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Im Hause Pilatus, vor dem Prozeß

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Herodes Antipas, der Tetrarch, war nach Jerusalem gekommen, weil man ihm von der Unruhe berichtet hatte, die im Volke herrschte. Er war bei dem Statthalter Pilatus abgestiegen und wollte über das Fest dort bleiben, um die Angelegenheiten der Stadt zu ordnen. Am Abend nach seiner Ankunft war er im Zirkus gewesen und hatte den Gladiatorenspielen zugesehen. Da man nachher noch Orgien gefeiert hatte, schlief er am Morgen lange; so lange, daß sein Gastgeber, der ihn erwartete, inzwischen auf das Dach seines Hauses gestiegen war und dort umherspazierte.

Das Gemüt des Statthalters war nicht ruhig. Er blieb oft an der Brüstung stehen, um hinabzuse-

hen in den Vorhof des Tempels. Dort war das Volk in einer ungewöhnlich lebhaften Bewegung. Es bildeten sich Gruppen, die sich auflösten und dann sich sofort wieder in noch größerem Umfange sammelten.

Endlich erschien der Tetrarch, unausgeschlafen und mit blutunterlaufenen Augen. Er grüßte kurz und setzte sich sofort nieder, als gäbe er Audienz. Es fiel ihm aber schwer, ein Wort hervorzubringen; das Kinn hing ihm herab; und er wußte nicht, wie er beginnen sollte, denn während der nächtlichen Orgien hatte er sein Geschäft vergessen.

Pilatus kam ihm zu Hilfe:

Sprich, Herodes! Dein Herz ist voll und dein Geist unruhig.

Was sagte denn mein Bruder?

Wir sprachen gestern von dem seltsamen Mann, der das Volk aufwiegelt.

Ganz richtig! — Ich habe aber doch diesen Johannes hinrichten lassen; ist er denn wiedergekommen?

Nein, es ist jetzt ein anderer.

Gibt es denn zwei?

Ja, diesmal ist es ein anderer.

Aber sie haben dieselbe Geschichte: eine Verkündigung, die ihrer Geburt voräusging, und eine Fabel über ihre übernatürliche Geburt; genauso wie bei dem Perseus der Mythologie und bei dem griechischen Philosophen Plato. Ist es eine Personenverwechslung?

Nein, keineswegs!

Wie heißt er? Josua, Jesse …

Er heißt Jesus, und er hat seine Jugend in Ägypten zugebracht, in Heliopolis und Leontopolis

Dann ist er ein Magier oder ein Zauberer. Kann er nicht kommen und mich zerstreuen?

Er ist schwer zu finden; bald erscheint er hier, bald erscheint er dort. Aber wir wollen den Oberpriester befragen. Ich habe ihn rufen lassen; er wartet unten.

Was ist das für ein Lärm im Tempelhof?

Das Bildnis des Kaisers soll im Heiligtum des Tempels aufgestellt werden..

Ganz recht! Unser gnädiger Kaiser lebt auf Capri wie ein Irrer; er bekommt Schläge von seinem Neffen Caligula; wenn man den Neffen nennen kann, da Söhne mit ihren Müttern verheiratet sind. Und nun soll er ein Gott werden! Haha!

Antiochus Epiphanes ließ Zeus im Allerheiligsten der Juden aufstellen. Das war doch ein Gott. Aber dieses Vieh Tiberius aufzustellen … das gibt Aufruhr!

Was kann man dagegen tun? — Rufe den Priester her!

Pilatus stieg hinab und holte den Oberpriester Kaiphas. Herodes schloß die Augen und faltete die Hände über der Brust. Er betrachtete alles, was den Dienst be

traf, als eine Störung seiner Vergnügungen; irti allgemeinen waren ihm die kurzen Prozesse die liebsten.

Als Pilatus mit Kaiphas zurückkehrte, erwachte der Tetrarch aus seinem Schlummer und wußte nicht, wo er sich befand und worum es ging.

Pilatus trat vor und rief seinen Vorgesetzten wieder ins Bewußtsein zurück, indem er seine Aufmerksamkeit auf das, was vorging, lenkte.

Man lärmt im Tempel! war seine erste Feststellung, denn der Lärm störte ihn im Schlaf. Ach so, das ist der Priester! Was bedeutet der Lärm da unten?

Das ist der Galiläer, der zu Gewaltsamkeiten geschritten ist; er hat die Wechsler aus dem Tempel getrieben.

Herodes wurde neugierig.

Können wir ihn sehen?

Er ist schon fort.

Sage uns, Oberpriester, was hat es mit diesem Mann für eine Bewandtnis? Ist er der Messias?

Wie könnte ich das glauben? Der Sohn eines armen Zimmermanns, der krank im Kopf ist.

Ist er ein Prophet?

Er wiegelt das Volk auf; er bricht das Gesetz; er ist ein Schlemmer und Weintrinker; ja, er sagt sogar, er sei Gottes, des Allerhöchsten, Sohn.

Habt ihr Zeugen?

Ja, aber die widersprechen einander.

Schaffe bessere Zeugen herbei, solche, die übereinstimmen! — Abeh jetzt, Priester, wollen wir von etwas anderem reden. Du weißt, daß dem Kaiser durch Senatsbeschluß die Apotheose bewilligt worden ist und daß sein Standbild im Tempel aufgestellt werden soll. Was meinst du dazu?

Wir leben von der Gnade unseres Kaisers; aber wenn dieser Greuel geschieht, so gehen wir alle in den Tod, so wie unsere Makkabäer es getan haben.

So müßt ihr in den Tod gehen!

Bevor er antwortete, dachte Kaiphas einen Augenblick nach: Ich will den Hohen Rat zusammenrufen und ihm des Kaisers Willen mitteilen.

Tue das! Und vor dem Fest mußt du mir den Galiläer vorführen, denn ich will ihn sehen.

• Das will ich!

Dann geh in Frieden!

Kaiphas entfernte sich.

Es ist ein hartes Volk, dieses Israel! sagte Pilatus, nur um etwas zu sagen.

Auch ich bin aus Israel, antwortete Herodes ziemlich schroff, denn ich bin ein Edomit, aus dem Geschlechte Esaus, und meine Mutter war Samariterin, aus dem verachteten Volk.

Pilatus merkte, daß er falsch vorgegangen war. Deshalb klopfte er mit seinem Amtsstab dreimal auf den Boden. Eine große Luke öffnete sich, und es erschien ein Tisch, gedeckt mit allen Lek- kerbissen, die sich ein Römer nur wünschen konnte.

Herodes strahlte.

Im Vorhof des Priesters standen Kaiphas und Annas im Gespräch.

Da wir dem Greuel nicht entgehen können, sagte Kaiphas, und das Bildnis des Kaisers sich im Allerheiligsten erheben und das Volk im Aufstand umkommen wird, ist es für uns besser, wenn wir dem Herrn unser Opfer darbringen und wenn einer für das Volk stirbt.

Du sprichst recht! Ein außerordentliches Sühnopfer ist uns vonnöten, und da das Fest vor der Türe steht, laß uns den Galiläer opfern!

Gut! Aber das Opfer muß rein sein. Ist der Galiläer rein?

Rein wie ein Lamm!

Möge er also Israels Sünden auf sich nehmen, auf daß wir durch sein Blut erlöst werden! Wer gibt ihn uns in die Hand?

Einer von seinen Jüngern. Er steht draußen.

Führ ihn herein!

Johannes, später „der Evangelist“ genannt, wurde hereingeführt, und Kaiphas begann das Verhör:

Was kannst du von deinem Lehrer bezeugen? Hat er sich aufgelehnt gegen das Gesetz Mosis?

Er hat das Gesetz vervollkommnet.

Welches neue Gebot hat er denn eingeführt in unser heiliges Gesetz?

Liebet einander!

Hat er gesagt, er sei der Juden König?

Der Meister hat gesagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.

Hat er die Kinder gegen die Eltern aufgereizt?

Der Meister hat gesagt: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

Hat er gesagt, daß man das Recht hat, seine Bürgerpflichten zu vernachlässigen?

Der Meister hat gesagt: Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit!

Hat er zum Arbeiter gesagt, er möge seine Arbeit verlassen?

Der Meister hat gesagt: Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!

Hat er gesagt, daß er die Welt in Besitz nehmen wird?

Der Meister hat gesagt: In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben; aber vertrauet, ich habe die Welt überwunden!

Kaiphas wurde nun müde.

Nach allem, was ich jetzt gehört und vernommen habe: Dieser Mann hat nicht auf eine einzige Frage geantwortet.

Der Meister antwortet im Geiste und in der Wahrheit; ihr aber fragt nach dem Fleische und nach dem Buchstaben. Wir sind nicht die Kinder eines Geistes.

Ich verstehe nichts.

Er hat mich gesandt, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden, die Herzen der Zerknirschten zu heilen, den Gefangenen die Freiheit zu predigen, die Blinden sehend zu machen und denen, die darniederliegen, die Erlösung zu bringen.

Was du in deinem Unverstand redest, junger Mann, kann weder dir noch deinem Lehrer zum Lobe gereichen.

Wehe euch, wenn euch die Menschen loben, und wer vor dem Bösen weicht, der wird den Menschen zum Raube werden!

Kaiphas wandte sich zu Annas: Ist das nicht der, der uns den Galiläer ausliefern sollte?

Sie haben einen anderen gesandt.

Höre, heißt du Ischarioth?

Nein, ich heiße Johannes.

Geh in Frieden und schicke uns an deiner Statt den Ischarioth! — Aber warte noch: Sage uns in zwei Worten die Lehre deines Meisters über den Sinn des Lebens!

Der Tod ist der Gewinn des Frommen, antwortete Johannes, ohne sich zu besinnen.

Ist nicht das Leben selbst… Durch den Tod werden wir in das Leben eingehen!

Kaiphas aber wiederholte noch für sich, als wollte er es durch seine eigenen Worte besser verstehen:

Der Tod ist der Gewinn des Frommen.

Jetzt hörte man Lärm vom Markt und vom Rathaus.

Annas und Kaiphas stiegen auf die Mauerzinne, um die Ursache zu erfahren.

Jetzt hörten sie vom Rathausplatz her sich einen Ruf erheben; er war erst schwer zu verstehen, dann wurde er immer deutlicher. Die Volksmasse rief: Ans Kreuz mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!

Ist das nicht zu hart, als Strafe? sagte Kaiphas.

Nein, antwortete ein Levit, einer seiner Jünger, genannt Simon oder Petrus, hat ein Schwert gezogen und auf den Diener Malchus eingehauen und ihn verwundet.

Haben wir noch weitere Zeugen nötig?

Aber der Meister sagte: Stecke dein Schwert in die Scheide; denn alle, die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen!

Daraus kann man nicht klug werden, sagte Annas und stieg herab.

Aber das Volk rief: Ans Kreu? mit ihm! Ans Kreuz mit ihm!

Strindbergs Erzählung ist unter dem Titel „Das Lamm“ im Band „Historische Miniaturen“ im Verlag Langen-Müller, München 1956, erschienen.

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