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Ich heiße Alois

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Nur der sogenannte Träger eines Namens kann abschätzen und ermessen, was dieser sein Name wirklich „bedeutet”. Und mancher Namensträger trägt durchaus schwer an seinem Namen. Was mich betrifft, so weiß ich, was ich am Namen Alois habe...

Ich kenne sämtliche Möglichkeiten der Verkleinerung, aber auch der Vergröberung, des „Diminutiven” und des „Augmentativen”, um es sprachwissenschaftlich zu sagen. Da ich lange Zeit als Kind den Eindruck erweckte, als ob ich ungewöhnlich klein bleiben möchte und „Angst vor der Größe” hätte, um es schließlich doch zu einer gewöhnlichen Kleinheit zu bringen, sind mir vor allem die verniedlichenden Koseformen des Namens vertraut. In Wolf Wondratscheks Buch „Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will” lese ich die Kurzformel eines „Entwicklungsromans”: Elfi / Friedel/ Frieda. Mein Entwicklungsroman lautete: Loisi / Loisl / Alois. So wurde ich erwachsen.

Da ich nach meinem Studium in Wien nach Deutschland, und zwar ins Saarland kam, sind mir nun nicht nur die oberdeutschen, die bairisch-österreichischen Varianten geläufig, sondern auch die mitteldeutschen, die rhein- und moselfränkischen, durchaus vertraut: Alwis und Luis. Ich weiß darüber hinaus auch, worauf sich die einzelnen Namensformen reimen und welche komischen phonetischen Nachbarn sie haben, pro- und evozieren, das heißt zwanghaft „hervorrufen”. Als Kind habe ich mir oft den unsinnigen Spottvers anhören müssen: Lois, nimm de Bixn und schoiß!, ins Hochdeutsche transkribiert: Alois, nimm die Büchse und schieße! Der ganze Spott lag dabei im Reizwort „schoiß”, das in der regulären Mundart der Erwachsenen eigentlich „schiaß” hätte heißen müssen. Um des Reimes und um der Neckerei willen aber hieß es „schoiß”. Ich hätte schießen und Amoklaufen können, wenn ich den Satz hörte.

Als Träger eines Namens sieht man sich nach Mitmenschen um, die mit demselben Namen gesegnet oder geschlagen sind. In meinem Fall war das vor allem ein

Kleinhäusler in unserer Nachbarschaft, der im Ruf und Ruch des totalen Analphabetentums stand. Er war gewissermaßen der letzte amtlich anerkannte Schreib- und Leseignorant, der mit drei Kreuzchen unterschreiben durfte. Von ihm hieß es, er könne nicht einmal seinen Namen Alois schreiben. Das also war die höchste oder tiefste Stufe der Unverbildetheit. Mir erschien jener Alois immer wie ein letzter Ureinwohner und als eine durchaus nicht verächtliche Ausnahmeerscheinung.

Und war das literarische Unvermögen vielleicht ein Makel, so kompensierte er diesen durch Fähigkeiten auf anderen Gebieten. Noch im Alter galt er als wieselflink. Er hatte in seinem Hausoder Vulgarnamen nicht umsonst die Bezeichnung eines schnellen Wildtieres. Nomen est omen. So erwischte er oft auch eins der Kinder, die ihn hänselten, oder müßte ich sagen: loiselten. Aus aloisiani-scher Solidarität und auch wegen meiner kurzen Beine beteiligte' ich mich selbst aber nie an solchen Spöttereien.

Alois aber hieß nun nicht nur der ungebildete und „unbeleckte”

Kleinhäusler, sondern auch unser Herr Pfarrer, der nicht nur Deutsch, sondern auch Latein, Griechisch und Hebräisch konnte. Nicht nur einmal bekam ich von dem geistlichen Herrn zum 21. Juni, dem Namenstag, ein Heiligenbildchen mit dem Bild unseres gemeinsamen Namens- und Schutzpatrons, des heiligen Aloysius. Die Volksfrömmigkeit hat Luigi Gonzaga leider bis zur Unkenntlichkeit sentimejQialisiert. In Wahrheit ist dieser älteste Sohn und Erbprinz des Markgrafen Ferrante Gonzaga von Castiglio-ne eine großartige Gestalt des 16. Jahrhunderts, dessen heroisches Leben zu studieren nicht nur das Herz jedes wahren Aloysius erfreuen könnte.

Ich habe mich in den letzten sechsundvierzig Jahren so sehr an meinen merkwürdigen Namen gewöhnt, daß ich inzwischen mit ihm völlig einverstanden und versöhnt bin. Ich würde heute mit keinem anderen tauschen mögen, keinem Uwe oder Sascha oder Sven oder wie die heute beliebten Taufnamen lauten mögen.

Gerade die Unbeliebtheit macht mir meinen Namen inzwischen sympathisch. In den Regalen jener Kaufhäuser, die Tassen mit Namensbeschriftung anbieten, fehlt die Alois-Tasse entweder von Haus aus, oder sie bleibt, wenn sie vorhanden ist, lange als unverkäuflich und verschmäht stehen. Einer muß der Alois sein, auch im Heimatfilm. Der einst so gewöhnliche Name Alois ist auf dem besten Wege, ungewöhnlich zu werden. Man kann ihn bereits mit Stolz tragen.

Alois ist so etwas wie ein Aussteiger in der heutigen Öde der Nomenklatur, ein Exote und Individualist unter den Uniformierten. Ich habe selbst zu dieser Singularität insofern beigetragen, als ich keinen meiner beiden Söhne auf den Namen Alois taufen ließ, wie es sonst bei den Bauern Brauch ist. So wie mein Vater, der Martin hieß, keinen von uns Brüdern auf seinen Vornamen, den er immer sehr lächerlich fand, taufen hatte lassen. Wenn er sehen könnte, wie es heute von Martins wimmelt!

Es macht mir auch nichts mehr aus, daß es unter den großen Kaisern und Königen der Geschichte keine Aloise gibt, auch nicht unter den Päpsten, soweit ich sehe. Freiwillig hat diesen Namen noch keiner auf sich genommen. Mir soll er recht sein.

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