6828765-1974_26_11.jpg
Digital In Arbeit

Ideales Bruckner-Bild

19451960198020002020

Ein Wiedersehen mit Herbert von Karajan und seinen Berliner Philharmonikern im Musikverein: Es war das erste Mal in diesen vor kurzem zu Ende gegangenen Festwochen, daß drei Abende internationalen Glanz atmeten, Prominenz versammelten. Dementsprechend enthusiastisch der Begrüßungsjubel für Karajan und sein Orchester und die Ovationen am Schluß.

19451960198020002020

Ein Wiedersehen mit Herbert von Karajan und seinen Berliner Philharmonikern im Musikverein: Es war das erste Mal in diesen vor kurzem zu Ende gegangenen Festwochen, daß drei Abende internationalen Glanz atmeten, Prominenz versammelten. Dementsprechend enthusiastisch der Begrüßungsjubel für Karajan und sein Orchester und die Ovationen am Schluß.

Werbung
Werbung
Werbung

Karajan dirigierte an drei Abenden Bruckner, Mahler und Verdi: drei monumentale Werke, an denen er seine Vorliebe und Eigenarten voll akzentuiert vorführen konnte ... Seine Bruckner-Interpretationen — er dirigierte hier die „Neunte“ und das Te Deum — haben ja stets unverkennbares Format, einen ganz persönlichen Zuschnitt: eine Idealmischung aus Sachlichkeit, Entschlak-kung, natürlichen Spannungskurven und -Verhältnissen, die er in eine glatte Klangoberfläche einkleidet. Aber diese Glätte seiner Wiedergaben ist dennoch nie kalt, nie steril. Das Vitale der Auseinandersetzung mit dem Werk, die Aufbrüche im Untergrund bleiben stets spürbar.

Dieser „Neunten“ merkte man besonders an, wie tief Karajan seine Orchestermusiker in die Probleme des Werks hineingeführt hat, so daß sie es schlafwandlerisch sicher spielen. Aber daß da dennoch keinen Moment Routine spürbar wird, weil sie allesamt sehr menschlich musizieren. Und weil Karajan heute mehr als früher auch den Mut hat, Entladungen und Riesenblöcke des Blechs bis zur äußersten Grenzfe der Steigerungsmöglichkeiten zu führen, in aller Herbheit zu modellieren. Im Te Deum (Einstudierung: Helmuth Froschauer) wurde er vom Singverein und einem soliden Solistenquartett — Helen Donath, Anna Reynolds, Peter Schreier, Jose van Dam — imponierend unterstützt. Am Rande: Die Tenöre des Chors sollten allerdings präziser einsetzen, van Dam war mit seinem Solo stellenweise leicht überfordert.

Buh-Rufe gab es allerdings nach Karajans Aufführung von Mahlers V. Symphonie. Offenbar, weil ein kleiner Stehplatztrupp mit dem, was der Dirigent als Mahler-Bild entwickelte, höchst unzufrieden war. Übrigens nicht ganz zu Unrecht. Wohl ist Karajans Auffassung des Werks — verglichen mit seiner Aufführung bei den vorjährigen Salzburger Festspielen — persönlicher, intensiver geworden.

Er gestaltet die Symphonie straff, konzentriert, sorgt für stahlharte

Konturen, wild aufgebäumte Streicherpassagen, knallende Blechsalven. Und vergleicht man seine Wiedergabe mit Soltis oder Bernsteins Aufnahmen, so ist seine die klarste, überzeugendste, strahlendste. Aber ganz so strahlend ist Mahler nicht. Auch nicht so puristisch entschlackt,

so gereinigt, von allem Sentiment befreit. Die „Fünfte“ in Stromlinienform — das war nun doch etwas zu vordergründig. Vor allem dort enttäuschte die Wiedergabe, wo man das völlige Abstreifen aller Erdenschwere, traumverlorenes Dahingleiten erwartet, wie im Adagietto, oder schlicht-herzliche Musizierlust des.

Scherzos ... Dort enttäuscht der kalkulierende Artist Karajan.

Da läßt sein Mahler-Bild kalt, wirkt es unbarmherzig. Und irgendwie wird man das Gefühl nicht los, daß Karajan an die naiv-volkstümliche Frische mancher Stellen dieser Komposition einfach nicht glauben will und kann. Und da nützt dann auch die ganze schillernde Bravour der Berliner Philharmoniker wenig, weil es so sehr am geschmeidigen Streicherklang, an der Weiche mancher Blechstellen fehlt.

In seinem Element, große italienische Oper zu dirigieren, war Karajan hingegen bei Verdis Requiem: Das ist sein ureigenstes Gebiet. Triumphal, mit ungeheurem Spürsinn für monumentale Formen und für das Pathos Verdis läßt er diese Missa drauflosdonnern: Himmel bersten, Höllen brechen auf, es züngelt und flammt im Orchester, daß es eine Freude ist. Und man kann sich um so mehr an diesem Monsterspektakel freuen, als ein Solistenteam zur Verfügung steht, das stimmlich alle Stückeln spielt: Mirella Freni, Christa Ludwig, Luciano Pavarotti, Jose van Dam. Das war wohl der eindrucksvollste Abend: „Karajan at his best.

• Anläßlich des 400. Geburtstages von Marcus Sitticus veranstalten die Bregenzer Festspiele in Zusammenarbeit mit dem Amt der Vorarlberger Landesregierung von 26. bis 29. Juli 1974 ein dem ^großen Kirchenfürsten gewidmetes Symposion, in dem vor allem die Bedeutung von Marcus Sitticus für die Musik seiner Zeit unterstrichen werden soll. Marcus Sitticus entstammt dem Grafengeschlecht von Hohenems und wurde dann der berühmte Erzbischof von Salzburg. Die Leitung des Symposions hat der Vorarlberger Musikwissenschaftler Dr. Walter Pass. Bekannte Referenten aus fünf Ländern werden über die Themenkreise „Historische Grundlagen zum Wandel der Musik um 1600 und Marcus Sitticus und die Musik“ sprechen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung