6842751-1976_01_04.jpg
Digital In Arbeit

Ideologische Aufforstung ist notwendiger denn je

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Wir gehen einem Jahr ohne Wahlen entgegen — wird die SPÖ dieses Jahr zu einem ideologischen Aufrüsten benützen?

BLECHA: Ich glaube, daß es zuerst ein organisatorisches Aufrüsten und Adaptieren geben wird. Und dann erst ein ideologisches Aufrüsten, da der organisatorische Teil die Voraussetzungen für den zweiten Teil abgibt. Meine Aufgaben im kommenden Jahr beziehen sich ja in erster Linie auf die Öffentlichkeitsarbeit und auf die Bildungsarbeit.

FURCHE: Wie schaut hier die Bilanz aus? Gibt es vernachlässigte Bereiche?

BLECHA: Ja und nein. Es gibt seit dem Bundesgesetz zur Förderung politischer Akademien aus dem Jahr 1972 das Dr. Karl Renner-Institut — also das Instrument politischer Bildung Im Rahmen der Sozialistischen Partei — und eine demokratisch aufgebaute Bildungsorganisation. Es gab nicht immer ein reibungsloses Zusammenspiel zwischen dem neugeschaffenen Renner-Institut, das natürlich auch ein Instrument des Apparates sein konnte, und der demokratisch strukturierten Bildungsorganisation, die eigentlich vom Renner-Institut ausgearbeitete Programme für ihre Tätigkeit abrufen sollte. Dieses Zusammenspiel hat noch nicht optimal funktioniert, und ich stelle mir vor, daß es eine der ersten Aufgaben sein wird, die Bildungsorganisation als demokratisch aufgebaute Organisation und Trägerin der Bewußtseinsbüdung zu stärken.

Das Renner-Institut sollte auch die Aufgabe wahrnehmen, Ort der Begegnung zwischen Nicht-sozialisten und Sozialisten zu sein, ein von allen Lagern in Österreich anerkanntes Diskussionsforum. Es Ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß die ideologische Aufforstung nach einer langen Phase der Entideologisie-rung für die SPÖ heute notwendiger denn je ist. Sie hat ihre 50,4 Prozent bei den letzten Wahlen dadurch bekommen, daß Hunderttausende von fortschrittlich eingestellten Menschen, was immer man darunter verstehen mag, der SPÖ ihre Stimme gegeben haben. Es wäre jetzt einmal wichtig, festzustellen, wo das Gemeinsame in den Auffassungen von Sozialisten, kritischen Demokraten, Liberalen und progressiven Katholiken liegt, die alle zusammen die 50,4 Prozent ergeben haben. Es muß einen ständigen Dialog zwischen diesen Strömungen auf dem Boden und im Rahmen der SPÖ geben.

FURCHE:' Also einen Dialog zwischen Mitgliedern und Nicht-mitgliedern?

BLECHA: Selbstverständlich. Die SPÖ legt größten Wert darauf, alle Ideen und Auffassungen jener mehr als 2,3 Millionen Menschen, die ihr die Stimme gaben, kennenzulernen. Sie muß Möglichkeiten schaffen, um diese Auffassungen und Ideen in politische Praxis umsetzen zu können. Das verstehe ich unter „offener Partei“.

FURCHE: Wie muß es ein Nichtmitglied heute anstellen.um von der SPÖ gehört zu werden?

BLECHA: Indem es den Kontakt zu dem zuständigen Abgeordneten sucht. Das ist eigentlich die klassische Form. In Zukunft sollte man bis zur Bezirksebene ständige Staatsbürgeraussprachen einführen, also institutionalisierte Begegnungen zwischen den gewählten Mandataren, die die Pflicht haben, dem Wähler regelmäßig Rechenschaft über ihre Tätigkeit zu geben und den Staatsbürgern, die über die Probleme, die sie berühren, Auskunft verlangen, Vorschläge vorlegen und Kritik anbringen sollen.

FURCHE: Bedeutet das also deklarierte Veranstaltungen auch für Nichtmitglieder außerhalb der Wahlzeiten?

BLECHA: Jawohl. Es sind Veranstaltungen, bei denen nicht nur zum Fenster hinausgeredet wird, sondern wo vorher klar festgelegt wird, worum es heute an diesem Abend geht und wozu die Bevölkerung eingeladen wird.

FURCHE: Haben Sie sich irgendeinen Zeitplan vorgenommen?

BLECHA: Ja. Sie wissen, daß der Parteitag der SPÖ, der vom 10. bis 13. März in Wien stattfindet, die sogenannte Parteireform zu verabschieden hat. Die Partei nimmt in der wahlfreien Zeit die Gelegenheit wahr, einmal sich sozusagen selbst zu erneuern. In meinem Bereich geht es auch um die Neufassung der Medienpolitik und da wieder insbesondere auch der Pressepolitik der SPÖ.

FURCHE: Gemeint ist die eigene Presse?

BLECHA: Nicht ausschließlich. Es geht um eine Neuorganisation im Parteipressewesen, eine Verbesserung des Kontaktes zur unabhängigen Presse und auch um die Schaffung neuer Einrichtungen. Wenn man den Gedanken des innerparteilichen Informationswesens zu Ende denkt, dann kommt man darauf, daß eine innerparteiliche Information nur in Form des Gegenstromprinzips funktionieren kann.

Es gibt die Notwendigkeit, Informationen über Maßnahmen, die eine Regierungspartei zu verantworten hat, zur Basis zu bringen. Aber noch viel bedeutender für die Partei ist es, von den Menschen jene Informationen zu bekommen, die nötig sind, um eine diesen Menschen dienende Politik machen zu können. Und dafür braucht man bestimmte Clearingstellen, die es derzeit noch nicht gibt. In der Partei war es früher allein der Vertrauensmann. In der Zwischenkriegszeit hat das ausgezeichnet funktioniert. Heute aber ist offensichtlich der Vertrauensmann der Partei nicht mehr überall, um es sachte auszudrücken, dieser Mittler zwischen Basis und Führung,und man muß daher auch neue Formen überlegen.

FURCHE: Mit welcher Strategie wird die Sozialistische Partei in der neuen Legislaturperiode und im neuen Jahr die anstehenden Gesetzesmaterien angehen, es geht jetzt ja weiter mit Rechtsreform ...

BLECHA: Die Rechtsreform wird durch vier ganz gewaltige Vorhaben gekennzeichnet. Fort-und Zu-Ende-Führung der Familienrechtsreform, die als zentrales Anliegen in der Regierungserklärung genannt wurde; dann das Mediengesetz — und damit wird Österreich wahrscheinlich die vorbildlichste Mediengesetzgebung der ganzen Welt bekommen. Dieser Mediengesetzentwurf ist der umfassendste, den es derzeit gibt. Der dritte gewaltige Bereich ist die Mietrechtsreform und damit im Zusammenhang Vereinheitlichung und Neufassung aller Wohnungsgesetze, die es in diesem Land gibt. Dieser Reformschritt ist deshalb so bedeutsam, weil wir ja — abgesehen von zwei Novellierungen — eigentlich noch eine Gesetzgebung haben, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt ist. Der vierte große Bereich ist jener, wo wir vor allem hinter den Vereinigten Staaten so weit zurück sind — der Konsumentenschutz. Unsere Rechtsvorschriften im Bereich des echten Konsumentenschutzes sind eigentlich fast voriges Jahrhundert.

FURCHE: Mit welcher Strate-i gie wird man legislatorische Vorbauen publizistisch absichern, ist die Doppelstrategfie zu einer etablierten Strategie geworden?

BLECHA: Doppelstrategie ist ein Schlagwort. Seit es Sozialdemokratie gibt, ist das, was man heute so schön als Doppelstrategie bezeichnet, immer wieder praktiziert worden. Es sind bestimmte Gruppen der Bewegung vorangeschritten, ohne deren enormen Einsatz, ohne deren Engagement es überhaupt keinen Fortschritt in der Gesellschaft gegeben hätte. Das ist das Um und Auf, es geht in der Gesellschaft überhaupt nur etwas weiter, es wird nur etwas bewegt, wenn es zuerst einmal Initialzündungen gibt, vor allem von den Intellektuellen und gestützt auf unterprivilegierte und benachteiligte Gruppen der Bevölkerung. Forderungen, die solche Gruppen erheben, müssen gar nicht zu weit gehen, sondern sind nur nicht durchsetzbar; man kommt in Kollision mit den Interessen anderer, das Problem wird, mit einem Modewort, transparent, was herauskommt, ist ein Kompromiß. Das aber ist nichts Schlechtes, wir Österreicher sind ja hier wirkliche Meister geworden, und der Durchschnittsösterreicher versteht es zu schätzen. Dies ist ja auch die einzige Form der Demokratisierung in diesem Land. Die Partizipation des Bürders ist nämlich nur möglich, wenn ihm ein Problem klargemacht wird, indem sich einige darüber ärgern, daß andere so viel Verändern wollen. Kann er seine Interessen und die jener, die sich gegen bestimmte Veränderungen stemmen, erkennen, dann erst wird er aktiv. Das ist kein sozialistisches Spezifikum, das entspricht der Mentalität des Österreichers...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung