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Ihr ewig gehorsamer Sohn

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Liebste Mutter!" so der erste erhaltene Brief des zehnjähri­gen Dichters Nikolaus Lenau vom 15. Oktober 1812 ,„ Ihr heutiger Na­mens-Tag erinert mich an alle die Pflichten, die ich gegen eine gute Mutter habe, und ich fühle bey die­ser Erinerung den stärksten Trieb, die Pflichten zu erfühlen." Wirk­lich erfühlen, nicht erfüllen? Ist hier nicht ein Druckfehler anzumerken? Lehrerattitüden werden freilich dem Bemühen des zehnjährigen Briefschreibers nicht gerecht, „die Pflicht erfühlen, statt erfüllen" das ist vielmehr der erste Stolperstein, der eine Lektüre von Lenaus Brie­fen produktiv machen könnte.

Beißende Kritik an Österreich, aber auch an den Schwaben kann man finden, Reisepläne von zu Hau­se weg, aber auch wieder zurück. Sie entsprechen aber nicht nur Le­naus unstetem Charakter, sie sind, so Lenau am 7. Februar 1832, für einen österreichischen Dichter „das dringendste Bedürfnis". Und an anderer Stelle: „Es geht mit Dich­tern in Österreich wie in Bremen mit Cigarren. Die in Bremen ge­machten Cigarren werden nach Amerika geschikt, dort bekommen sie die ausländische Signatur, u. wandern dann wieder heim, u. Al­les wundert sich über den char­manten Geruch, den sie jetzt ha­ben, während sie früher keinem Teufel schmecken wollten."

Die Lektüre der Briefe kann der Leser immer wieder mit Lenau-gedichten wie der „Wurmlinger Kapelle", dem „Posthorn", den „Schilfliedern" unterbrechen. Le­nau legt Abschriften seinen Brie­fen bei. Durch den Kontext läßt sich auch die Wirkung von Lenaus Lyrik, seine Adressatenbezogenheit rekonstruieren. Das Gedicht als Ge­schenk. Und noch etwas wird deutlieh: Trotz vieler faszinierender Be­schreibungen, trotz scharfer Selbst­beobachtung der immer wiederkeh­renden depressiven Stimmungen: Briefe zu schreiben, ist nicht die überzeugendste Leistung Lenaus gewesen. Viele Briefe wirken eher neckisch, aber oft sind sie allzu höf­lich und allzu devot, so wie wenn sich der Schreiber ganz dem Adres­saten anpassen wollte. Wer ihn ver­stehen will, muß seine Lyrik lesen!

DieBriefeals „Spiegelungen" des Adressaten? Das gilt sicherlich für den Zehnjährigen, der mit der Namenstagsgratulation an seine Mutter seine Schreibpflicht „erfüh­len" will. Der Kommentarband, der die Briefe der Mutter enthält, wird erst in zwei Jahren erscheinen, aber soviel läßt sich rekonstruieren: Die Mutter fordert immer wieder unge­duldig von ihrem Sohn Briefe. Ihr, die Lenau als „theure gute Mutter, theure herzlich geliebte ewig theu­re, einzig geliebte" anredet und die er am Briefende mit „Billionen" Küssen immer wieder als „gehor­sam treuer", „ewig treuer" Sohn grüßt, verspricht er solange er „ath-met" ein gutes Kind zu bleiben. In ihr genießt er „das Theuerste, das ich kenne", er berichtet voll Stolz von seinen Studienerfolgen, und kümmert sich energisch darum, daß auch seine Schwestern die Mutter nicht enttäuschen. Wenn er sich auch als Achtzehnjähriger von der Pflicht der Rhetorik distanziert, -„Das Geschäft des Gratulierens" wird „mir bey Ihnen so hölzern" -so meint er doch pathetisch zur Mut­ter „Der Anhänglichkeit Altar steht im Hintergrund der Seele, in keu­scher Borgenheit, und will nicht durch einen Schwall gewöhnlicher Wünsche entadelt werden." Auch die schmerzliche Trennung von der Mutter lobt er, sie bedinge erst das Zusammenstreben der Geister. Selbst die Enttäuschung über seine erste große Liebe, über Bertha, teilt Lenau wie selbstverständlich der Mutter mit. (9. 7. 1827) Gegen die Selbstmorddrohungen, gegen die depressiven Stimmungen und Äng­ste seiner Mutter muß Lenau sich immer wieder wehren. Würde sie sterben, würde er „niedergebäugt die Hoden seines Vaters verfluchen und sich selbst über den Markstein der Schöpfung hienaus schmei­ßen! !!" „Sie sind es, die ich mir als Ziel meines Strebens setzte und soll­te Gott Ihren verfluchten Wunsch sie von der Welt zu nehmen erhö­ren, so seyen Sie überzeugt, daß eine durch meinen Schedel pfeifen­de Kugel mich mit Ihnen, Sie ange­betete Mutter alsbald vereint."

Als die Mutter 1829 an Gebär­mutterkrebs stirbt, schreibt Lenau an Kleyle: „Das traurige Bild mei­ner hinschmachtenden Mutter wird mich mein Leben lang nicht verlas­sen" (27.7.1829). Und inderTat, an ihrem unerreichbaren Vorbild mißt er alle anderen Frauen, selbst Män­ner, etwa seinen Freund Karl May­er. Es versteht sich von selbst, daß Gedichte wie am „Grabe der Mut­ter" oder Fausts „Abschied" am „Grabe seiner Mutter" auch auto­biographisch interpretierbar sind. „Es war am Tag meiner Geburt", heißt es in einem seiner Liebes-„Zettel" an die Freundin Sophie von Löwenthal vom 13. 8. 1837, 11 Uhr, „Meine Mutter war dieser Tage vor fünfunddreißig Jahren ein banger und froher wie kein anderer, denn meine Geburt war äußerst schmerzlich und gefährlich, und ich war ihr von meinem ersten Au­genblick meines Lebens das Lieb­ste. Sie ist längst begraben. Sie hat mich zurückgelassen als dein vor­bestimmtes Erbe. Du darfst es nicht antreten. Und doch habe ich auf dein Leben einen gewaltigen Ein­griff getan; vielleicht es in Trauer gewandelt.Meine Mutter ist schuld­los daran. Sie wird sich aber freuen an unserem Unglück, an unserer Liebe. Es ist mir doch sehr wohl dabei, so heimlich für dich zu blu-ten.O du liebes.gewaltiges Weib!"

Die Briefe des jugendlichen Le­nau an seine Mutter, mit der der Band der neuen Lenauausgabe beginnt, befremden und beunruhi­gen in ihrer absolut gesetzten Mut­terliebe, sie lassen sich nicht als rhetorische Dankschreiben abtun, sie sind Pflicht-erf ühlung. Die neue Ausgabe macht dabei den Zugang zu diesen Briefen nicht bequemer, aber gerade das ist ihr Verdienst.

Dr. Bernhard Doppler ist Lektor an der Uni­versität Paderborn.

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