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Idealisten und Demagogen

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Die Versuche, Brücken zwischen Sozialismus und Christentum zu schlagen, reichen weit zurück. An zwei Beispiele aus der Zwischenkriegszeit sei erinnert.

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Die Versuche, Brücken zwischen Sozialismus und Christentum zu schlagen, reichen weit zurück. An zwei Beispiele aus der Zwischenkriegszeit sei erinnert.

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Gerhard Stegei; Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft “Christentum und Sozialismus“ sieht das konstruktive Miteinander gefährdet. Die kirchenpolitischen Ereignisse der letzten Monate erschweren das Zusammenleben von Katholizismus und Sozialismus - eine Lebensgemeinschaft, die sich nicht nur als möglich, sondern auch als fruchtbringend erwiesen hat.

Der Frühling dieser Beziehung brach in den siebziger Jahren aus. Dafür leistete der von Kardinal Franz König mit Einfühlsamkeit und Verstand geführte Dialog zwischen Kirche und Sozialistischer Partei Gewähr. Die Gespräche hoben die These des Mentors der Sozialdemokratischen Deutschen Arbeiterpartei August Bebel auf: Sozialismus und Kirche schlossen einander nicht länger aus wie Feuer und Wasser Weniger bekannt ist, daß sich diese Erkenntnis bei einigen Gesinnungsgruppen schon in den Jahren der Ersten Republik durchgesetzt hatte.

Unter der Führung des gelernten Handelsangestellten und Metallarbeiters Otto Bauer - er wurde im Unterschied zum geistigen Führer der österreichischen Sozialdemo-

kratie “kleiner“ Otto Bauer genannt - setzten sich Mitte der zwanziger Jahre wache Christen und Sozialisten mit den Fragen der Zeit auseinander. Bauer war axis der Jugendbewegung Anton Orels gekommen und hatte mit Lesern der Zeitschrift “Ruf zur Wende“, einem katholischen und sozialen Blatt, einen Diskussionskreis gebildet. Einige Teilnehmer dieser Runde folgten Bauers Entscheidung “ins Proletariat zu gehen“ und gründeten mit ihm den “Bund der religiösen Sozialisten“. Seine Mitglieder erkannten ehrliches Christentum als wichtiges Mittel zur gesellschaftlichen Veränderung.

Von 1926 an unterhielten Bauer und seine Freunde Kontakte mit der religiös-sozialistischen Initiative in der Schweiz und in Deutschland. Ende Oktober 1926 konnte ein Flugblatt der religiösen Sozialisten Österreichs erscheinen. Am 15. Jänner 1927 folgte die erste Nummer der Monats- (und kurzzeitigen Halbmonats-) schrift “Menschheitskämpfer“ mit vier Druckseiten in geringer Auflagenzahl und wenige Jahre später die optimistische Umbenennung in “Der religiöse Sozialist“.

Die hinter diesem Titel stehende Hoffnung brach im Mai 1931 jäh zusammen: Papst Pius XI. erklärte in seiner Enzyklika “Quadragesimo anno“ den Katholizismus für unvereinbar mit dem Sozialismus. Der “Menschheitskämpfer“ erschien ab Juni wieder unter seinem ursprünglichen Namen und nahm von nun an konsequenterweise Abstand von der katholischen Position zugunsten einer im allgemeinen Sinn “christlich-religiösen Heilswirksamkeit an der sozialistischen Bewegung“.

1933 wurde die Oktobemummer des “Menschheitskämpfers“ beschlagnahmt. Im Jänner 1934 erschien die Zeitschrift zum letzten Mal Im gleichen Jahr wurde der Bund der religiösen Sozialisten als eine der ersten sozialdemokratischen Organisationen aufgelöst.

Die sozialdemokratische Parteiführung ging vorerst wenig auf den Bund ein, sondern förderte - wenn überhaupt - eher die Konkurrenz: Die Vereinigung für biblischen Sozialismus unter der Führung des Obermagistratsrates Renė Marco Delannoy entsprach “dogmenfrei, proletarisch und freireligiös“ besser der Parteilinie. Als Sprachrohr dieser überkonfessionellen Interessengemeinschaft diente die von 1929 bis 1931 erscheinende Monatsschrift “Biblischer Sozialismus“.

Sowohl “Menschheitskämpfer“ als auch “Biblischer Sozialismus“ zeigen bemerkenswerte Aspekte des kulturellen und religiösen Bewußt seins der politisch unruhigen und gesellschaftlich im Wandel befindlichen Zwischenkriegszeit auf. Gemeinsam ist den Zeitschriften die Anerkennung eines Höchsten und die prinzipielle Bindung daran. Die Qualität der Bindung setzt jedoch dieersten Unterscheidungsmerkmale.

Während der freikirchliche “Biblische Sozialismus“ religiös verbrämten sozialistisch-marxistischen Doktrinarismus offeriert, sprechen echter Glaube und - meist konstruktiver - Idealismus aus den Zeilen des “Menschheitskämpfers “. Das Schlagwort vom “neuen Menschen“ zieht sich durch die Beiträge beider Zeitschriften, ebenso die Feststellung der gesellschaftlichen

Sozialismus als Christophorus

Umbildung, die als potentielle Weichenstellung eines neuen Anfangs gewertet wird.

Aus den die damalige Zeit betreffenden Kommentaren ist eine mächtige Welle religiösen Verlangens einerseits und anderseits eine bis dato nicht beobachtbare “Diesseitskultur“ erkennbar Die immer wiederkehrende Forderung nach Verschmelzung von Religion und Leben bezieht sich auf aus dem Glauben entspringende Taten: Das Reich Gottes nimmt nicht erst im Jenseits, sondern schon hier und jetzt in einer um Gerechtigkeit ringenden Welt seinen Anfang. Die völlige Gleichsetzung von biblischem Christen tum mit sozialistischer Ethik im “Biblischen Sozialismus“ erklärt den Sozialismus zur Religion. Dienst amNächsten, “Menschheitsdienst“, wird in dieser eklektischen Sicht zum “sozialistischen Gottesdienst“.

Der “Menschheitskämpfer“ ist eine sozialistische Publikation aus religiösem Geist und Glaubenskraft. Seine verhältnismäßig anspruchsvolle Sprache - weder dem Publikum noch der Mehrzahl der Autoren war eine akademische Bildung möglich - bedient sich des dem Menschen immanenten religiösen- Bedürfnisses als Anstoß zum Weiterfragen. Anliegen und Ziel des “Menschheitskämpfers“ finden sich in der lebendigen Verwirklichung religiöser Kräfte im sozialen, wirt schaftlichen und politischen Bereich. Ständiger Kritikpunkt ist hierbei der Mißbrauch der Religion durch die Christlichsoziale Partei und die von den bürgerlichen Parteien vereinnahmte katholische Kirche.

Ganz im Sinn des Neuen Testaments verlangt der tief gläubige Otto Bauer, Hauptredakteur des “Menschheitskämpfers“ ein allgemeines Kirchesein, oder den Austritt aus der Institution. Der Antiklerikalismus der Zeitschrift entspringt lebendigem Glauben und richtet sich gegen alles Erstarrte, Tote und Überholte. Weiteres Ziel ist die fruchtbare Zusammenarbeit mit anderen Religionen, Freiheit der Religionsausübung eine der Maximen. Obwohl die Nächstenliebe als Gottesdienst schlechthin erklärt wird, bleibt die Gottesliebe selbst und somit Spiritualität auch wichtiges Thema.

Daß die Zeitschrift als Abhandlung über religiös motivierte politische Themen religiöse bis christlich denkende Sozialdemokraten oder deren Sympathisanten ansprechen will, hat jedoch Konsequenzen. Bei aller christlichen Liebe wird nur der Sozialismus als einziges System geschildert, das Not beheben kann. Da effiziente strukturverändemde Maßnahmen ausschließlich vom Proletariat zu erwarten sind, stellt sich folgende Exklusivität in der Betrachtungsweise ein: Die Frohe Botschaft Christi richtet sich vor allem an die Armen. Das Leiden des Proletariats wird zum Leiden Christi. Diese und ähnliche Identifikationen führen zu religiöser Überhöhung und Erfüllung des Sozialismus, die keineswegs immer christlich ist. Kommunistisch-sozialistische Ziele werden mit christlicher Utopie parallelgesetzt.

Die Befürchtungen einer radikalen Rechtsorientierung des politischen Katholizismus werden schließlich von den geschichtlichen Ereignissen bestätigt. Der keimende Nationalsozialismus wird strikt abgelehnt und vor allem auf religiöser Ebene bekämpft. Trotzdem trifft man auf die traditionelle Zuordnung von Herz und Frau und Geist und Mann - beschönigt durch die Glorifizierung des Mutterseins. Begleitendes Thema ist die Forderung nach der Befreiung der Frauen von (sexueller) Ausbeutung.

Keinen religiösen Sozialismus, sondern eine sozialistische Religion oktroyiert die Monatsschrift “Biblischer Sozialismus“, deren abstrakter und pseudo-exegetischer Stil wenig Resonanz erzielt. Die hauptsächliche Funktion der christlichen Religion ist im Sinn der Redakteure eine wirtschaftliche. Im Gegensatz zum “Menschheitskämpfer“ macht im “Biblischen Sozialismus“ idealer Sozialismus Spiritualität überflüssig. Die Sozialdemokraten praktizieren als einzige wahres Christentum, ob sie nun gläubig sind oder nicht. Eine der Kemaussagen des Neuen Testaments deutet R. M. Delannoy als “Selig, ihr Proletarier! - Wehe euch, ihr Kapitalisten! “

In der geistigen Ausrichtung freireligiös und akatholisch, wendet sich das Blatt gegen etablierte katholi-

sehe und evangelische Kirchen, was sich in einer “Jesus, ja - Kirche, nein“-Mentalität äußert. Die Bejahung Jesu erfolgt dabei hauptsächlich unter dem Blickwinkel seines Auftretens als Marxist - und nicht einmal als erster Johannes, der Täufer war schon vor ihm da. Eine andere Maxime des freireligiösen “Biblischen Sozialismus“ ist die Sinnenfreude. Gesellschaftlich fordert dies die Befreiung der Frau zu offenen Beziehungen und eine Absage an die Institution der Ehe.

Inhalt und Stil der drei Jahre hindurch erscheinenden Publikation

“BihliKchprRrreialismns“ zeigen eine übertriebene, phantastische, den christlichen Glauben verfremdende Haltung, die gelebtes Miteinander von Katholizimus und Sozialismus verhindert. Auch der religiöse Idealismus des “Menschheitskämpfers“ ist nicht durchwegs Ausdruck von Überzeugung, sondern oftmals Mittel zum übergeordneten propagandistischen Zweck. Dennoch läßt sich - bei aller Gefahr des Verwässeras und gegenseitigen Auf saugens von christlicher und sozialistischer Ideologie - im “Menschheitskämpfer“ ein ehrliches Bemühen um wechselseitiges Verständnis und Akzeptanz erkennen. Dieses Bemühen scheint der heutigen sich zunehmend polarisierenden Kirche fremd zu werden.

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