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IM KAMPF MIT DEM ALTEN

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Die Revolutionen von 1989/90 im kommunistischen Osteuropa sind - mit Ausnahme Rumäniens und vor allem Serbiens - erfolgreich und meist unblutig zugunsten der Menschenrechte ausgegangen. Jetzt erfolgt der Aufbau von Demokratie - ein wesentlich schwierigerer Schritt. Das Hauptproblem liegt in einem schwach entwickelten demokratischen Bewußtsein. Damit haben auch die christdemokratischen Parteien zu kämpfen.

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Die Revolutionen von 1989/90 im kommunistischen Osteuropa sind - mit Ausnahme Rumäniens und vor allem Serbiens - erfolgreich und meist unblutig zugunsten der Menschenrechte ausgegangen. Jetzt erfolgt der Aufbau von Demokratie - ein wesentlich schwierigerer Schritt. Das Hauptproblem liegt in einem schwach entwickelten demokratischen Bewußtsein. Damit haben auch die christdemokratischen Parteien zu kämpfen.

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Unter „Christliche Demokratie” wird in diesen ehemals kommunistischen Ländern fast durchwegs noch ein religiös motiviertes Bekenntnis zur demokratischen Gesellschaftsordnung verstanden -ähnlich der Christlichsozialen Partei Österreichs der Zwischenkriegszeit oder auch dem „politischen Katholizismus” der sechziger Jahre. Eine wesentliche Rolle in der Bewertung christlich-demokratischer Bewegungen oder Parteien spielen die historischen Traditionen.

Die „Solidarnosc” in Polen oder das „Ungarische Demokratische Forum” (MDF) sind Beispiele neuer Sammelbewegungen. Wesentlich in der politischen Landschaft und für die PR-Arbeit ist auch, ob der historische Name wiederaufgenommen oder ein neuer gewählt wurde: ob das „hohe C” im Namen der Partei vorkommt oder nicht.

In Polen gibt es sowohl christlichdemokratische Parteien und Bewegungen, wie auch die Partei „Zentrum Allianz”, die sich als christlich-demokratisch versteht. Andererseits ist die polnische „Christlich-Nationale Union” keine christlich-demokratische Partei, sondern versteht sich als katholisch-national(istisch).

Von entscheidender Bedeutung ist, ob das jeweilige Land, das nunmehr demokratische Strukturen und eine funktionierende Marktwirtschaft aufzubauen hat, demokratische Traditionen vor der Zeit der Diktaturen hatte oder nicht.

Allein an den Ergebnissen der ersten mehr oder weniger freien Wahlen in diesen Ländern können derartige Traditionen abgelesen werden. Um nur zwei Beispiel herauszugreifen: Im Juni 1989 gab es die ersten, teilweise freien Parlamentswahlen zum polnischen Sejm und zum neugegründeten Senat, bei denen nahezu alle frei wählbaren Sitze von der „Solidarnosc” errungen wurden; die Wahlbeteiligung war regional jedoch sehr unterschiedlich.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben schließlich gezeigt, daß genau im ehemals österreichischen Teil Polens rund 70 Prozent der Wahlberechtigten ihre demokratische Pflicht wahrgenommen hatten, in den ehemals preußischen oder russischen Teilen Polens jeweils nur 30 Prozent von diesem sehr opfervoll erworbenen Recht Gebrauch machten. Die Parlamentswahlen 1992 haben diese deutlichen regionalen Unterschiede -begründet in den jeweils unterschiedlichen demokratischen Traditionen und sehr differenten politischen Kulturen - voll bestätigt.

Das zweite Beispiel: die Wahlen in der Ukraine vom April 1990 könnten in der Tendenz genauso wie die Wahlen der Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien, der verschiedenen Regionen Rumäniens sowie in den zwei Teilrepubliken der ehemaligen Tschechoslowakei geschildert werden. Die heutige Westukraine war seit dem ausklingenden 18. Jahrhundert bis 1918 österreichisch und anschließend polnisch. Bei den ersten, relativ freien Wahlen zum ukrainischen Parlament im April 1990 wurden in den 23 Regionen des Landes insgesamt 450 Abgeordnete zum Republiksparlament gewählt, von denen 140 ehemalige Oppositionelle waren. Von diesen 140 demokratisch orientierten Abgeordneten waren 55 aus den drei ehemals österreichischen Regionen Ostgaliziens.

Im Regionalparlament von Lemberg (Lviv) blieben von insgesamt 200 Mandaten lediglich 14 bei den Kommunisten; im Regionalparlament von Iwano-Frankowsk sind derzeit zirka 80 Prozent, in jenem von Terno-pol etwa 70 Prozent demokratische Abgeordnete. Die Christlich-Demokratische Partei der Ukraine ist aus diesen Wahlen injenen drei Regionen der Westukraine als jeweils stärkste Fraktion innerhalb der Demokraten hervorgegangen.

Es ist natürlich verständlich, daß gerade viele Vertreter der, vor allem christlichen, Glaubensgemeinschaften in diesen Ländern, die mutigen, aufrechten Widerstand geleistet haben, sich nach der Revolution verpflichtet fühlen, beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaftsordnung aktiv mitzuwirken. Das ist ein wesentlicher Grund für die enge Bindung zwischen Kirche und Partei; ein Phänomen, das in vielen Teilen Westeuropas in der Zwischenkriegszeit gegeben war, heute jedoch durch eine strikte Trennung zwischen kirchlicher Gesellschaftspolitik einerseits und von Parteien gelenkter Tagespolitik andererseits überwunden ist.

Ein weiteres Problem christlich-demokratischer Parteien ist in deren Funktionärsstrukturen und vor allem in deren Spitzenrepräsentanten zu sehen. In Polen etwa gibt es eine Unzahl christlich-demokratischer Parteien, Bewegungen und Organisationen, die entweder regional oder landesweit repräsentiert sind und oft in unversöhnlicher Konkurrenz zueinander stehen, ohne daß dabei wesentliche inhaltliche Differenzen ausschlaggebend wären. Es liegt fast ausschließlich an den Spitzenkandidaten, die miteinander „nicht können”.

Das liegt vor allem in deren persönlicher, kirchlicher oder politischer Vergangenheit begründet, in der - nach Meinung des einen - der andere Kollaborant, Verräter oder Denunziant war. Oft aber genügt es schon, daß aus irgendwelchen persönlichen Gründen ehemalige Kollegen nun plötzlich Gegner oder gar Feinde geworden sind. Dadurch hat sich in Polen ein derart verwirrendes Geflecht an sogenannten christlich-demokratischen Parteien und Bewegungen entwickelt, daß es dem einzelnen Bürger nahezu unmöglich ist, diese voneinander zu unterscheiden oder sich an Persönlichkeiten, Programmatik und konkreten politischen Vorhaben zu orientieren. Das sind aber spezifisch polnische Probleme, die in dieser Intensität in anderen Ländern Osteuropas so nicht gegeben sind.

In Rußland, das völlig ohne demokratische Erfahrung ist, sind bisher drei christlich-demokratische Parteien beziehungsweise Bewegungen entstanden, von denen einzelne Repräsentanten zwar in den höchsten Re-publiks- und/oder Stadtsowjets vertreten sind, die aber als Massenbewegung keine Rolle spielen (siehe Seite 9).

In Ungarn spielen die zwei historischen christlich-demokratischen Parteien, die Kleinlandwirtepartei und die Christlich-Demokratische Partei (ehemals Katholische Volkspartei) in der Regierungskoaltion jeweils nur

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