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Digital In Arbeit

Im Büro und doch zu Hause

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Hunderttausende müssen sich in überfüllte Straßenbahnen pferchen oder mit ihren Autos durchs Verkehrsgewühl kämpfen — der glückliche Besitzer eines Heimbüros vermag den morgendlichen Weg zum Schreibtisch in Sekunden (und in Pantoffeln) zurückzulegen. Und wenn ihm danach zumute ist, schreitet er gar

noch unrasiert und im Schlafmantel ans Tagwerk.

Privilegien dieser Art mögen der Masse von Arbeitnehmern geradezu paradiesisch und elitär erscheinen, sie sind aber keinesfalls einer statistisch zu vernachlässigenden Minderheit vorbehalten. Der Wiener Marketingberater Peter Nuschei schätzt das Potential jener Freiberufler, die ihren Jobs in den eigenen vier Wänden nachgehen, auf 6,6 Prozent der österreichischen Bevölkerung, das sind rund eine halbe Million Personen in 185.000 Haushalten.

Zu diesen Vertretern der „neuen Kopfarbeiterklasse“ gehören Angehörige von etwa 50 Berufen, insbesondere Grafiker, Designer, Werbetexter, Journalisten, Betriebs-, Werbe-, Public Relationsund Vermögensberater, Fotografen, Ubersetzer, Marktforscher, Verkaufstrainer und so weiter.

Personal Computer und Geräte der modernen Bürokommunikation begünstigen die Entstehung von Heim-Arbeitsplätzen.

Das New Yorker Marktforschungsunternehmen Link Res-sources prophezeite, daß 1991 mehr als 13 Millionen Amerikaner ihren Jobs in den eigenen vier Wänden nachgehen würden. Es steht damit im Gegensatz zu Bestseller-Autor John Naisbitt („Megatrends“), der die hochgeschraubten Erwartungen mit der lapidaren Feststellung dämpft: „Menschen sind lieber mit Menschen zusammen. Je höher die Technologie, desto höher das Kontaktbedürfnis.“

Die Ängste der Menschen vor sozialer Isolierung wurden durch eine Untersuchung des Wiener Marktforschungsinstitutes OGM belegt: in einer Gruppenexplora-tion nannten Angehörige verschiedener freier Berufe als Motive für die Arbeit zu Hause den Wunsch nach Ruhe und Ungestörtheit, die Freiheit und Bequemlichkeit, aber auch die Möglichkeiten der kreativen Entfaltung und der flexiblen Arbeitszeit. Als größte Risken wurden der Wegfall von Gruppeneffekten und Tratsch, der Verlust von Arbeitsmoral und die Beeinträchtigung des Familienlebens („mit der Arbeit nicht aufhören können“) eingestuft.

Generell glaubten die Testper-

sonen, die häusliche Arbeit käme infolge günstigerer, streßloser und entspannter Stimmung ihrer Gesundheit zugute. Das ideale Heimbüro müßte, ihren Vorstellungen entsprechend, die Funktion eines Büros und die Optik eines Wohnraums haben. Der Arbeitsraum solle „öffentlich“ („Hier arbeite ich“) und Spiegelbild der eigenen Persönlichkeit sein. Je kreativer der Beruf der Befragten, desto ausgeprägter ihr Wunsch nach einem derartigen „Spiegelbild“.

Zu den Anforderungen ans „ideale“ Heimbüro gehören ein „professioneller“ Schreibtisch mit vielen Laden, Fächern und Versperrbarkeit, ausreichender Stauraum und die „Unterordnung“ der Technik: Geräte wie Kopierer oder Anrufbeantworter sollten „versteckt“ werden können - ausgenommen der Personal Computer, der als ausgesprochenes Statussymbol dient.

Der Schweizer Designer Peter Rindiisbacher hält die Entwicklung der Büromöbel für ein Abbild der wirtschaftlichen Verhältnisse: in der Nachkriegszeit sei es zunächst ausschließlich um Bedarfdeckung gegangen, in den

sechziger Jahren um Anpassungsfähigkeit, weshalb Baukastensysteme und Büroorganisation aufgekommen seien. In den siebziger Jahren sei die Bedeutung der Technik gestiegen, die zu nüchternem Zweck-Design mit Möglichkeiten der Verkabelung geführt habe.

Derzeit hielten wir beim Versuch, die Bürotechnik mit arbeits-und zugleich menschenfreundlicher Atmosphäre zu verbinden. Büros würden wieder wohnlicher, bequemer, intimer. Das Zunehmen von Naturprodukten wie Wolle, Leder und Holz bei gleichzeitiger Abkehr vom Chrom entspreche der gesellschaftlichen Großwetterlage, die zurück zur Natur strebe und die Technik auf den Rang der Selbstverständlichkeit zurückdränge.

Aus der OGM-Untersuchung ging hervor, daß sich die Testpersonen vom Möbelhandel unverstanden fühlten. Sie vermißten Aktivitäten und Angebote der Einrichtungswirtschaft und kritisierten, daß es entweder nur Wohn- oder nur Büromöbel gebe. Den Vorwurf weist beispielsweise die Wiener Geschäftsfrau Gitta Hettler zurück: sie eröffnete erst

vor wenigen Wochen ein 450 Quadratmeter großes Spezial-Studio für Heimbüros („mc Wohnbüro“) — das mutmaßlich erste dieser Art in Österreich.

Hettler beruft sich auf Peter Rindlisberger, der zu ganzheitlicher Betrachtung dieses Themas auffordert: „Die Bürotechnik mit arbeits- und menschenfreundlicher Atmosphäre erfordert eine Gesamtgestaltung der Räume.“

Die Wohnbüros der Freiberufler hätten vor allem „individuell“ zu sein, was in Anbetracht der heterogen zusammengesetzten Zielgruppe gar nicht so leicht sei. Häufig müßten auch vorhandene Einzelmöbel, Lampen, Vitrinen, Uhren, Kunst- und Sammlergegenstände ins Büro integriert werden.

Setzen die am Markt befindlichen Erzeuger beziehungsweise größeren Händler auf Serien-Büromöbel mit wohnlichem Charakter, so schwört Gitta Hettler auf maßgeschneiderte Lösungen, die den rasanten Entwicklungen der Bürotechnik und der Persönlichkeit des Büroinhabers Rechnung tragen: „Hier dürfte tatsächlich eine Marktlücke bestehen ...“

Der Autor ist Inhaber einer PH-Agentur in Wien.

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