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„Ich hörte ihre Schritte hinter mir...“

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Am 18. April veröffentlichte die FURCHE unter dem Titel „Protokoll meiner Verfolgung“ den erschütternden Bericht des CSSR-Schriftstellers und Charta-77-Unterzeichners Vaclav Havel. Für uns ließ sich damals nur der Schluß ziehen, daß Menschenrechte in der &SSR für Andersdenkende nicht existieren und daß die Willkür des Staates auch auf die Angst zurückzuführen ist, die das kommunistische Regime in Prag vor diesen Andersdenkenden haben muß. Auf Umwegen erreichte uns nun das zweite Protokoll, das Havel über seinen Hausarrest aufgezeichnet hat. Geschrieben hat der Schriftsteller diesen Bericht am 23. April in Hradecek.

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Am 18. April veröffentlichte die FURCHE unter dem Titel „Protokoll meiner Verfolgung“ den erschütternden Bericht des CSSR-Schriftstellers und Charta-77-Unterzeichners Vaclav Havel. Für uns ließ sich damals nur der Schluß ziehen, daß Menschenrechte in der &SSR für Andersdenkende nicht existieren und daß die Willkür des Staates auch auf die Angst zurückzuführen ist, die das kommunistische Regime in Prag vor diesen Andersdenkenden haben muß. Auf Umwegen erreichte uns nun das zweite Protokoll, das Havel über seinen Hausarrest aufgezeichnet hat. Geschrieben hat der Schriftsteller diesen Bericht am 23. April in Hradecek.

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Die Bedingungen des Hausarrestes in meinem Landhaus bei Vlcice haben sich seit dem ersten Bericht vom 6. Jänner dieses Jahres nicht wesentlich verändert. Zwei uniformierte Angehörige der Staatspolizei beobachten jeden Tag von 8 bis 17 Uhr von ihrem Wachhäuschen aus mein Haus. Sie lassen niemanden herein, und mich lassen sie nur hinaus, wenn ich einkaufen oder mit dem Hund spazieren gehen will. Dabei folgt mir dann einer der Staatspolizisten auf Schritt und Tritt.

Manchmal lassen sie mich - wahrscheinlich auf Grund eines Befehles von oben - ihre Macht spüren. Folgendes ist zum Beispiel in letzter Zeit passiert:

Unbekannte Täter beschädigten die Windschutzscheibe meines Wagens. Meine Bewacher nahmen mir daraufhin wegen der dadurch verursachten Sichtbeeinträchtigung den technischen Berechtigungsschein ab. Nach langwierigen Verhandlungen bekam ich die Erlaubnis, in die Reparaturwerkstätte nach Ceske“ Skalice zu fahren - selbstverständlich in Begleitung meiner Bewacher.

In der Werkstätte wurde meine Bestellung aufgenommen. Man versprach mir, innerhalb einer Stunde den Schaden zu beheben, da genügend Windschutzscheiben lagernd seien. Als ich jedoch nach einer Stunde wiederkam, traf ich einen äußerst verlegenen Mechaniker. Er brachte mich zum Leiter der Werkstätte, der mir - ebenfalls verlegen -mitteilte, daß von höherer Stelle verboten worden sei, das Glas auszuwechseln. Ich fragte ihn, ob es die Polizei gewesen sei. Da bat er mich, keine derartigen Fragen zu stellen. Ich müsse verstehen, daß er mir nicht antworten könne und ich solle mir bewußt werden, wo ich lebe.

Meine Bestellung wurde storniert. Es kam aber die Empfehlung, nach Chrudim zu fahren und dort eine Windschutzscheibe zu kaufen. Die Werkstätte wäre aber bereit, die neue Windschutzscheibe einzusetzen. Der Vorfall sprach sich schnell unter Angestellten sowie Kunden herum und erregte - soweit ich von mehreren Seiten gehört habe - Aufsehen im ganzen Bezirk.

Nach einer einstündigen Wartezeit wurde mir die Fahrt nach Chrudim erlaubt und zu meinem Erstaunen erhielt ich dort auch die Windschutzscheibe. (Allerdings hatte ich zuerst mit dem Leiter telefoniert und mir von ihm sein Ehrenwort geben lassen, daß er mir die Scheibe dann auch wirklich verkaufe.)

Ich brachte die Windschutzscheibe nachhause, und ein Freund aus Trut-nov setzte sie ein. Eine Woche später wurde ihm der technische Berechtigungsschein und der Führerschein abgenommen, außerdem lockerten unbekannte Täter die Schrauben an den Vorderrädern seines Wagens.

Nach der Reparatur und einer technischen Überprüfung meines Autos wurde ich zu einer weiteren Prüfung eingeladen. Ich erreichte bei diesem Test die maximale Punkteanzahl und der Führerschein wurde mir nicht abgenommen. Das geschah, nachdem der Schnee getaut und es offensichtlich war, daß ich das Auto öfter benützen würde. Kurz darauf wollte ich einkaufen fahren. Kaum war ich aus der Garage heraus, führten die Staatssicherheitsangehörigen eine gründliche technische Uberprüfung meines Wagens durch - was sie übrigens alle paar Augenblicke tun.

Trotz verbissener Anstrengung fanden sie aber keine Mängel. Mit ihrem Funkgerät meldeten sie dann der Zentrale, daß es ihnen nicht gelungen sei, mir den technischen Berechtigungsschein abzunehmen. Wenig später nahmen sie mir dann unter einem lächerlichen Vorwand den Führerschein ab. Ich wußte ohnehin, daß sie den Befehl dazu hatten.

Bei solchen und ähnlichen Vorfällen entfalteten die Staatssicherheitsangehörigen Dvorak und No-votny besondere Aktivitäten. Zu der Zeit, als mich noch meine Freunde besuchen durften, bekamen sie bei, jeder Kontrolle eine Geldstrafe auferlegt, wenn ihnen nicht der technische Berechtigungsschein abgenommen wurde.

Eine weitere Aktion gegen mich führten unbekannte Täter aus Trutnov durch: Sie warfen eine größere Menge Zucker in den Tank meines Wagens, worauf ich 1000 Kronen für Reparaturkosten auszulegen hatte. Bemerkenswert ist, daß dies zu einem Zeitpunkt passierte, da mein Auto unter der ständigen Bewachung der Staatspolizei stand.

Diese einzelnen Vorgänge drücken natürlich nicht die gesamte Atmosphäre aus, in der ich seit Monaten lebe. Wenn ich über das Motiv nachdenke, das hinter all dem steckt, glaube ich, daß es nichts anderes als das Bestreben sein kann, mich nervlich fertigzumachen. Vielleicht steckt auch die Hoffnung dahinter, daß ich mich schließlich doch entschließe, außer Landes zu gehen.

Es wurde mir schon in mehreren Verhören mitgeteilt, daß ich den Ausreisepaß innerhalb von 24 Stunden haben könnte. Zudem entstand in Prag das Gerücht, daß ich auswandern würde. Ich denke aber nicht an eine Emigration. Ich habe nie in meinem Leben daran gedacht.

Ich gebe aber zu, daß alle diese Kleinigkeiten - die ständige Anwesenheit der Staatspolizei unter meinen Fenstern, die permanente Un-gewissheit, was sie sich wohl morgen wieder gegen mich ausdenken werden, die bedingungslose Erschwerung jeder lebensnotwendigen Kleinigkeit und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, in sich jede natürliche Reaktion zu unterdrük-ken, ihnen wenigstens das zu sagen, was ich über sie denke - sich auf meine Nerven nicht gut ausgewirkt haben.

Ich konnte mich nicht mehr auf das Schreiben konzentrieren, Depressionen überkamen mich, ich hatte Kopfschmerzen, litt an Schlaflosigkeit, spürte ein merkwürdiges Rauschen des Blutes und in meinen Träumen tauchten ständig die Gesichter meiner Bewacher auf. Ich hörte ihre Schritte hinter mir...

Kurz und gut: Ich bin kein Held, obwohl mich manche Freunde und Feuilletonisten irgendwelcher heroischer Tendenzen verdächtigen. Interessanterweise ertrug ich das alles schlechter als meine erste Haft. Ich suchte sogar in Trutnov einen Arzt auf, dem es schließlich gelang, meinen Bewacher aus der Ordination zu vertreiben. Der Arzt sagte mir dann, daß ich neurovegefative Beschwerden hätte.

Das galt allerdings nur für die ersten Monate des Hausarrestes. Nun beobachte ich immer deutlicher, daß meine Ausgeglichenheit wiederkehrt. Ich möchte es nicht verschreien, aber anscheinend werde ich doch immer sicherer, daß ihre Spaße mich nicht treffen und nichts erreichen werden. - Auch in dem Sinn nicht, daß ich mich zu einem Zugeständnis treiben ließe und auch anderseits nicht, daß sie mich zu einer unüberlegten Handlung provozieren könnten.

Ich möchte gern wiederholen, was ich in meiner ersten Nachricht gesagt habe: Es gibt in der CSSR Hunderte von Menschen, die unendlich schlechter dran sind als ich. Vor allem jene, die im Gefängnis schmachten, schwer krank sind und keine ausreichende ärztliche Versorgung erhalten.

Wenn ich über meine - Situation schreibe und an die zuständigen Behörden Beschwerden schicke, dann nicht deswegen, weil ich mein persönliches Leid für so wichtig halte, sondern weil - wie der Philosoph Jan Patocka irgendwo schreibt - der Mensch nicht nur das Recht, sondern geradezu die Pflicht hat, sich gegen die Willkür zu wehren.

Ich verstehe diese Pflicht nicht nur als Pflicht zur eigenen menschlichen Integrität, sondern auch als eine Pflicht gegenüber meinen Mitbürgern. Die Erfahrung hat mir gezeigt, daß es nichts Schlimmeres im Leben gibt, als wenn Menschen, die man schätzt, anfangen an einem zu zweifeln. Dieses Gefühl empfinde ich so intensiv, daß mich schwerlich jemand zu etwas Wesentlicherem treiben kann. - Selbst wenn ich noch so-viele neurovegetative Störungen hätte...

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