6926218-1982_12_09.jpg
Digital In Arbeit

Ich sehe sie doch, die Evolution

Werbung
Werbung
Werbung

Eigentlich bin ich gar nicht „für" sie und „glaube" auch . nicht an sie; ich komme mir hier wie ein Geograph vor, den man fragt, ob er für die Berge ist und an sie glaubt. Ich sehe sie! Uberall bei den Lebewesen sehe ich nämlich Ähnlichkeiten und Zusammenhänge, die auf Verwandtschaft und Abstammung hindeuten. Nur so kann die Antwort eines Biologen lauten, der seinen eigenen Sinnen und den Fakten seiner Wissenschaft vertraut.

Denn es ist kein Zweifel möglich an der Existenz früherer, anderer Pflanzen- und Tierarten in der Erdgeschichte. Diese früheren Formen sind verschwunden (ausgestorben) oder in andere, spätere, übergegangen, wofür es manche gut belegte Fossilien-Reihe gibt.

Aus dem Bernstein, einer 40 Millionen Jahre zurückliegenden Zeit, kennen wir die Insekten der damaligen Wälder fast so gut wie die der heutigen. Und ich kann als Fachmann versichern: keine der Tausenden von damaligen Arten lebt heute noch, und doch gehören auch sie alle in den Bereich heutiger Gattungen, sind also ähnlich und - wie wir sagen — nahe verwandt.

So ist es auch bei der Ahnenreihe des Menschen: Wir kennen recht genau die Schädel früher, vormenschlicher Formen aus Zeiten, in denen es den heutigen Menschen noch nicht gab. •

Gewiß könnte man — um der Evolutionslehre zu widersprechen - annehmen, daß alle neuen Formen nacheinander von Gott aus dem Nichts erschaffen und alle alten ins Nichts zurückgenommen wurden. Aber das wäre eine Spekulation wider alle wissenschaftliche Vernunft und Erfahrung.

Eine solche völlige Neuentstehung ist nirgends im heutigen Bereich des Lebens bekannt, wie sollte es sie früher gegeben haben und warum „durfte" Gott sich nicht (wie doch die Fossilien belegen) zur Weiterführung seines Schöpfungsplanes bereits vorhandener Formen bedienen? Weil es anders im Schöpfungsbericht

steht, behaupten die „Kreationi-sten" und machen damit heute an der falschen Stelle das Vertrauen in die Naturwissenschaften unsicher, ohne damit dem echten Glauben im geringsten zu helfen.

Zwar wird in der Heiligen Schrift versichert, daß Gott ein jegliches Lebewesen nach seiner Art erschaffen habe (es kann doch auch gar nicht anders sein, wenn er der Allmächtige, Schöpfer des Himmels und der Erde ist), aber wie es bei dieser Schöpfung zuging, davon sagt die Bibel nur wenig.

Sie berichtet: Gott sprach - die Erde bringe hervor! Er bediente sich also seiner Geschöpfe des „ersten Tages" (die Erde und das Meer) — und ließ sie hervorbringen, was er zuvor im Entwurf beschlossen und im heiligen Wirken geschaffen hatte.

Nur beim Menschen wird uns Zusätzliches mitgeteilt: Gott schuf ihn aus Lehm und Geist, aus der Materie (und ihren Gesetzen) und durch den Anhauch mit seiner göttlichen Freiheit. Dies ist ein Unterschied zu den Tieren, so zeigt der Bibeltext. Aber gerade diese Freiheit des Geistes, dieses „Ich" inmitten der Zwänge des Fleisches (Lehms), anerkennt heute auch die Evolutionsbiologie als das eigentliche Wesen des Menschen.

Wo sind also die Gegensätze

zwischen biblischer Schöpfungsgeschichte und naturwissenschaftlicher Evolutionslehre, wenn man sie nicht künstlich herbeiredet? Das allerdings geschieht dort, wo man das Staunen vor dem Geschehen der Evolution (zu dem die Biologie uns führt) mit der anmaßenden „Erklärung" des Darwinismus verwechselt, nach dem nicht Gott, sondern Zufall und Notwendigkeit die Lebewesen im Zuge eines Selbstaufbaus der Materie erschaffen hätten. Um dies zu behaupten, muß man allerdings „dafür" sein und daran „glauben" — nämlich an die irrsinnige Antiweit des sich selbst erzeugenden Zufalls.

Hier bin ich dagegen und glaube nicht, hier bin ich absolut einig mit den Kreationisten, aber wie gesagt: die Evolution sehe ich, sie ist überall in der Struktur und im System der Lebewesen deutlich! Um sie zu sehen, muß man sich allerdings der Mühe unterziehen, die Fakten der wissenschaftlichen Biologie zur Kenntnis zu nehmen. Man kann auch über ein Fachproblem innerhalb einer fremden Sprache erst diskutieren, wenn man sie erlernt hat. Creatio et Scriptura (Schöpfung und Schrift) bedürfen unserer forschenden Bemühung, wenn wir in ihnen Gottes Wahrheit suchen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung