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Idole der Vitalität

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Die ungarische Presse würdigte das Werk eines bedeutenden Bildhauers: die Österreichische Kulturwoche präsentierte Rudolf Kedls großformatige Plastiken in Budapest.

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Die ungarische Presse würdigte das Werk eines bedeutenden Bildhauers: die Österreichische Kulturwoche präsentierte Rudolf Kedls großformatige Plastiken in Budapest.

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Bereits die frühen Arbeiten Rudolf Kedls in Serpentinstein und in getriebenem Messing, zeigen sein Bestreben, die Form aus dem Material zu entwickeln, und das heißt: nicht eine Idee verwirklichen zu wollen, sondern das Tellurische zu durchgeistigen, eine eigene Metaphysik des Erdhaften und Gewachsenen zu schaffen. Nicht die äußere Erscheinungsform der Wirklichkeit, sondern deren Wesen und Vitalität - das Prinzip und die Kraft der sich aus sich selbst regenerierenden Schöpfung - fanden hier dreidimensionalen Ausdruck.

Die künstlerische Methode wurde mit der Zeit verfeinert, sodaß großformatige Idole entstehen konnten, deren Formensprache jedoch ihr

Hervorgehen aus dem Lebensgefühl, der archaischen Ästhetik und der ungestümen Vitalität der Urkultu- ren nicht verleugnet.

Noch vor hundert Jahren nannte man diese Urkulturen “primitiv“. Heute wissen wir, daß in ihnen ein komplexes Weltbild zutage tritt, das in seiner magisch-mythischen Sicht die lebenserhaltenden Tätigkeiten des Alltags mit dem Verkehr mit den überirdischen Mächten zu vereinen vermag. In diesem Sinne ist die Urkultur eine Einheit, die nichts als das unbedingt Notwendige hervorbringt. Ihre Kunst ist der Versuch, das Leben der Sippe und des einzelnen aufrecht zu erhalten, zwischen dem Menschen und dem Kosmos eine Verbindung herzustellen, das Weltall zu vermenschlichen und das Individuum zu vergöttlichen. Indem Rudolf Kedl die Attitüde, das Formenrepertoire, damit aber auch das Lebensgefühl und das Weltbild der Urkulturen mit dem Bewußtsein eines Künstlers der Gegenwart vereint und Gestalt werden läßt, schafft er für sich - und für uns - einen geistigen Raum, in dem wir durch den archaischen Anteil unseres Wesens beheimatet sind.

Die Formensprache des Archaischen ist international; nicht ohne Grund hat Rudolf Kedl die versunkenen Urkulturen Süd- und Mittelamerikas längere Zeit an Ort und Stelle studiert. Seine großformatigen Säulen aus getriebenem Metall wurden auch in Budapest als Sinnbilder einer nach der Vereinigung mit dem Göttlichen strebenden, lebenserhaltenden Vitalität begriffen.

In Kedls SkulpturenaracSteintritU uns jener Eros entgegen, der durch die Vereinigung von Mann und Frau den Tod des einzelnen durch das Weiterleben der Sippe überwindet. Auch die verschiedenen Relief- Zyklen zeigen die Metamorphosen menschlicher und pflanzlicher Formen und dadurch die Ewigkeit der Materie durch Verwandlung. Sichtbar und eindringlich spürbar ist die pulsierende Rhythmik solcher Prozesse: eine Kraft, die sich zunächst stürmisch entfaltet, sich dann selbst zurücknimmt, in einer neuerlichen Verdichtung zu einem weiteren Schub der Entwicklung ansetzt und sich, nach einer letzten Phase der Sammlung, mit der Schöpfung explosionsartig vereint. Die Emo-

tion ist durch jeden Menschen der Gegenwart hic et nunc nachvollziehbar In diesem Sinne ist Rudolf Kedls Kunst auch heute kultisch.

Die großen Plastiken, die man jetzt im Hof der Burg in Budapest sieht, stehen - sofeme sie sich nicht in Museen und in Privatsammlungen befinden - gewöhnlich im Park des Hauses von Rudolf Kedl in Markt Neuhodis neben Rechnitz, hart an der Grenze zu Ungarn. Unter den mächtigen alten Bäumen erinnern sie an Totempfähle, die den Menschen allerdings picht mit einem Tier der Wildnis, sondern mit der kräftig sprießenden, alle beschützenden und ernährenden Pflanzenwelt verbinden.

Ihre unmißverständliche Bot-

schaft kündet von der Macht des Lebens über den Tod, doch gebraucht diese Macht keine Gewalt. Sie siegt durch ihr Dasein und So- Sein. Das Sterben ist in diesem Sinn bloß ein - und gewiß nicht der letzte -Punkt jener Verwandlung, die neue Kräfte freisetzt und den Menschen in die zeitliche und räumliche Unendlichkeit der Schöpfung mitein- bezieht. Erst in der freien Natur enthüllen die Plastiken Rudolf Kedls den eigentlichen Kern ihrer Botschaft, denn sie sind durchgeistigte Teile der Natur.

Wie die Kirnst des ersten wahrlich modernen Bildhauers Aristide Maillol im Geist unserer Epoche auch ethisch zu deuten ist, so kann und muß auch die Kunst Rudolf Kedls mit den großen Geistesströmungen der Zeit in Zusammenhang gebracht werden. Wir haben es mit einem Künstler zu tim, der an die Machbarkeit des Glücks, an die Überlegenheit der rationellen Planung gegenüber dem spontanen Wachstumsprozeß, an das berechenbare Programm des Konstruktivismus im Gegensatz zum unberechenbaren Vorgang der Schöpfung nicht zu glauben vermag.

Indem er in sich selbst jene Urkul- tur entdeckt, die in uns allen - und wenn auch nur in Form rudimentärer Erinnerungen und unkontrollierbarer Instinkte - weiterlebt, schafft er Verbindung zwischen dem Archaischen und der Moderne, läßt die verschütteten Kräfte unseres Daseins erkennen, erinnert an die Wurzeln. Rudolf Kedls programmatisch freilich niemals formulierter Ewigkeitsbegriff schließt die Gegenwart mit ein. Eine durch Hypertrophie der Ratio gefährdete Welt mag hier, wenn sie will, eine der Zeit entsprechende Botschaft finden.

Die Ausstellung ist bis zum 24. September 1989

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