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Im Exil weiter für die Freiheit

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Der österreichische Widerstand wurde nicht nur in der Heimat oder beim Militär geleistet. Auch die vertriebenen Schriftsteller übernahmen in ihren recht unwilligen Gastländern diese Aufgabe. Wenn sie nicht gleich bei ihrer Ankunft interniert wurden, konnten sie in der Exilpresse zu den Vorfällen in der Heimat Stellung nehmen und aufklärend wirken. Ihr Leserkreis beschränkte sich freilich auf ihre Leidensgenossen. Erst später konnten sie durch die Rundfunksender ihrer Gastländer auch die Hörer in der Heimat erreichen.

Wichtigere Öffentlichkeitsarbeit wurde in österreichischen Vereinigungen im Exil, im „Free Austrian Movement“, auch im „Deutschen Kulturbund“ und im „österreichischen PEN im Ausland“ geleistet; Franz Werfel war Präsident, Robert Neumann sein Stellvertreter. Die Zeitungen nahmen Notiz von den Versammlungen und berichteten über die Reden, die dort gehalten wurden, über die Zukunftspläne zur Neugestaltung Österreichs nach dem Krieg. Flugblattaktionen und österreichische Theateraufführungen, wie im Londoner „La-terndl“, mit politischem Kabarett, wurden von den Politikern zur Kenntnis genommen.

Der wichtigste Beitrag, der erst heute erforscht wird, bestand jedoch in den politischen Schriften, Tatsachenberichten und Romanen der vertriebenen Autoren. Im Gegensatz zur deutschen Emigration, deren Mitglieder bewußt an der deutschen Sprache festhielten, ging eine Reihe von österreichischen Schriftstellern zur englischen Sprache über; so erreichten sie einen ungleich größeren Leserkreis.

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat bereits mehrere Exilländer und die Tätigkeit ihrer Asylwerber vorgestellt. Für viele österreichische Schriftsteller begann das Exil bereits nach der Katastrophe des Februar 1934. Ihr Fluchtweg führte sie entweder über Prag in die Sowjetunion, wie Ernst Fischer, oder nach England und in die USA, nach Mexiko, Südamerika, bis nach Schanghai.

Prag als Zwischenstation auf dem Weg ins Exil wurde wegen des politischen Theaters, besonders aber wegen der Zeitschriften wichtig: Hier entstanden die „Neuen Deutschen Blätter“ und der „Gegen-Angriff“. In beiden schrieben Egon Erwin Kisch, der sich später nach Mexiko retten konnte, und Hugo Huppert, der als Dichter und Ubersetzer aus dem Russischen viele Jahre in der Sowjetunion arbeitete.

Deutsche und österreichische Schriftsteller und Politiker konnten in der Sowjetunion ihre Bücher veröffentlichen, die in eigenen Verlagen erschienen: hier sind der „Verlag für fremdsprachige Literatur“, „Das internationale Buch“, der „Staatsverlag für nationale Minderheiten“, alle in Moskau, zu nennen, wo Johannes Becher, Klara Blum, Willi Bredel, Berta Lask oder Georg Lukäcs wichtige Schriften publizierten; Hugo Huppert schrieb in Engels und in Moskau. Nach Stalingrad, als eine große Zahl deutscher Kriegsgefangener kam, arbeiteten die österreichischen Emigranten an Lagerzeitungen mit, wie etwa am „Freien Wort“. Sie hielten Vorträge, auch über den Rundfunk; es wurde aber nicht nur politikwissenschaftliche Arbeit geleistet, es gab Vorlesungen über deutsche Lyrik, literarische Abende und Theatervorstellungen.

Andere Vertriebene gingen über Prag nach England, so etwa Oskar Kokoschka, Hermynia Zur Mühlen, Ilsa Barea und Ludwig Winder.

Der bürokratische Hindernislauf, immer unter Todesgefahr, war nach geglückter Ausreise aus Osterreich nicht zu Ende: Robert Braun schildert in seinem erschütternden Bericht „Abschied vom Wienerwald“, wie er endlich von Schweden aufgenommen wurde. Eine Aufenthaltsgenehmigung etwa in der Schweiz zu erhalten, war äußerst schwierig.

Von England aus wurden die Flüchtlinge oft nach Kanada oder Australien abgeschoben, auf Schiffen, die wochenlang Gefahr liefen, von deutschen U-Booten versenkt zu werden. Manche Vertriebene konnten in die USA einreisen, wie Hermann Broch, für dessen Freilassung sich Albert Einstein und Thomas Mann eingesetzt hatten; auch Friedrich Torberg, Johannes Urzidil, Ernst Lothar, Franz Blei, Albert Ehrenstein und Max Reinhardt konnten in die USA gehen. Die meisten von ihnen hatten in England die letzte Bastion Europas gesehen und waren nur ungern weitergezogen: Stefan Zweig nach Brasilien, wo er Selbstmord beging, oder Franz Werfel, der in Kalifornien an gebrochenem Herzen starb, wie sein Freund Friedrich Torberg berichtet. Die Schriftsteller, die geglaubt hatten, in Südfrankreich sicher zu sein, wurden bitter enttäuscht. Entweder gelang ihnen in letzter Minute die Flucht über die Pyrenäen, oder sie wurden in französischen Lagern interniert und in deutsche Konzentrationslager abtransportiert.

Wie konnten, unter ständiger Lebensbedrohung, die österreichischen Schriftsteller von ihren Asylländern aus, die ihnen zumeist jede politische Tätigkeit untersagten, zum Widerstand beitragen? Vor allem war hohes literarisches Niveau Grundbedingung, um sich Gehör zu verschaffen. Was Qualität hatte, wurde in den Zeitungen eingehend gewürdigt: Robert Neumanns politische Romane, von denen manche nie auf Deutsch erschienen sind; Bru-

Herbert Friedl, Chancenlos no Heiligs KZ-Bericht „Vlen Cru-cif ied“, zu einer Zeit, als über diese Vernichtungslager bei den Alliierten noch keine Klarheit herrschte.

Der letzte österreichische Botschafter in England bis März 1938, der hochangesehene Sir George

Franckenstein, widmete seine Vorgeschichte des „Anschlusses“ dem Wiedererstehen Österreichs. Die politische Aufklärungsarbeit in Büchern, Artikeln und Vorträgen über Österreich von Willi Frischauer, Julius Braunthal, Guido Zernatto, Franz Borkenau oder Hans Flesch-Brunningen war von großer Bedeutung.

Dazu kamen noch die Bücher von einer Reihe beherzter Frauen und überzeugter Patriotinnen wie Martina Wied, Hermynia Zur Mühlen, Salka Viertel, Ilsa Barea, Elisabeth Freundlich und Hilde Spiel; von der jüngeren Generation ist vor allem Erich Fried zu nennen. Sie bewiesen, daß sich die Feder als Waffe im Kampf gegen Unterdrückung und Ungeist noch immer bewährt.

Abgesehen von den politischen Schriften war aber auch die kulturelle Präsenz Österreichs im Exil wichtig, weil sie dazu beitrug, die Regierungen der Gastländer von der Notwendigkeit der Wiedererrichtung eines österreichischen Staates zu überzeugen. Die vertriebenen Direktoren der großen Wiener Museen, Gustav Glück und Hans Tietze, der Kunsthistoriker und Dichter Ludwig Goldscheider, Sir Karl Popper oder Sir Ernst Gombrich waren Botschafter Österreichs im Exil.

Aber nicht nur durch Veröffentlichungen, durch Bücher oder Artikel in Zeitungen, konnten Literaten im Exil zum Widerstand beitragen; vor allem war das gesprochene Wort wichtig: österreichische Schriftsteller hielten Vorträge über die Zustände im NS-Staat, vor Journalisten wie vor Fabriksarbeitern; sie waren gesuchte Mitarbeiter bei den Radiosendungen, zum Beispiel der BBC, die für die Hörer in der Heimat die einzige Luftbrücke zur

Welt bedeuteten. Robert Lucas, Hans Flesch-Brunningen, Robert Neumann, Ernst Gombrich, der später geadelte Verleger Sir George Weidenfeld, Ilsa Barea und andere gestalteten die Programme. Carl Brinitzer hat sie in seinem Buch „Hier spricht London“ als eine der „wichtigsten und wirkungsvollsten Waffen im Kampf gegen den Nationalsozialismus“ bezeichnet.

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