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Ihr Leitstern ist die Qualität

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Die Karl-Franzens-Universi-tät Graz, die Zweitälteste und zweitgrößte Österreichs, ist 400 Jahre alt. „Es ist für die Universität nicht gleichgültig, ob ein Volk sie noch trägt. Vernachlässigen unsere Hochschulen das, was die eigentliche Not unserer Menschen ausmacht, so werden sie mitverantwortlich für das Uberhandnehmen von Mächten, die schließlich sie selbst in Anspruch nehmen.” Gedankengänge wie diese des deutschen Soziologen Werner Hofmann und die Spannungen, in denen sich der zeitgenössische Wissenschaftsbetrieb bewegt, riefen nach einem über die Festgestaltung hinausreichenden Nachdenken, das sich in mehreren Publikationen niederschlug, vor allem in der offiziellen

Festschrift „Tradition und Herausforderung”.

Die Universität Graz bildet in sechs Fakultäten über 20.000 Studenten mit einem Lehrangebot von über 10.000 Wochenstunden aus. Hiefür stehen 1.563 Planstellen-144 ordentliche und 90 außerordentliche Universitätsprofessoren, 671 Assistenten, 80 weitere Angehörige des wissenschaftlichen Dienstes, 578 sonstige Bedienstete — zur Verfügung. Der Bestand der Universitätsbibliothek nähert sich der zweiten Million. Graz hat alle Probleme der Massenuniversität zu tragen.

Vor 400 Jahren mit gegenrefor-matorischer Zielsetzung durch landesfürstliche Entscheidung begründet — Erzherzog Karl II. von Österreich residierte als Chef der innerösterreichischen Linie der Habsburger in Graz -, wurde die vorerst aus Theologischer und Philosophischer Fakultät bestehende Universität dem Jesuitenorden übergeben. Zur reinen Staatsanstalt geworden, erfuhr sie 1778 eine Erweiterung durch Einrichtung der Juridischen Fakultät. 1782 wurde sie durch Joseph II. in ein Lyzeum umgewandelt, 1827 erfolgte die Wiedererrichtung durch Franz I. Nach 1848 setzte sich mit den Reformen des Ministers Leo Graf Thun-Hohenstein das Humboldtsche Modell der Universität als relativ autonome Stätte freier Forschung und Lehre durch. 1863 wurde die Karl-Franzens-Universität durch Begründung der Medizinischen Fakultät zur Volluniversität ausgebaut.

Der liberale Wissenschaftsund Fortschrittsoptimismus führte zu einer Blüte auch der Grazer Universität: Es wurden hervorragende jüngere Wissenschafter berufen, von 1872 bis 1895 erfolgte der Bau des neuen Universitätskomplexes im Geidorfviertel. Diese Expansionsphase wurde 1912 mit der Fertigstellung der neuen Kliniken im Rahmen des neuen Landeskrankenhauses in St. Leonhard abgeschlossen. Bis 1914 hatte sich die Universität Graz zu einer gut ausgestatteten Institution mit einem dem damaligen Wissenschaftsstandard entsprechenden Fächerkanon entwickelt. Das Grazer Wirken von hervorragenden Gelehrten wie Ernst Mach, Ludwig Boltzmann, Hugo Schuchardt, Alexander Rol-lett, Alexius Meinong, Ludwig Gumplowicz, Hans Gross und Joseph A. Schumpeter bezeugt dies.

Nach 1918 begannen Einschränkungen und Einsparungen, die sich zu Schließungsprojekten steigerten, doch ist die Tätigkeit der Nobelpreisträger Fritz 'Pregl, Otto Loewi, Victor Hess und Erwin Schrödinger Zeichen fortbestehender Qualität. Die dreißiger Jahre treffen die Universität schwer: Loewi, Hess und Schrödinger werden entlassen, das NS-Regime hebt die Theologische Fakultät auf. Der Wiederaufbau nach 1945 läßt die Universität Graz in den sechziger Jahren ihren alten Umfang erreichen und sogleich überschreiten. Auch Graz wird zur Massenuniversität in der Organisationsform der Gruppenuniversität.

Wissenschaft und ihr „Zentralort”, die Universität, haben in der Industriegesellschaft, deren materielle und immaterielle Ausgestaltung wesentlich von den Ergebnissen der Wissenschaft abhängt, mannigfache Veränderungen erfahren. Die Universität wirkt heute vom öffentlichen Interesse fast alleingelassen.

Fortschrittspathos und Wissenschaftsgläubigkeit schwächten sich deutlich ab. Wissenschaftsskepsis und Technikfeindlichkeit erfassen Teile der Jugend. Für manche ist der Individual- und Sozialwert der Wissenschaft nicht mehr selbstverständlich. Wie fern klingt uns das Wort von Karl Jaspers: „Die Universität ist die Stätte, an der Gesellschaft und Staat das hellste Bewußtsein des Zeitalters sich entfalten lassen.” Fragen der Lehre unter Bedingungen des Massenandrangs, wachsende Arbeitsplatzsorgen der Studenten und Assistenten, Abhängigkeit der Universität von der gesamtökonomischen Situation, besonders von der Finanzkraft der öffentlichen Hand - all dies drängt und ruft ebenso nach

Antwort wie die Grundfragen der Legitimation, nach Grenzen, Verantwortung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnis. Ich bin der festen Uberzeugung, daß die Lösung dieser Probleme nicht mit weniger Wissenschaft, sondern wieder nur durch Wissenschaft möglich sein wird.

Auch die Massen- und Gruppenuniversität muß ihre primäre Aufgabe in Forschung und Lehre sehen und mit Kraft und Witz auf höchste Qualität achten. Das bloße „Verfügungswissen” über Natur und Gesellschaft ruft nach „Orientierungswissen” in Natur und Gesellschaft (Jürgen Mittelstraß). Es geht um ein Optimierungsmodell bei knappen Mitteln.

„Universitäten sind immer Stätten der Forschung und Lehre, deren einziger Leitstern Qualität heißt. Diese Qualität zu messen, ist nicht leicht” (Ralf Dahrendorf). Sparnotwendigkeiten erleichtern die Qualitätswahrung nicht und zwingen zu klugen Bemühungen, auch in Gestalt immaterieller Förderung des großen in der Universität versammelten Humankapitals.

Nur solange und insofern die Universitäten Forschungsstätten und nicht bloße „Schulen” sind, ist ihre besondere Rechtsstellung gerechtfertigt. All die universitären Freiheits- und Autonomieansprüche — auch an ein großzügiges Dienstrecht — stehen und fallen mit der Qualität der Forschungsleistungen. Die Karl-Franzens-Universität arbeitet nüchtern und beharrlich an den Aufgaben der Wissenschaft, die zugleich die Probleme dieses Landes und seiner Menschen sind.

Der Autor ist ordentlicher Professor für Politikwissenschaft und Verwaltungslehre in Graz.

Inhalt:

Hanns Sassmann: Graz, eine Stadt der Bücher; Josef Krainer: Eine Politik der Nachbarschaft; Alfred

Stingl: Zwischen Planung und Hoffnung; Josef Riegler: Noch schwieriger als anderswo; Hans Weigel: Gut geblieben; Hans Hödl: Fünf Stunden bis zum Kläfferkessel; Grete Scheuer: Landarzt vor 80 Jahren; Gedichte von Alois Hergouth und Kurt Dieman.

STEIRISCHE ANSICHTEN: Die Bilder von Gerhard Trumler sind dem Band „In Sonnenlicht und Nebelkleid - Steirische Gedichte” von Kurt Dieman (Styria-Verlag) entnommen.

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