so hervorragende Rolle noch spielen sollte. Und es dauerte lange, ehe dieser Josip Broz, der erst viel später unter seinem nom de guerre Tito bekannt wurde, aus dem Dunkel der Geschichte hervortrat.

19451960198020002020

Wohl keiner, der am 25. Mai 1892 an der Wiege des kleinen Josip Broz im kroatischen Kumrovec gestanden war, dürfte damals auch nur den leisesten Anhauch der Geschichte verspürt haben, in welcher der soeben geborene Sohn eines kroatischen Vaters und einer slowenischen Mutter eine so hervorragende Rolle noch spielen sollte. Und es dauerte lange, ehe dieser Josip Broz, der erst viel später unter seinem nom de guerre Tito bekannt wurde, aus dem Dunkel der Geschichte hervortrat.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie bei so vielen historischen Gestalten des Kommunismus gibt es über Titos Werdegang verschiedene und zumeist ungesicherte Versionen. Josip Broz, soviel weiß man sicher, kämpfte im Ersten Weltkrieg als Unteroffizierscharge in der österei-chisch-ungarischen Armee und wurde 1915, schwer verwundet, von den Russen gefangengenommen. Er suchte und fand Anschluß an die revolutionären Bolschewiki, blieb bis 1920 bei diesen, heiratete auch und kehrte dann nach Jugoslawien zurück, wo er als Metallarbeiter arbeitete und eine aktive Rolle in der Gewerkschaft spielte. 1928 wurde er verhaftet und zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt (sein Sohn aus erster Ehe, Zjarko, wurde 1929 nach Rußland geschmuggelt). 1934 wurde er entlassen und nahm seine Tätigkeit für die KPJ wieder auf. Cyrus L. Sulzberger, Neffe des berühmten Herausgebers der „New York Times” und deren führeilder Kriegskorrespondent im Zweiten Weltkrieg, berichtet, Tito habe ihm versichert, niemals zwischen 1920 und 1944 in der Sowjetunion gewesen zu sein; das war in Moskau, im April 1945. Doch im April 1959 veröffentlichte das jugoslawische Politmagazin „Kommunist” einige Erinnerungen Titos. Eine davon beginnt mit den Worten: „Im Jänner 1937 traf ich in Moskau ein, wo mich die Komintern ersuchte, die jugoslawischen Angelegenheiten zu vertreten.”

Weithin sichtbar ging Titos Stern am 29. November 1943 in der von seinen Partisanen eroberten bosnischen Stadt Jajce auf. Dort proklamierte der „2. Kongreß der Antifaschistischen Volksbefreiung” die Prinzipien einer zukünftigen (kommunistischen) Verfassung Jugoslawiens und dessen Selbständigkeit.

Das ärgerte Moskau, insbesondere aber Stalin. Denn die Sowjetunion hatte sich mit Churchill, dem Roose-velt zuvor „die Kontrolle der anglo-amerikanischen Interessen in Osteuropa” eingeräumt hatte, dahin arrangiert, daß sowohl der Beitrag zur Befreiung des Landes als auch der Einfluß der Alliierten im Verhältnis von 50:50 aufgeteilt werden sollte (die „Formel” stammte von Churchill). Die Russen zählten jedoch die Leistungen der Tito-Partisanen zu ihrem eigenen Beitrag — und sie hatten die Absicht, diese ihnen, wie sie hofften, ergebene Streitmacht nach Beendigung des Kampfes ebenfalls für ihre Interessen einzusetzen. Die ärgerliche „Unabhängigkeitserklärung” drohte jedoch das Spiel zu verderben. Grimmig notierte schon damals einer der engsten Gefährten Titos, der später in Ungnade gefallene Djilas: „Allmählich, heimtückisch und allseitig begannen die Sowjets von allem Anfang an auf jede mögliche Art die jugoslawische Revolution herabzuwürdigen, um sie gleichzeitig für sich als Einflußsphäre auszunützen und in Schranken halten zu können, damit sie sich nicht entwickle und ihren Anteil am allgemeinen Kampf für den Sozialismus leiste und dessen Horizont erweitere.”

In der Tat begann mit Tito in Jajce zweierlei: Einerseits eine kommunistische Einigung Jugoslawiens jnter alljugoslawisch-nationalem Vorzeichen und außerdem das, was man später „Antlstahnismus” nannte, der von Tito als eine Art „kommunistischer Protestantismus” entwickelt wurde. Dieser „Titoismus”, für Moskau eine glatte Häresie, machte und macht auch dem nachstalinistischen Kommunismus viel und schwer zu schaffen.

Unterdessen aber führte Tito, materiell unterstützt hauptsächlich von den Briten, welche von dem „Königspartisan” Mihailovic gänzlich zu ihm umgeschwenkt waren, einen mörderischen Vielfronten-krieg: gegen die Deutschen und gegen die Italiener, deren ebenso dumme wie arrogante Politik auch brutal genug war, um im Volke immer günstigere Voraussetzungen für Tito zu schaffen; gegen die faschistischen kroatischen Ustaschi und gegen Mihailovic Tschetnikis und gegen noch viele andere Gruppen. Die Geschichte der Völker Jugoslawiens gleicht seit jeher einem blutigen. Bericht. Doch diese Jahre übertrafen alles, was jemals vorher gewesen war. Als Tito Ende 1944 der wahre Herrscher in ganz Jugoslawien war, herrschte er über ein weißgeblutetes Land, in dessen zerstörten Dörfern und Städten häufig mehr frische Gräber standen als es noch Einwohner gab.

1948 verdammte er die Sowjetunion und diese ihn. Jetzt erst begann sein eigentliches Spiel um das Land. Es war, wie alles, was Tito je gespielt hat, ein gefährliches Spiel mit hohem Einsatz. Wohl war das Land zu erschöpft und der bürgerliche und bäuerliche Widerstand gegen den Kommunismus so gut wie gebrochen, wohl waren die nationalen, kulturellen und religiösen Konflikte, die das Land auch diesmal, diesmal sogar ganz besonders erschüttert hatten, so gut wie erloschen (dafür sorgte schon die großserbische Staatsbürokratie und der später verbannte Geheimdienstchef Rankovic — er lebt jetzt unter Hausarrest teils in Belgrad teils an der Adria) — aber immer noch gab es viele „potentielle Feinde” ringsum, nicht zuletzt auch moskautreue Kommunisten. Außenpolitisch schien Jugoslawien isoliert, wirtschaftlich trieb es einem Desaster entgegen, das vor allem die genossenschaftliche „sozialistische Selbstverwaltung” und die „sozialistische Marktwirtschaft” von einer Krise in die andere jagte.

Tito hat das alles dank seiner unglaublichen Schläue und Energie überstanden, ebenso aber dank jener weltpolitischen Konstellation, die ihn, nachdem die große Kriegsallianz zerbröckelt war,' einen anhaltenden Zustrom westlicher Hilfe — vor allem aus den USA — sicherte. Der unbekannte kaiserlich-königliche Unteroffizier des Ersten Weltkrieges war mittlerweile Ministerpräsident, dann Staatspräsident und außerdem Marschall Jugoslawiens geworden. Ein Symbol in aller Welt, von den einen geliebt, von anderen gefürchtet, geachtet und von vielen auch gehaßt. Seinen Staat manövrierte er in das machtpolitische Niemandsland der Blockfreien und hielt ihn auch nach der ersten Aussöhnung mit der Sowjetunion, zu welcher Chruschtschow viel beigetragen hat, mit einigen geringen Korrekturen auf diesem Kurs. Wirtschaftshilfen und Wirtschaftsreform bannten zwar die offenkundige Dauerkrise nicht (heute ist Jugoslawien das Land der höchsten Inflationsund Arbeitslosenrate in Europa!), vermochte aber dennoch, ihm den Ruf einer Art „Schweiz des Ostens” einzutragen und dieser Ruf verfehlte weder seine Wirkung auf andere Staaten im Ostblock, noch seinen Eindruck auf die argwöhnischen Russen. Denn daß der „Titoismus”, wenn auch von Tito dazu nicht benützt, am Anbruch des „Prager Frühlings”' (und im Lichte der Erfahrungen, die Rußland mit Ihm gemacht hatte, auch an dessen Ende) seinen Anteil hatte, ebenso wie an gewissen Entwicklungen und Ereignissen in Ungarn, Polen und Rumänien, das ist unbestreitbar.

Was Tito nicht gelang, war die Einschläferung eines „nationalen

Erbgutes”, das seinen Vielvölkerstaat lange über den Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie hinaus immer noch beschäftigt. Da halfen auch nicht Dezentralisierungen, Autonomismus und offenkundige erste „Demokratisierungen” des Systems. Zeitweise schien „die Par-i tei” bereits so gut wie von der Bild-: fläche zu verschwinden. Aber genährt von innen und von außen — 1 von außen nicht nur aus Emigrantenkreisen, sondern, wie manche Jugoslawen fest behaupten, auch von der Sowjetunion — wuchs hier neuerlich eine systembedrohende , Gefahr heran.

: Tito weiß, wie sehr und worauf er '. achtzugeben hat. Er unternahm wei-! tere Entspannungsaktionen mit der • Sowjetunion, die im allerdings eher i frostigen Breschnjew-Besuch gipfel-; ten und er zahlte für die „maßvolle

Annäherung” Moskaus mit einer strengen „ideologischen Straffung” seines Staates. 1200 Parteifunktionäre wurden zuletzt „gesäubert”, einige verhaftet, manchen eben noch Prominenten steht nun der Prozeß bevor. Das galt und gilt nicht nur den aufmüpfigen Kroaten, das richtet sich nach den Worten des Sekretärs des Exekutionskomitees der KPJ, Dolanc, auch gegen die „großserbischen, hegemonistischen und chauvinistischen Kräfte”, über welche sich dieser kürzlich ebenso beschwerte wie er sich darüber empörte, „daß die neostalinistischen Kräfte sich so benehmen, als habe ihre Stunde wieder geschlagen”. Wer das Parteivokabular kennt und zu deuten weiß, versteht auch die Lage in welcher Tito sich — immer noch! — befindet.

Er dachte wohl vor einem Jahr, durch die jüngsten Reformen auch so etwas wie sein Testament in Kraft gesetzt zu haben. Damals, im Sommer 1971, bekannte er einem westlichen Journalisten: „Ich habe von der Macht genug.” Es gäbe, so fügte

• er hinzu, trotz allem anderen : Anschein „keine wirklich ernste Ge-; fahr im Inneren”, doch „auf die i Gefahren von außen” müsse man . achten.

Diese äußeren Gefahren sucht Tito i wie kein zweiter Staatsmann außer-

■ halb des Warschau-Paktes durch in-. tensive Werbung für eine Euro-. päische Sicherheitskonferenz zu bannen. Ihm geht es dabei nicht nur um Zentraleuropa, sondern mehr noch

, um die „Verdünnung des Militärpotentials”, wie sein Ministerpräsident Bijedic das kürzlich um-' schrieb, „auf dem Balkan und im ; Mittelmeer”, wo ja die Nahostkrise mit hereinspielt. Er weiß, solange

• hier ^neuralgische Punkte” etabliert

■ sind, wird Rußlands Interesse an der f Adria (und das führt über Jugo-r slawien) nicht erlahmen und durch - das gleichermaßen vorhandene ! Interesse der USA und deren Verbündeten am Status quo nur noch verstärkt werden.

Tito, der niemals ein Utopist war, braucht zuletzt eine verbürgte Sicherheit vor gesagten oder insge-heimen Doktrinen, die sein Experiment ganz plötzlich beenden oder doch in Frage stellen könnten. Er möchte nicht mehr kämpfen müssen.

Seine ganzes Leben bestand aus Kämpfen, keinem ist er ausgewichen, viele hat er selbst gesucht, alle hat er bisher überstanden. Darüber wurde er zum Symbol eines Mannes, der Geschichte machte und durch diese schwankt sein Charakterbild wie nur je eines „von der Parteien Gunst und Haß verzerrt”. Doch ob Haß, ob Gunst, in einem Punkte herrscht die Übereinstimmung: „Solange Tito lebt, wird in Jugoslawien nichts passieren!” In Titos Staat hört sich das oft wie die Beschwörung einer absoluten und letzten Autorität an.

Doch niemand weiß Antwort auf die andere Frage: „Und was kommt dann?''' Ob sie der am 25. Mai achtzig Jahre alte Marschall geben könnte?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung