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„Ich möchte die Freude des Evangeliums zeigen"

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In seinem Geburtstagsartikel schreibt Henri de Lubac über Hans Urs von Balthasar: „Zu den Merkwürdigkeiten in der Vorgeschichte des Zweiten Vatikanums gehört es, daß offenbar niemand daran dachte, Hans Urs von Balthasar an seiner Vorbereitung zu beteiligen. Das war merkwürdig, ja, ich würde sagen, beschämend! Dennoch war es im letzten gut, ihn nicht aus seiner Arbeit herauszureißen, aus der Fortführung seines Werkes von außerordentlichen Proportionen und einer Tiefe, wie die Kirche in unserer Epoche nichts Vergleichbares kennt. Denn von diesem Werk wird auf lange Sicht die ganze Kirche ihren Nutzen ziehen." FURCH E-Mitar-beiter Gerhard Ruis führte mit Hans Urs von Balthasar aus Anlaß seines 75. Geburtstages ein Gespräch:

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In seinem Geburtstagsartikel schreibt Henri de Lubac über Hans Urs von Balthasar: „Zu den Merkwürdigkeiten in der Vorgeschichte des Zweiten Vatikanums gehört es, daß offenbar niemand daran dachte, Hans Urs von Balthasar an seiner Vorbereitung zu beteiligen. Das war merkwürdig, ja, ich würde sagen, beschämend! Dennoch war es im letzten gut, ihn nicht aus seiner Arbeit herauszureißen, aus der Fortführung seines Werkes von außerordentlichen Proportionen und einer Tiefe, wie die Kirche in unserer Epoche nichts Vergleichbares kennt. Denn von diesem Werk wird auf lange Sicht die ganze Kirche ihren Nutzen ziehen." FURCH E-Mitar-beiter Gerhard Ruis führte mit Hans Urs von Balthasar aus Anlaß seines 75. Geburtstages ein Gespräch:

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FURCHE: Wenn Sie. Hans Urs von Balthasar, ihren synthetischen Blick auf ihr eigenes Werk richten, ist es das, was sie mit ihrem monumentalen Werk ..Herrlichkeit" - eine theologische Ästhetik" geschaffen haben?

BALTHASAR: Ich wollte eigentlich nie Schriftsteller sein, sondern Diener der Kirche, der heutigen Kirche, um etwas in der Kirche, und gerade in den Kerntruppen der Kirche, im „Räteleben", in den sogenannten Säkularinstituten zu erneuern. Alles, was ich dann geschrieben habe, kreist eigentlich um diese Mitte. Mein Beitrag ist ziemlich umfänglich und vielfältig geworden, im Alter habe ich mir dann eine Art Trilo-gie ausgedacht: Ästhetik-Dramatik-Logik, beziehungsweise Theo-logie.

FURCHE: Handelt es sich hier nicht um eine moderne Form der Glaubens-hegründung? Dem neuzeitlichen Menschen erscheint das Evangelium als eine von außen anzubeweisende Auflage, ihre Theologie scheint es zu sein, daß Gott in dem von ihm selbst genährten Licht ansichtig wird.

BALTHASAR: Absolut richtig. Das ist mein zentrales Anliegen und wird es immer mehr. Das Evangelium heißt ja freudige Botschaft. Und diese größte Freude, die es in der Weltgeschichte gibt, die gilt es ins Licht zu stellen.

Wenn man heute soviel von der Be-

freiung des Menschen redet, so ist ja das Evangelium die Befreiung von dieser Auflage, von der sie gesprochen haben. Wenn Gott nicht meine Quelle ist und das Meer, in das ich münde, dann hat es ja wohl keinen Sinn, Evangelium zu verkünden. Das Evangelium muß wirklich, die tiefsten Aspirationen jeder menschlichen Seele, jeder menschlichen Religion in sich haben.

FURCHE: Fällt von ihrem theologischen Ansatz, ausgedruckt in ,,Herrlichkeit" oder ..Glaubhaft ist nur die Liebe" nicht auch Licht auf Probleme wie etwa den Pluralismus der Theologie, oder auf das Problem der reduzierten Christologien. der Katholizität. oder der Prinzipien christlicher Moral?

BALTHASAR: Wenn es viele Dogmen und Theologien gibt, dann sind sie alle insofern gültig, als sie wirklich die eine Sache, um die es geht, anvisieren und in ihrer Weise zeigen können. Sie sind Aspekte des Größeren, das in kein Wort eingeht. Denn das Wort ist ja kein „Fleisch" geworden und das Fleisch geht nicht wieder zurück in ein einzelnes Wort, sondern ist lebendiger Mensch, der als solcher den lebendigen Gott offenbart, den können wir nicht in ein paar Formeln hineinzwängen.

Das sagt nun nicht, daß zum Beispiel ein Dogma wieder eingeebnet und relativiert werden könnte. Es gibt gültige Blicke, Aspekte und Aussagen Uber

diesen Gegenstand, zumal, wenn die Kirche als ganze, als befugte solche Aussagen macht, die eigentlich immer dazu da sind, zu verhindern, daß man nur Einzelaspekte sieht. Daß man wirklich auf das Ganze schaut. Dazu sind die Dogmen überhaupt geschaffen worden.

Was endgültig zählt, das ist die Totalität der Wahrheit, die anvisiert wird. Das spezifische Gewicht der Offenbarung des Christus-Geheimnisses darf man nicht leichter machen. Man kann nicht Ballast abwerfen, wenn ein Sturm über dem Meer ist, damit die Kirche leichter durch die Zeit kommt.

FURCHE: Manche ihrer Leser glauben in Ihren letzten Publikationen einen pessimistischen Zug zu bemerken. Würden Sie das als Mißverständnis betrachten?

BALTHASAR: Ich muß sagen: ja! Das Gegenteil ist das, was ich gerne möchte: die Freude des Evangeliums zeigen. Wenn sie erlauben, würde ich sagen, daß das Wort Pessimismus wie das Wort Optimismus für den Christen nicht zutreffen, das sind Charakterzüge des Menschen.

Das Evangelium verträgt auch die Apokalypse, die Drohungen Jesu Christi gegen den Feigenbaum und was es da alles geben mag. Es gibt ernste Züge in dieser Freude, im ganzen zählt aber die Freude.

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