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Im Ausland unbekannt: Das österreichische Buch

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Am 6. November, dem letzten Tag der österreichischen Buchwoche 1978, dankte Hans Weigel im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg für den ihm verliehenen Sachbuchpreis der Buchgemeinschaft Donauland mit einer Rede zum Thema „Muß der Buchhandel“ - er meinte damit vor allem den österreichischen Buchhandel ) „so sein?“. Antwort gab Weigel keine, er illustrierte nur das Sosein des Buchhandels und ließ die Frage, die er in den prächtigen Raum gestellt hatte von Satz zu Satz größer werden, bis sie ihm - und sicher auch seinen Zuhörern als Anklage erdrük-kend genug schien, samt entsprechender Strafdrohung. Muß der Buchhandel so sein? Das wäre schlimm, denn er ist so zum eigenen Nachteil und zum Nachteil der Leser.

Unter anderem zitierte Weigel die Resultate einer selbstveranstalteten Mini-Marktforschung, wonach schon im nahen München dem Durchschnittsbuchhändler einige von Weigel für diesen Zweck herausgegriffene, allen Anwesenden bekannte Größen aus dem österreichischen Dichterhain oft nicht einmal als Fremdwörter bekannt sind. Und weiter gegen Norden wird es noch finsterer.

„österreichischer Autor“ und „österreichischen Buch“ ist freilich nicht dasselbe, aber Weigel hatte eine Beispiele so ausgewählt, daß sie fast durchwegs für beides standen, und er sagte uns wieder einmal hinein: Daß viele Bücher, um die es schade ist, von Verlegern und Buchhändlern sträflich vernachlässigt werden und so schließlich aus dem Bewußtsein der Leser zu verschwinden drohen.

Soweit sich Weigels Beispiele im Ausland ereignet hatten, war dieses Ausland die Bundesrepublik gewesen, und selbstverständlich sind Bundesrepublik und Schweiz für das österreichische Buch eine ganz besondere Art Ausland. 1977 nahm die Bundesrepublik rund vier Fünftel der 652 Millionen (zu Schilling-Nettopreisen) auf, die von unseren Buchproduzenten ausgeführt worden sind. Geben wir dann noch ein grobgeschätztes Zehntel den Schweizern, so blieb für die übrige Welt das letzte Zehntel, runde 65 Millionen.

„Bundesrepublik und Schweiz als Exportmärkte für das österreichische Buch“ wäre ein eigenes, langes Kapitel: Warum ist das österreichische Buch dort drüben im Buchhandel keineswegs so präsent, wie man als bescheidener Österreicher vielleicht unter dem Eindruck der vielen Millionen glauben möchte? Sind die anderen psychologischen Voraussetzungen bei den Lesern daran schuld, wie es die Verleger den Autoren gegenüber gern behaupten, ist es eine freiwillige oder unfreiwillige Beschränkung österreichischer Verleger und Autoren auf österreichische Themen - oder ist es die Unfähigkeit, einen guten Vertriebsapparat aufzubauen? Wahrscheinlich wirkt das alles zusammen, und als Ergebnis kommt heraus, daß das österreichische Buch nicht einmal in den beiden anderen Ländern des deutschen Sprachraums, bei denen alle Bedingungen für einen unbehinderten kulturellen Austausch vorhanden wären, so da ist, wie wir es gern haben würden.

Zur Bedeutung des österreichischen Buches darf ich einiges sagen, da ich mich die letzten sieben Jahre lang in Ländern herumgetrieben habe, wo das Deutsche eine Fremdsprache ist, zuerst in der Türkei und dann in England.

Klar sein muß man sich da wohl zunächst über die Tatsache, daß in Ländern, wo nur relativ wenige das Deutsche als Fremdsprache so beherrschen, daß sie es zu ihrem Vergnügen lesen, ganz allgemein alles Deutschsprachige zur Fachliteratur

wird, vom wirklich wissenschaftlichen Werk bis zur Belletristik. Wer solche Bücher liest, für sie ansprechbar ist und sie unter Umständen sogar braucht, ist daher ziemlich leicht zu überblicken: Klammert man die echte Fachliteratur aus, so bleiben, wo es so etwas (noch oder wieder) gibt, die Angehörigen einer deutschsprachigen Diaspora; die kleinen Gruppen der Polyglotten, die ihre Deutschkenntnisse pflegen wollen, und die Germanisten aller Grade, Mittelschüler und Universitätsstudenten, Lehrer und Professoren.

Wenn unsere Kulturvertretungen im nicht-deutschsprachigen Ausland für das österreichische Buch werben, setzten sie damit regelmäßig und vernünftigerweise bei den Universitätsgermanisten an. Allerdings ist auch das eine im Grund genommene indirekte Werbung, denn „verkaufen“ wollen wir ja eigentlich nicht so sehr das österreichische Buch, das wir in diesen Fällen sowieso der Universität meistens schenken, sondern den österreichischen Autor. Wo der Autor verlegt ist, sollte im Prinzip nichts ausmachen, aber praktisch sind für die Beschaffung von österreichischen Verlagsprodukten die Förderungsmittel leichter aufzutreiben, sodaß es dann auch das österreichische Buch ist, das in die rechten Hände kommt. Wichtiger jedoch bleibt weiterhin der Autor, und das Ganze geschieht vor allem in der Erwartung, daß es nicht immer nur mit dem Lesen abgetan ist, daß es den Anstoß zu wissenschaftlicher Arbeit gibt, die ihrerseits eine Multiplikatorwirkung hat und mit viel Glück vielleicht zu einer Ubersetzung, und so zu einem nicht mehr österreichischen Buch führt.

Weil es aber hier nicht so sehr um die Umwege der Kulturvertreter als um meine privaten Beobachtungen am Ort geht, muß ich zu meinem Bedauern feststellen, daß außerhalb von spezialisierten Bibliotheken deutschsprachige Bücher in London wie in Istanbul - und wo sonst noch könnte es in den beiden Ländern sein? - gar nicht leicht zu finden waren. In Istanbul gibt es zwar eine deutsche Buchhandlung, in London deutsche Abteilungen in den paar größten Buchgeschäften, aber das Angebot ist sehr beschränkt, macht einen merkwürdig zufälligen und zugleich einseitigen (sprachwissenschaftlich orientierten) Eindruck, von liebevoller Präsentation keine Rede.

Interessant sind London und Istanbul nicht als Parallelen, sondern als Gegensätze. Istanbul ist mit seiner einzigen deutschen Buchhandlung in diesem Punkt wahrscheinlich besser versorgt als London mit seinen ebenso spärlichen wie vernachlässigten deutschen „Abteilungen“, obwohl die Zahl potentieller Kunden in London bestimmt viel größer ist als in Istanbul. In London leben derzeit angeblich an die 70.000 deutschsprachige Menschen und darunter ganz gewiß mehr Leser als etwa in irgendeiner deutschen oder österreichischen Kleinstadt dieser Einwohnerzahl.

Ich habe keine Ahnung, in welcher Form und wo jene 65 österreichischen Büchermillionen niedergegangen sind. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß einiges davon in London und sogar in Istanbul liegt. So trist müßte es aber nicht ausschauen. Außerhalb des deutschen Sprachraums ist das österreichische Buch für den, der ihm nicht aus irgendwelchen besonderen Gründen nachstöbert, derzeit kaum mehr als nicht vorhanden. Trotzdem gibt es Plätze - und da sind Istanbul und London nur Beispiele, keine Ausnahmen -, wo auch das österreichische Buch seine Chancen hätte. Nur fehlt es anscheinend an Händen, die solche Chancen ergreifen.

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