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Ideologie mit christlichem Deckmantel

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Viel Gutes wirken manche anthroposophische Einrichtungen, etwa die Waldorfschulen. Sektiererisch aber ist ihr geistiger Hintergrund, die Anthroposophie.

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Viel Gutes wirken manche anthroposophische Einrichtungen, etwa die Waldorfschulen. Sektiererisch aber ist ihr geistiger Hintergrund, die Anthroposophie.

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Die Anthroposophie, eine von Rudolf Steiner (1861-1925) begründete Erkenntnislehre, durch die der Mensch zu immer höherer Teilhabe an der geistigen Welt gelangen soll, gewinnt auch in Österreich zunehmend Anhänger. In Verbindung mit ihr entstanden viele sogenannte alternative Bewegungen und Einrichtungen wie die Waldorfschulen, die anthro-posophische Heilpädagogik und Medizin, die Eurythmie (eine B^-wegungskunst) u. a. m.

Viele gute Impulse, die Alternativen darstellen, hat Steiner in diese Einrichtungen fließen lassen. Problematisch ist jedoch die Verquickung mit den geistigen Grundlagen von Steiners Lehrgebäude: „Es handelt sich darum,

Anthroposophie so in die Praxis hineinzutragen, daß sie darinnen-streckt, ohne daß man sie gelehrt hat“ (Steiner).

Dieses Vorhaben scheint vielfach gelungen. Oft kaum wahrnehmbar, aber stets wirksam gegenwärtig, zieht sich das anthroposophische Gedankengut durch sämtliche anthroposophische Einrichtungen und Vorträge.

Bedingt durch eine sehr subtil angewandte Terminologie ist häufig weder die Tatsache bekannt, daß die Anthroposophie kirchlicherseits (katholisch wie evangelisch) als unchristliche Weltanschauung gilt, noch die Gründe hierfür. Die aus der Anthroposophie^ entstandene Kultgemeinschaft, die Christengemeinschaft, zählt zu den Sekten.

Rudolf Steiner war jahrelang Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, deren philosophischreligiöses Lehrgebäude mit fernöstlichen Gedanken und Okkultismus durchsetzt ist. So ist die Verwandtschaft von Theosophie und Anthroposophie zu erklären. Letztere gründete Rudolf Steiner im Alleingang, nachdem es infolge interner Auseinandersetzungen zum Bruch mit der theosophischen Gesellschaft gekommen war.

Die Anthroposophie nennt sich Geisteswissenschaft (von anderen Wissenschaften keineswegs als solche anerkannt). Steiner erhebt den Anspruch, dadurch alles je Gedachte und Erforschte zu überbieten, einschließlich des religiösen Bereichs.

Auf einem genau beschriebenen okkulten Erkenntnisweg und durch Einweihung gelangte er, wie er behauptet, zur konkreten Schau sämtlicher irdischer und außerirdischer Gegebenheiten. Nach Steiner sind alle Lebewesen sowie jegliche Materie von sich aus göttlich. Nicht in der Erschaffung durch einen liebenden Schöpfer haben sie ihren Ursprung, sondern in ihrer selbständigen Göttlichkeit. „Jeder physische Körper ist zuerst Geist gewesen“ (Steiner).

Steiners göttliches Ich errang sich, wie er sagt, durch Beherrschung und Unterwerfung aller niedrigen, menschlichen Regungen Zugang zur geistigen Welt. Die Zusammenfassung alles von ihm Geschauten befinde sich in der Akasha-Chronik, einem bis jetzt einzig ihm, Steiner, zugäng- ' liehen geistigen Skript.

Darum sind für die Anthropo-

sophie empirische Bemühungen nichtig, verfügt Steiner doch über eine direkte Anschauung aller Dinge, die als letztgültige Instanz alle anderen Informationen, je nach Ubereinstimmung oder Diskrepanz, bestätigt oder korrigiert. Sich Steiners Gedanken anzueignen sei daher die einzige Möglichkeit der Wahrheitsfindung auf allen Gebieten.

Paulus schreibt: „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.“ (1 Kor 3,11) Steiner weiß es anders: „Man kann für Christi Gegenbild am besten Menschenherzen fangen, wenn Christi Namen man dem Bilde gibt.“ Damit mag das christliche Flair, in das eingehüllt sich Anthroposophie dem arglosen Sympathisanten bietet, in einem gewissen Zusammenhang stehen.

Es ist reichlich die Rede vom Göttlichen, von dem Christus und dem Geist. Bei näherer Betrachtung muß man feststellen, daß Steiner ein völlig willkürliches Bild von Gott, Christus und Geist zusammengebastelt hat — ein größerer Gegensatz zum Gottesbild der Bibel läßt sich kaum denken. In seinen Augen ist das allerdings berechtigt, ja notwendig.

Er begründet das so: Der alte Weg, gekennzeichnet durch Glaube, Bibel und Abendmahl, sei überholt, seit er, Steiner, den neuen esoterischen Weg gefunden habe, der gekennzeichnet ist durch schauendes Wissen, fortschrei-

tende Erkenntnis und geistige Kommunion.

Glaube, für Christen Geschenk des Geistes auf dem Weg zu Gott, ist nach Steiner eine Schwäche, bestenfalls ein kümmerlicher Anfang auf dem Weg zum Geist. Für Christen ist die Bibel die unüberbietbare Offenbarung Gottes. Steiner entnimmt seiner Akasha-Chronik das Fünfte Evangelium. Hier werden Teile der Bibel, z. B. die Evangelien, nach Steiners Vorstellungen korrigiert und ergänzt. Was das Abendmahl betrifft, so brauche es nur der unentwickelte Christ.

„Gott hat aufgehört zu sein um der Freiheit der Menschen willen. Er wollte ein Geschlecht, das frei über sich selbst waltet.“ (Steiner) Statt eines persönlichen Schöpfergottes gibt es hier unpersönliche, geistige Gewalten, sogenannte Elohim, von denen Jahwe einer ist. Er erhält bis zum Mysterium von Golgatha seine Bedeutung von dem Christus, die bei jenem Ereignis aufgehoben wird.

Es gab zwei Jesusknaben. Der eine war eine Inkarnation Buddhas, der andere eine Inkarnation Zarathustras. Später vereinigten sich die beiden, und in der Taufe wurde Jesus zu dem Christus Jesus. Im „Mysterium von Golgatha“ floß das Blut Jesu in die Erde und verchristete sie. Durch diesen Vorgang erhalten die Erdenkräfte den Impuls, die Menschen zur Befreiung des Ich zu stärken.

Es ist der Sieg des Geistes über

den Stoff. Darum ist auch der Heilige Geist, für Christen Gnadengeschenk und Kraft Gottes, für Steiner widernatürlich. Sei doch der Geist des Menschen selber tüchtig genug und fähig, sich zu erlösen.

Das Karma als Konto der guten und bösen Taten, die ein Mensch angesammelt hat, bestimmt die Anzahl und Art der Wiederverkörperungen (Reinkarnationen), weil kein Mensch es fertigbringt, in einem einzigen Leben sein Karma zu bereinigen.

Bei aller Anerkennung von vielem Guten, das zweifellos auch in anthroposophischen Einrichtungen geschieht, muß gesagt werden: Anthroposophie reaktiviert ein grundlegendes Mißverständnis, mit dem bereits die Urkirche zu kämpfen hatte.

Damals waren es die Anhänger der Gnosis, die Gott und sein Geheimnis durch denkendes Erkennen und durch wissenschaftliche Beweise in den Griff bekommen wollten. Dem Wesen des Christentums entspricht hingegen, daß es der Glaubende ist, dem sich Gott in Fülle offenbart.

„Nur Anthroposophie entbindet Zukunftskräfte... “, bis heute sind Anthroposophen davon überzeugt. Ideologien verändern das Bewußtsein. Die Anthroposophie als Weltanschauung prägt in ihrer Praxis Medizin, Pädagogik, Landwirtschaft und Politik. Den christlichen Glauben aber prägt sie um — und das sehr gründlich. Die Autorin ist Lehrerin.

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