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Im Burgenland: Kultürbeamter'

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„Es ist die Gesamtaufgabe der Kulturzentren, immer mehr Wissen an immer mehr Mitbürger zu vermitteln, um immer mehr Mitbürgern immer mehr Mitbestimmung zu ermöglichen und ihnen damit die Möglichkeit zur eigenen Entscheidung über das eigene Schicksal zu geben“. An diesen Satz halte ich mich. Er ist von mir. Er steht in den Richtlinien.

Die Richtlinien heißen: „Allgemeine Richtlinien über Aufgaben, Leitung und Benützung der Kulturzentren im Burgenland“. Unter Punkt 2 steht: „Die Leitung der Kulturzentren obliegt dem vom Vorstand bestellten Geschäftsführer. Im Rahmen seiner kulturellen, organisatorischen und finanziellen Leitung ist es seine Hauptaufgabe, eine den Richtlinien entsprechende, sinnvolle und rationelle Auslastung der Kulturzentren zu erreichen“.

„Der Geschäftsführer“, heißt es,_ „zugleich kultureller Leiter ...“ Das bin also ich. Seit dem 1. Februar 1975. Damals: Geschäftsführer von drei Baustellen (= Mattersburg, Güs-sing, Jennersdorf). Kultureller Leiter noch nicht existierender Kulturzentren. „Was haben Sie seither gemacht?“, fragte mich im Februar 1976 ein Rundfunkreporter. Ich habe viel telephoniert. Ich bin zum Schrecken aller Leute geworden, bei denen ich gerade vorbeikomme. Weil ich ihr Telephon blockiere. Meistens für Auswärtsgespräche. Mein Büro in Mattersburg ist noch nicht fertig. In dem noch nicht fertigen Büro gibt es kein Telephon. Mit Karl Böhm habe ich nicht telephoniert, wegen des Eröffnungskonzerts. Auch mit Klingenberg nicht, wegen eines Burgtheatergastspiels. Ich telephoniere hauptsächlich mit dem Telegraphenbauamt. Damit ich wenigstens am 22. Mai schon ein Telephon im Haus habe. Am 22. Mai ist die Eröffnung des Kulturzentrums Mattersburg. „Was haben Sie gemacht?“, fragte mich der ORF-Mann. Einen Gastwirt gesucht, der bereit war, das Büffet zu übernehmen. Mit dem Architekten diskutiert, ob Sessel mit oder ohne Armstütze zweckmäßiger sind. Nachgefragt, welche Alarmvorrichtungen für eine Kunstausstellung erforderlich sind, damit die Versicherung das Risiko übernimmt. Gegen Vorhänge statt mobiler Trennwände gekämpft. (Vergeblich. Die Trennwände hätten fast eine Million gekostet.) Gegen einen schmutzanfälligen Teppichboden statt einem pflegeleichten Belag gekämpft. (Erfolgreich. Keine Mehrkosten.) Im übrigen habe ich nachgedacht, wie ein Kulturzentrum eigentlich funktionieren soll. Es gibt leider kein Vorbild, nach dem ich mich richten könnte. Gottlob gibt es kein Vorbild, nach dem ich mich richten müßte.

Was ist eigentlich ein Kulturzentrum?

Ein Theater. Ein Konzerthaus. Ein Ausstellungsgebäude. Ein Institut für Erwachsenenbildung. Ein Klub (für Parteien, Fraktionen, Vereine). Noch ein Klub (für Jugendgruppen). Eine Discothek. Ein Kaffeehaus. Eine Sauna. „Und das habt ihr erst erfinden müssen?“ wurde gehöhnt. „Das gibt's doch längst“. Stimmt. Das gibt's längst. In jeder größeren Stadt. Nur im Burgenland gibt's leider keine größere Stadt. Schon gar keine Großstadt. Warum soll der Burgenländer, weil er in einer Kleinstadt, in einer Marktgemeinde, in einem Dorf lebt, alles das .licht haben, was in anderen Bundesländern längst selbstverständlich ist? Noch dazu sollte, was es in den großen Städten auf Dutzende Gebäude verteilt gibt, unter ein Dach gebracht werden. Eben Kultur-Zentrum!

„Betonmonster“ hat es einmal geheißen. Die von der Idee Begeisterten (= sehr wenige) hatten es zunächst den Obergescheiten (sehr vielen) gegenüber nicht leicht. Die Obergescheiten meinten nämlich, man sollte lieber die diversen vorhandenen alten Schlösser (= sehr viele) reparieren, restaurieren, revi-talisieren, statt das ganze schöne Geld für Neubauten (= „Betonmonster“, siehe oben!) ausgeben. Die Obergescheiten übersahen nur, daß man in noch so schön renovierte Schlösser weder Theater, noch Konzerthäuser, noch Volkshochschulen so einbauen könnte, daß sie wirklich Theater, Konzerthäuser, Volkshochschulen sind. Außerdem stehen die bewußten Schlösser leider nicht dort, wo die bewußte Kultur ein Dach über dem Kopf brauchte. In den regionalen Zentren nämlich (= Bezirksvororte).

„Jetzt bekommen wir ein Kulturzentrum“, beschwerte sich eine Dame, „und jetzt dürfen wir nicht hinein“. Die Dame sprach für einen Gesangsverein (in Mittersburg), der einen Raum für seine Proben sucht.

Woher sie das weiß, daß der Gesangsverein nicht hinein darf?

Jemand hat es gesagt!

So mancher sagt so manches. Das ist so bei den Dingen, für die es kein Vorbild gibt. Und mancher ist beleidigt, weil man ihm nichts gesagt hat. Dabei hat mancher nur nicht zugehört. Ich bin nämlich als Wanderprediger unterwegs. Und Prospektverteiler. Manche alte Freunde weichen mir schon aus, weil sie meine Kulturzentrum-Story nicht mehr hören können.

Eine andere Dame (nicht in Mattersburg) fragte mich: „Wozu soll das gut sein, so ein Kulturzentrum? Wenn ich ins Theater gehen will, fahre ich nach Graz. Bei uns wäre ein Hallenbad viel wichtiger gewesen“.

Natürlich. Wer fährt schon ger bis Graz, wenn er baden wi Anderseits: Im Hallenbad kann der Gesangsverein nur unzulänglich proben. Ob man ihn dort überhaupt hinein läßt?

In das Kulturzentrum darf er hinein. Soll er sogar. Dafür ist es da. Und auch dafür, daß die Burgenländer nicht mehr nach Graz (oder Wien) fahren müssen, wenn sie im Theater ins Theater gehen wollen.

Was machen Leute, die nicht in Mattersburg, Güssing oder Jennersdorf wohnen?

Das langfristige Konzept sieht den Bau mindestens eines Kulturzentrums in jedem Bezirk vor. Was werden Leute machen, die nicht dort wohnen, wo die Kulturzentren dann stehen werden? Am liebsten wäre ich ohnehin kultureller Leiter ambulanter Kulturzentren geworden, die auf Rädern von Ort zu Ort fahren. Die Architekten behaupten, da seien sie überfordert. Außerdem: Wer beispielsweise aus dem 12. Wiener Gemeindebezirk, Meidling genannt, zum Burgtheater fährt, der braucht garantiert länger als ein Pinkafelder nach Güssing. „Die Wiener sind das gewohnt“, sagte ein Pessimist. Pessimisten halten mich besonders häufig auf der Straße auf, um mir ihre Bedenken mitzuteilen: Ob der burgenländische Raum, die Regionen der kleinen Städte und Dörfer, ob sie die kulturellen Möglichkeiten nützen werden, die die Kulturzentren anbieten?

Ja, das ist eben die Aufgabe!

Nichts ärgert mich mehr als die Überheblichkeit im Hochkultur-Parkett. Das sind die Leute, die nicht zu Beethovens, sondern zu Karajans Fünfter gehen. Wessen das Burgenland bedarf, ist nämlich keine Importkultur für Sonntagsausflügler, kein Kunstzuschuß zur schönen Gegend. Was ich nicht leiden kann, ist die Zuschau- und Zuhör-Kultur als Feiertags-Zusatz-verpflegung (die man auch fortlassen kann).

Ich stelle mir Kultur als Alltagskost vor (die aus dem Küchenzettel nicht mehr wegzudenken ist).

Wird genug unterstützt? Fritz Wotruba hat einmal zu mir gesagt: „Noch nie zuvor haben Künstler, vor allem junge Künstler, so viel verdient wie heute“. Steht's also bestens mit der Kunstförderung? Da war Wotruba anderer Meinung: „Sie hetzen mir alle Hunde auf den Hals, die es auf der Wiener Kunstszene gibt“, pfauchte er mich an. „Ich sage es trotzdem: Man kann Kunst nicht amtlich fördern. Dann fördert man zwangsläufig das Mittelmaß, weil es in der Überzahl ist“.

Die Kulturbeamten mit der Gießkanne. In Kärnten hat mein Freund Giselbert Hoke, der Maler, einen Feldzug gegen diese Kulturbeamten begonnen. Über Kunst sollen die Künstler entscheiden.

Durch Mehrheitsbeschluß? Ein solcher Beschluß von Künstlern über die Kunst ist weltberüchtigt geworden. Da wurde ein Bild des Malers Josef Engelhardt zur Jahresausstellung des Wiener Künstlerhauses nicht zugelassen. So kam die Wiener Secession auf die Welt. Mir fällt schon wieder ein Zitat ein. Von Albert Paris Gütersloh: „Kunst muß durch das Filter der Zeit gehen. Vorher weiß niemand, ob ein Kunstwerk in der Galerie oder auf dem Misthaufen landet“.

„Was wirst du für die Kunst tun?“, fragte mich mein Freund Rudolf Kedl, der Bildhauer aus Markt Neuhodis, dessen Plastiken und Reliefs heuer auf die Biennale nach Venedig gehen. Ja, was? In den Richtlinien steht: „Die Kulturzentren sind nicht dazu bestimmt, Tummelplätze einer extremen Subkultur zu sein.' Grundsätzlich ist jedoch keine Erscheinungsform der kulturellen Gegenwart auszuschließen.“

Da habe ich es also: Ich bin ein iCulturbeamter geworden, der Kunst lach Richtlinien fördern soll.

Kedl meinte: „Hol dir ein paar junge Maler und laß sie das Kulturzentrum innen und außen anpinseln. Das wäre eine kulturelle Tat.“

Ich glaube, daß man durch Schock weniger erreicht als durch Bildung. Nicht nur Subjektförderung (des Künstlers), sondern vor allem Objektförderung (des Kunstkonsumenten). Der Mensch ist ein rauher Stein, der ein Leben lang der Bearbeitung bedarf. Die Mediziner sprechen von Bahnungen im Gehirn. Das Gehirn reagiert auf Signale. Optisch (= Bildende Kunst). Akustisch (= Musik). Intellektuell oder emotionell (= Literatur). Das Signal kommt an, wenn die Bahnung im Gehirn vorhanden ist. Der gewohnte Eindruck. Dem ungewohnten Eindruck widersetzt sich das Gehirn zunächst. (Abstrakte Kunst, atonale Musik.) Wer sich von der gewohnten Realität entfernte, hatte es immer schon schwer. Als Rembrandt die „Nachtwache“ malte, weigerten sich die Mitglieder der Amsterdamer Schützengilde, das Bild entgegenzunehmen, weil sie sich darauf nicht wiedererkannten.

Deshalb hat es der Kitsch so leicht, als Kunst zu gelten. Er bedient sich der Bahnungen, die die Realität im Gehirn hinterlassen hat. Deshalb hat es der Kunstkonsument so schwer, zu entscheiden, ob ihm Kunst vorgesetzt wird. Oder Schmäh. Im Literaturgehirn wird die Bahnung schulmäßig betrieben. Von Aischylos bis Grillparzer (die uns sonst auch kaum verständlich wären). Würde man uns die zeitgenössische Literatur ebenso eintrichtern wie Goethe und Schiller,hätten die der Schule entkommenen Leser mit Handke keine Schwierigkeiten. Auch in der Literatur also: Förderung der Konsumenten (= Leser). Die Bahnung ist ,ein mühevoller Weg. Wenn ich Leute in Kunstausstellungen sagen höre: „Das kann mein Bub auch, und der ist sieben Jahre alt“, dann antworte ich immer: „Dann lassen Sie ihn doch, den Buben!“

Noch etwas aus den Richtlinien: „Die Menschen sollen hingeführt werden zur Mitentscheidung auch im kulturellen Bereich, sie sollen aktiviert werden zur Selbstgestaltung.“

Laß dir nicht nur was vormalen, mal selbst was!

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