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Illusion der Kontrolle

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In den vergangenen Wochen -wurde der Bundesvoranschlag als der zahlenmäßige Ausdruck des politischen Handlungsprogrammes der amtierenden Bundesregierung im parlamentarischen Finanz- und Budgetausschuß von den Abgeordneten „peinlich genau“ durchgeackert, sodann im Plenum des Hohen Hauses kapitelweise diskutiert, bis zuletzt die parlamentarische Mehrheit mittels Abstimmung beweist, daß die Bundesregierung tatsächlich korrekt und vernünftig zu wirtschaften versteht; die Opposition hingegen durch Ablehnung des Bundesvoranschlages kundmacht, daß die Bundesregierung und insbesondere ihr Finanzrndnister die Gebote der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit gröblich verletzt haben. An diesem rituellen Vorgang beteiligen sich im österreichischen Parlament derzeit 183 Abgeordnete; in der Regel vernünftige Frauen und Männer, die mit ihrer Geschäftigkeit in den Tagen der Budgetdiskussion und -besehlußfassung der Öffentlichkeit weismachen wollen, daß das Budget auch- heute noch ein Regulativ der Volksvertretung gegenüber der Bundesregierung sei. Doch das ist eine Illusion, die sich aus der Zelt, da die Regierung nicht dem Parlament verantwortlich war, sondern als Instrument des konstitutionellen Monarchen fungierte, der seinerseits frei von jeder Verantwortung gegenüber dem Parlament war, in unsere Gegenwart herübergerettet.

Die Budgetkontrolle ist heute indes vorwiegend eine Ordnungsprüfung; es wird kontrolliert, ob die Ausgaben sich im Rahmen der haushaltsrechtlichen Zweckbestimmung halten, so wie im Haushaltsplan fixiert ist, und welches die Rechtsquellen der Einnahmen sind. Jede gründlichere Wirtschaftsprüfung, absehen als notwendig allgemein anerkannt, kommt dagegen zu kurz oder fällt ganz aus. So gesehen ist der Vollzug des Haushalts ein Vorgang, der von einem formalrechtlichen, behördlichen Denken bestimmt wird. Das, was in diesen Tagen kontrolliert, diskutiert und zuletzt von der Mehrheit akzeptiert wurde, ist — überspitzt formuliert — eine parlamentarisch gebilligte Gebrauchsanweisung für die Verwaltung. Wiewohl auch von Parlamentariern bemerkt wurde, daß der Einfluß des Parlaments am allergeringsten auf Vorlagen aus dem finanz- und wirtschaftspolitischen Bereich ist (SPÖ-Abgeordneter Dr. Fischer) und daß bei keiner anderen seiner vielen Tätigkeiten das Parlament so weit von seiner klassischen Funktion entfernt ist wie bei der Ausübung des Budgetrechts, wenden — wie jüngst die „Salzburger Nachrichten“ schrieben — die Parlamentarier alljährlich rund acht Wochen, 250 Redestunden und, das war 1968, 730 Wortmeldungen auf, um die statutarisch festgelegte, jedoch unerfüllbare „Kontroll“-Pflicht des Parlaments gegenüber der Bundesregierung auszuüben. Dennoch wird das Budget in der Regel genauso beschlossen wie es die Regierung formuliert hat. Dies geschah so zu Zeiten der großen Koalition, später zu Zeiten der von der ÖVP gestellten Bundesregierung und wird auch beim ersten Budget einer sozialistischen Regierung mit parlamentarischer Mehrheit als Rückendeckung geschehen. Das Budget 1971 war in diesem Zusammenhang eine

Ausnahmeerscheinung, die wiederum unter der Ausnahmebedingung einer Minderheitsregierung zustande kam.

„Ih einem modernen Staat“, meinte Max Weber, „liegt die wirkliche Herrschaft, die sich weder in parlamentarischen Reden noch in Enun-ziationen von Monarchen, sondern in der Handhabung der Verwaltung im Alltagsleben auswirkt, notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums“: der Bürokratie also. Vollends trifft das für die Finanzverwaltung zu. Die zunehmende Kompliziertheit der Finanz-und Steuergesetzgebung, die in immer stärkerem Maße der Auslegung, Erläuterung und Konkretisierung bedarf, um überhaupt anwendbar zu sein, weist dabei der

Finanzverwaltung eine besondere Stellung innerhalb der Bürokratie zu. Natürlich bleiben Budgets Handlungsprogramme von Regierungen, natürlich werden politische Zielvorstellungen darin in Zahlen gegossen, aber nicht zuletzt sind sie Produkte der Bürokratie. Oft sind die modernen Budgets zu umfangreich und kompliziert, als daß sie selbst allen Regierungsmitgliedern immer und ausreichend verständlich wären.

So konnte es geschehen und wird auch in absehbarer Zukunft wieder geschehen, daß ein Budgetentwurf, dem, in Hinblick auf die konjunkturelle Unsicherheit im kommenden Jahr, zentrale Bedeutung für die Stabilität unserer Wirtschaft zukommt, kaum unter dem Gesichtspunkt seiner Eignung zur Bewältigung eines Konjumktureinbrucbes geprüft wurde. Selbst Finanzminister Dr. Androsch ließ es in seiner Budgetrede bei Andeutungen und optimistischen Auslassungen bewenden. Seitens beider Oppositionsparteien wurde dieser Gesichtspunkt ebenfalls negiert. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie leicht es geschehen kann, daß bei Intensiver parlamentarischer Befassung mit dem budge-tären Kleinkram (eine Beschäftigung, die übrigens beiden Oppositionsparteien kaum etwas bringt) das Denken in etwas größeren Zusammenhängen verlorengeht.

So aber muß zur Geschäftigkeit degenerieren, was als intensive Beratung gemeint ist. Mit dem institutionell gegliederten Budget muß das zentrale Ziel der parlamentarischen Budgetbewilligung, die kritische Beurteilung der Gesamtpolitik der Bundesregierung und ihrer potentiellen ökonomischen Wirkungen, notwendigerweise verfehlt werden.

Aus dem Steuerbewilligungsrecht des Parlaments ist einst die moderne parlamentarische Demokratie entstanden. Dadurch konnte (einst) die Ausgabentätigkeit des konstitutionellen Monarchen beschränkt und beeinflußt werden. Die meisten institutionell verankerten Budgetprinzipien sind deshalb heute noch einseitig auf diese Kontrollfunktion des Parlaments orientiert; ein nicht minder wichtiger Bereich, die Bürokratie, die zu Zeiten konstitutioneller Herrscher eine eher untergeordnete Rolle spielte, bleibt übrigens von der parlamentarischen Kontrolle ausgeschlossen, worauf erst jüngst der stellvertretende Obmann des ÖVP-Arbeitnehmerbundes hingewiesen hat. Wenn heute das Budget der zahlenmäßige Ausdruck des politischen Handlungsprogrammes einer Regierung sein soll — Dr. Kreisky bestreitet dies übrigens mit Nachdruck für die von seinen Regierungen vorgelegten Budgets —, dann sind alle Vorkehrungen zu treffen, damit ein solches Programm tatsächlich aufgestellt, in seiner Durchführung überprüft und hinsichtlich seiner Wirkungen analysiert werden kann. Diese Forderung führt weg vom veralteten einseitig kontrollorientierten Verwaltunsbudget und hin zum zeitgemäßen Progammbudget.

Eine solche Budgetkonzeption wäre wert, im Rahmen einer österreichischen Haushaltsreformdiskussion vorrangig behandelt zu werden. In einem Programmbudget müßte etwa festgelegt sein, welche Aufgaben von welchem Ministerium aus welchen Ressourcen erfüllt werden müssen, um die Zielprojektionen einer Regierung zu realisieren. Eine sinnvolle Planung müßte von einer Bestandsaufnahme der insgesamt zur Verfügung stehenden Ressourcen ausgeheh, um die die einzelnen Programme dann entsprechend den von der Regierung zu setzenden Prioritäten gewissermaßen zu konkurrieren haben. Die Programmgliederung und die Aufschlüsselung des Finanzplanes wäre sodann in die Jahresbudgets zu übernehmen. Ein solcher Entwurf wäre ein Grundriß für die politische Generaldebatte des Parlaments. Dann, sicherlich, könnte der Eindruck vermieden werden, Abgeordnete und Minister befaßten sich nicht mit dem Thema, sondern redeten zur TV-Kamera hin, wozu es bei der für eine allgemeine politische Diskussion ungeeigneten institutionellen Gliederung des Bundesvoranschlages leider kommen muß.

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