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Ideologisches Spiel mit den Menschenrechten

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Eine Woche noch plagt sich das Wiener KSZE-Folgetreffen mit den Menschenrechten. Um deren Verwirklichung ist es nicht nur im „Ostblock“ schlecht bestellt. Internationale Organisationen versagen, Privatinitiative ist gefordert.

Einen „Schandkatalog der Menschheit“ nennt die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International ihren jährlichen Report der weltweiten Menschenrechtsverletzungen. Der neueste Bericht verzeichnet 128 Länder, in denen elementare menschliche Grundrechte mißachtet werden.

Politische Morde im Auftrag von Regierungen, das „Verschwinden“ Mißliebiger, Folter, Haft ohne Prozeß für Menschen, die lediglich frei ihre Meinung sa-

gen wollen, stehen 40 Jahre nach der Deklaration der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen (10. Dezember 1948) nach wie vor an der Tagesordnung.

Menschenrechtsverletzungen sind nicht an bestimmte ideologische Orientierungen, an Wirtschaftssysteme oder Weltgegenden gebunden, sie sind Ausfluß von Macht beziehungsweise von ihrem Mißbrauch.

Selten werden Menschenrechtsverletzungen als solche von den Staaten zugegeben. Man hat subtilere Begriffe parat, „Maßnahmen“ gegen politisch unwillkommene Personen zu rechtfertigen.

Aus Gründen „nationaler Sicherheit“, mit Rücksicht auf die „Souveränität“ oder aber aus Gründen der „Entwicklung“ eines Landes „dürften“ Menschenrechte mißachtet werden.

Demgegenüber mag es paradox klingen, daß Menschenrechte — als „angeborene“ Rechte nicht vom Staat verliehen, ja oft gegen den Staat formuliert - nur dort bestehen können, wo sie von den einzelnen Staaten als Bürgerrechte anerkannt und verteidigt werden.

Vom Bewußtsein des Wertes der Einzelpersönlichkeit ausgehend, zieht sich ein roter Faden bis zu den ersten zaghaften Versuchen, Rechte des Menschen auszuformulieren.

Die Rechtssphäre wird erst im elften und zwölften Jahrhundert

in der christlichen Kultur des Mittelalters geschätzt.

Uber abstrakte Moralprinzipien der Scholastik entwickelten sich Rechtskodifikationen, in denen Adeligen oder Freigeborenen eines Landes bestimmte Rechte garantiert wurden. Diese Rechte sind dem Herrscher abgerungen wordep.

Erst mit der Ausweitung dieser Rechte auf alle Menschen, der damit verbundenen Einschränkung jeder politischen Macht ist modernes Menschenrechtsverständnis erreicht.

Das heißt also, daß Menschenrechte nicht mehr nur Ideen sind, sondern zu positivem Recht geworden sind. Im nationalen Recht

— Nordamerikas und Frankreichs

— wurde der Anfang gemacht, die universelle Ausweitung erfolgte aufgrund der Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit.

Vorangetrieben wurde das Denken über die Menschenrechte durch die Völkermorde dieses Jahrhunderts, durch Vertreibungen und gewaltsame Bevölkerungsverschiebungen. Der Entkolonialisierungsprozeß hatte Folgen für die Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Umweltkrise hat erneut

den Wert des Lebens vor Augen geführt.

Die Weltöffentlichkeit ist sensibel geworden: auf Menschenrechtsverletzungen wird nicht mehr nur mit Achselzucken reagiert. >

Allerdings ist es auch nicht so, daß die Staatengemeinschaft in gleich starker Weise menschenrechtliche Anliegen verfolgt. Kaum ein Bereich ist mehr ideo-

logisch befrachtet, wie jener der Menschenrechte.

Die eine Seite ist die Unterzeichnung von Menschenrechtskonventionen, die andere deren Interpretation und Umsetzung. Der Ost-West-Konflikt zeitigt auch hier seine Auswüchse.

Es kommt eben darauf an, ob man Menschenrecht als umfassende, vor staatliche zivile und politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle sowie kollektive Rechte sieht. Kommunistische Staaten garantieren in ihren Verfassungen zwar Menschenrechte (nur soziale und wirtschaftliche Rechte), negieren dabei aber Bürgerrechte der politischen Mitbestimmung. Formal berufen sich diese Staaten dann auf die menschenrechtlichen Garantien ihrer Verfassungen, wobei sie Mahnungen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten abtun.

Der Helsinki-Prozeß und das Engagement verschiedener Menschenrechtsbewegungen, solidarischer Vereinigungen, von Kirchen, Staaten und Einzelpersonen demonstrierten hinlänglich die Mühsamkeit der Einforderung von Menschenrechten.

Die Frage nach dem besten Schutz der Menschenrechte ist theoretisch leicht zu beantworten: auf nationaler Ebene wird das das Regierungssystem sein — und zwar ein freiheitlich-demokratisches Regierungssystem mit wirksamer Kontrolle. Verfassungsgerichte, unabhängige Richter, die Volksanwaltschaft, der Ombudsman sind Schutz- und Kontrolleinrichtungen für Menschenrechte.

Kommunistische Systeme kennen diese Institutionen nicht. Der Marxismus-Leninismus glaubt an die Kraft der Solidarität der sozialistischen Gesellschaft, wodurch Schutz und Sicherheit für den einzelnen zur Genüge gewährleistet seien.

International kann man natürlich auf die UNO als Menschen-rechts-Schutzorganisation verweisen. Gegenwärtig ist es aber doch wohl so, daß Privatinitiativen zur Aufrüttelung der Weltöffentlichkeit eher greifen, als Resolutionen der Vereinten Nationen.

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