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„Idylle als Glanzlicht einer Katastrophe”
Die Essenz des Werkes von Anton Lehmden ist fü r mich der Blickwinkel, aus dem hier die Erde, und was auf ihr geschieht, betrachtet wird: Sehr genau, ohne Erschrecken vor dem Entsetzlichen und Ungeheuerlichen, aber wie aus einer großen zeitlichen Distanz, die das Geschehene erträglicher als das Geschehende, das vor langer Zeit Geschehene erträglicher als das vor kurzem Geschehene erscheinen läßt. Das ,Altmeisterliche”, seiner Technik oft genug (und mit Recht) nachgesagt, ist viel mehr als eine Technik, es ist vor allem eine Haltung.
Wenn irgendeiner, ist Lehmden ein Maler, dessen gesamtes Lebenswerk im Zeichen eines früh, in entscheidender Phase, erlittenen Erschreckens steht. Wenn irgendeiner, hat er diesem Erschrecken eine Weitsicht abgewonnen, in der das Entsetzliche, das Ungeheuerliche allgegenwärtig ist— über weite Strecken seines Schaffens buchstäblich in jedem Bild, in jedem Blatt-, in der ihm aber ein fester (wenngleich nicht unveränderlicher) Platz zugewiesen wurde.
Man kann, mit aller Vorsicht, im bisherigen Lebenswerk dieses Künstlers einen Bogen sehen von der Obsession durch Tod und Entsetzen zu dessen Bewältigung und Einordnung in eine Kosmogonie, die Mensch und Tier, Himmel und Landschaft einem gewaltigen Werden und Vergehen unterwirft.
Ich erinnere mich noch ziemlich genau an die ersten Arbeiten von ihm, die ich gesehen habe. Es waren Landschaften, die zunächst idyllisch wirkten, die ihre blutigen Greuel, ihre Panzerschlachten und Zweikämpfe erst dem zweiten Blick preisgaben, wie eine Wiese ihre ungezählten Tragödien einander fressender Insekten dem menschlichen Blick verbirgt. Es waren Köpfe, die bei mir widerstreitende Gefühle auslösten, anziehend und abstoßend, Köpfe, denen man ansah, daß derjenige, der sie gezeichnet hatte, zu viel vom Menschen gesehen hatte, um ihn in unschuldiger Schönheit darstellen zu können. Wenn bei irgendeinem Maler, dann ist bei Lehmden die große Schönheit, die er heute zu schaffen vermag, Ergebnis des Durchganges durch alle Häßlichkeiten des Krieges, ist die Ruhe, die er heute zu vermitteln vermag, dem Chaos abgerungen.
Seine Auffassung der Landschaft war, wie er selber sagt, ursprünglich „lyrisch”. Lyrische Landschaften und die exhumierten Toten, die der 1929 geborene und 1945 in die Akademie auf dem Schillerplatz eingetretene Lehmden 1946 zu zeichnen begann, standen zunächst beziehungslos nebeneinander. Erst später hat der Krieg seine Landschaften ergriffen, in Besitz genommen - und sich aus ihnen wieder zurückgezogen.
In den späten fünfziger Jahren, als Ergebnis von Reisen nach Rom, Istanbul (wo er in der österreichischen Sankt-Georgs-Kapelle eine Reihe von Wandbildern schuf) und Ägypten, ergriff die Architektur von Lehmdens Landschaften Besitz. Drängte die Landschaft in den Hintergrund. Nach der ersten Begegnung mit den Pyramiden erscheint ihm das Kolosseum „wie ein Schaffel von Bausteinen”, scheint es, als wäre „die ganze Erdkugel nur dazu da, damit die Pyramide stehen kann”. Sein Lieblingsbau, und in seinen Augen „der herrlichste Sakralbau” überhaupt, bleibt die Hagia Sophia in Istanbul.
Der Krieg hat sich aus seinen Landschaften zurückgezogen, aber der Tod und die Zerstörung, diese freilich in einer aufs äußerste sublimierten Form, blieben zurück. Geben Lehmdens Landschaften das, was sie unverwechselbar macht.
Schnittstellen der Erdoberfläche, Schollenabbrüche, Steinbrüche, kehren beharrlich wieder. Der Aufbau der Erdoberfläche, die Schichtungen ihrer Epidermis, werden untersucht. Wie andere Maler die menschliche Anatomie studieren, erforscht er den Aufbau der Erdkruste, das Innere des Bodens.
Was fest schien, gerät in Bewegung, schwankt, wird rissig. „Was die Festigkeit an sich schien, schwimmt” - fliegt, ruht in der Luft. Illusionistische Effekte, aus der Erdoberfläche ausgeschnittene Fenster, Schächte in die Tiefe und zeitweise auch Schächte nach oben, blaue Schächte in die Tiefe des Himmels, über den Erdlöchem schwebend das Ausgeschnittene, rechteckige, scharfrandige Schollen, oder andere mit zerrissenen Rändern, Rasenstücke, Landschaftsteile mit Bäumen, neuerdings auch häufig auf unsichtbaren Achsen gelagert, drehbare Falltüren, Gruftdeckel in den Bauch der Erde, dienen dazu, den Boden, auf dem der Mensch steht, unsicher erscheinen zu lassen. Da aber das Vertrauen, das der Mensch in die Festigkeit dieser seiner Basis setzt, auf Illusion gegründet ist, dienen die Mittel einer illusionistischen Malerei hier der Störung, der Aufhebung einer Illusion. Trotzdem bleibt das Gefühl der Unsicherheit, das sich beim Betrachten dieser Landschaften einstellt, distanziert. Dazu sind sie zu ruhig, zu statisch. Die kosmischen Katastrophen gehen in dieser Landschaft, wie die meisten geologischen Umwälzungen in der Wirklichkeit, gleichsam in Zeitlupe vonstatten. Es sind idyllische Katastrophen. „Idylle”, wie Lehmden selbst sagt, „als Glanzlicht einer Katastrophe”.
In letzter Zeit entstehen Landschaften mit schwarzen Himmeln, die sich bedrohlich über die Erde senken, mehr end- als urzeitlich, „Landschaf ten, wo die Erde tief einatmet und den Anzug sprengt”.
Es ist ein großes Pendeln, die „Idylle als Glanzlicht einer Katastrophe” einmal mehr hier, einmal mehr dort angesiedelt - auf der Staffelei in einem der großen Turmzimmer im Schloß Deutschkreutz, das Anton Lehmden vor zehn Jahren in desolatem Zustand gekauft hat, steht eine dieser jüngeren Endzeitlandschaften, in denen ein weißlich bis blaßgrün entmateriali- sierter Boden unter dem Ansturm der Schwärze zu wogen scheint, die Landschaften in den tiefen Fensterleibungen des dickmaurigen Renaissancebauwerks, die Lehmden ebenfalls in letzter Zeit gemalt hat, atmen Heillig- keit, Freundlichkeit, schweben.
Besucht man ihn in diesem Schloß, wird so manche Frage, die man sich beim Betrachten seiner Bilder gestellt hat, wortlos beantwortet Nichts und niemand gibt so klare Auskunft über die Person Anton Lehmden wie der in langjähriger Arbeit dem Verfall und der Devastierung abgerungene Glanz dieses zu neuem Leben erwachten Bauwerkes. Der Maler des Krieges und der Zerstörung, der verfallenen Architekturen, als Restaurator. Als liebevoller Wiederhersteller nicht nur einer Architektur, sondern auch als Bewahrer einer artenreichen, im verwachsenen Burggraben angesiedelten Vogelwelt. Der Maler bedrohlicher Landschaften als liebevoller Gärtner. In jedem Künstler, der Chaos, Entsetzen, Zerstörung dargestellt hat, war die tiefe, ambivalente Zerrissenheit, die aus Anziehung und Abstoßung resultierende Faszination - Deutschkreutz repräsentiert den hellen, den positiven, dem Leben zugeneigten Pol der Person Lehmden, und die Grundtendenz seines Lebens.
Trotzdem will er demnächst, nach langer Zeit, wieder ein großes Kriegs bild malen. Wurde einst die Katastrophe von der Landschaft verdeckt, soll in diesem Bild die Katastrophe die Landschaft erdrücken, denn immer ist bei ihm die Landschaft Bühne dessen, was vorgeht. Erste Bleistiftzeichnungen zum Thema liegen vor - eine chaotische Wolke, die da und dort preisgibt, was in ihr geschieht. Ein im Lauf zerfallendes Pferd… Es f ou eine „dokumentierende” Malerei werden, etwas „lebendigeres, expressiveres als früher”.
Warum, nach so langer Zeit? „Angesichts eines großen Geschehens, einer Kreuzigung, eines Krieges”, gibt es für Anton Lehmden „keine Zeitabstände”. Es gibt keine Zeitabstände, „wenn Millionen getötet werden, wenn so viele Menschen zutode gehetzt werden, bis sie endlich irgendwo wirklich und tatsächlich ins Gras beißen und verscharrt werden”, und wer das nicht begreift, wer da nichts empfindet, der ist, sagt Anton Lehmden, „einfach unempfindlich”.
Der innerste Kern seines bisherigen Lebenswerkes, und sicher auch dessen, was noch kommt, ist die alte, die ewige Spannung zwischen Vergessen und Erinnern, zwischen Vergessenwollen und Erinnemwollen, zwischen dem lebenslangen „Jetzt und Hier” dessen, was eine Generation erlebt hat, und der verrinnenden Zeit.
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