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„Ich sehe die Freiheit“

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“Ich will über die Grenzen gehen.“ Auch mit diesem Satz provoziert Volker Brauns “Übergangsge-sellschaft“. Das von Thomas Langhoff am Maxim-Gorki-Theater in Ost-Berlin inszenierte Stück wurde tatsächlich zum West-Berliner Theatertreffen eingeladen - und kam. Fünfzehn Minuten Fußweg hegen zwischen dem Maxim-Gor-M-Iheater und dem West-Berliner Hebbeltheater, in dem die “Übergangsgesellschaft“ während des Theatertreffensgastierte,aber fünf undzwanzig Jahre hat es gedauert, bis die DDR ihre Teilnahme an diesem “internationalen Forum des deutschsprachigenTheaters“ zusagte, sofem die Verf ahrensordnung geändert werde. Mindestens eine Inszenierung aus Österreich und der Schweiz sollen nach Berlin kommen, um jeden Verdacht kultureller Wiedervereinigung auszuräumen.

Im Jahre “25 und 1“ - wie Festivalleiter UlrichEckhardtden Übergang zur neuen Ära des Theatertreffens nannte - kamen drei der zehn zum Treffen geladenen Inszenierungen aus der DDR, eine aus Österreich und eine aus der Schweiz. Neben der “Übergangsgesellschaft“, die mit dem Wunsch nach Veränderung spielte und auch wagte, den Aufstand vom 17. Juni 1953 zu thematisieren, zeigte das Mek-klenburgische Staatstheater Schwerin den “Selbstmörder“ des Russen Nikolai Erdman. Horst Hawemaxm inszenierte das Stück “so, wie es damals (1930) verboten wurde“. Die satirische Komödie reflektiertdenZustandder sowjetischen Gesellschaft Ende der zwanziger Jahre; sie braucht keine zeitgenössische Adaption, da sie erschreckend aktuell gebheben ist.

Heiner Müllers “Lohndrücker“ hingegen, eine Gesellschaftsanalyse der DDR der fünfziger Jahre, wurde für die Inszenierung am Deutschen Theater Osfc-Berlin relativiert und aktualisiert.

Die poUtischen Absichten der sieben Produktionen aus der Bundesrepublik, aus Österreich und der Schweiz UeJßen sich dagegen nur erahnen. Thomas Bernhards “Hel denplatz“ vom Wiener Burgtheater verlor in Berlin seine politische Dimension und geriet zur Hommage an den verstorbenen Dichter, überzeugte theatralisch durch die Schauspielcrleistungen und das Bühnenbild. Die Bremer Inszenierung des “ArmenVetters“ vonEmst Barlach weckte Unverständnis, weü der Regisseur Günter Krämer den an seinem Dasein leidenden Helden dem Zuschauer nicht zugängUch machte.

Das “RiaUa Theater Hamburg war gleich zweimal beim Theatertreffen vertreten: “Rückkehr in die Wüste“ von Bemard-Marie Koltes (Regie: Alexander Lang) und “Platonow“ von Anton Tschechow (Regie: Jürgen Flimm). Lang reduzierte die Aussagen des Stücks auf die zwi-schenmenschUchen Probleme, die gleichsam maschinisierte Schauspieler in hohem Tempo abspulten. Hier siegte das KünstUche über das MenschUche. Flimm dagegen betonte im “Platonow“ das Komödiantische und Uef Gefahr, übersteigerte Gags zu produzieren.

Fem jeder Psychologisierung bUeb Heinrich Kleists “Käthchen von Heilbroim“ in der Aufführung des Basler Theaters. Der itaUenische Regisseur Cesare Lievi erzählt das Märchen im poetischen Bühnenbild seines Bruders Daniele Lievi. Doch die Präsenz der DDR läßt ims den Traum nicht weiterträumeiL Die “Übergangsgesellschaft“ bringt es auf den Punkt: “Die Gegenwart ist widerwärtig. Aber in der Feme leuchtet Licht auf, ich sehe die Freiheit“

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