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Im Kreuzfeuer der Medien-Elite

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Die Große Koalition kommt in den Zeitungen derzeit schlecht weg. Nach einer Studie waren die Vorurteile in den Redaktionen allerdings schon vor der Wahl deutlich ausgeprägt.

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Die Große Koalition kommt in den Zeitungen derzeit schlecht weg. Nach einer Studie waren die Vorurteile in den Redaktionen allerdings schon vor der Wahl deutlich ausgeprägt.

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Die Große Koalition kommt genau gesehen bereits seit ihrer politischen Geburt in den Medien schlecht weg. Nun könnte man meinen, diesem kritischen Urteil der „Meinungsmacher“ lägen ausschließlich bisherige politische Leistungen (oder besser: Nichtleistungen), sachliche Ungereimtheiten und/oder koalitionsinterne Harmonisierungsprobleme zu Grunde. Man müßte eigentlich, zwiespältigen persönlichen Eindrücken vom spärlichen Politikangebot der Regierungsparteien folgend, der journalistischen Schelte über weite Strecken wohl oder übel zustimmen.

Trotz vordergründiger Übereinstimmung zwischen öffentlichem und privatem Urteil fiele dessen jeweilige Fundierung wohl anders aus. Für die Massenmedien scheint in hohem Maße zu gelten: So überraschend für manche auch das mediale Kreuzfeuer sein mag, unter welche sie die Große Koalition offensichtlich nehmen, es wäre noch überraschender, bliebe dieses Kreuzfeuer seitens der Publizistik aus.

Den Ergebnissen unserer Studie „Große Koalition und Medienelite“ zufolge war nämlich im politischen Erwartungshorizont der österreichischen Medienelite die Bereitschaft zu scharfer Kritik an der vermutlich zustandekommenden Großen Koalition bereits vor der Nationalratswahl am 23. November 1986 latent ausgeprägt und manifestiert sich seither — über unsere Untersuchung hinaus — in unterschiedlichen Facetten.

Angesichts dieser nicht nur pikanten, sondern politisch auch brisanten Konstellation, derzu- folge sich ein für Österreich eher ungewöhnlicher Elitenkonflikt — hie die Große Koalition als bundespolitische Elite, da eine in ihrer Gesamtheit bundesweit meinungsbildend wirkende Medienelite — abzuzeichnen scheint, interessiert möglicherweise ein Blick auf jene empirisch erhobenen argumentativen Zusammenhänge, worin das pessimistische Erwartungsmuster der Spitzenjournalisten eingebettet war und ist.

1 War im allgemeinen Meinungsklima vor der Nationalratswahl im November 1986 mit ziemlicher, wenn auch zunehmend schmäler werdenden Wahrscheinlichkeit ein Sieg der ÖVP beziehungsweise eine von ihr geführte Große Koalition präsent, so fand diese öffentliche Erwartung keine Entsprechung im Meinungsbild der von uns befragten Journalisten. Vielmehr erwarteten zwei Drittel von ihnen einen Wahlsieg der SPÖ beziehungsweise eine von den Sozialisten geführte Große Koalition.

Das Überraschende an diesem Befund wurde insoferne verstärkt, als in der befragten Gruppe mehrheitlich ÖVP-orientierte Journalisten vertreten waren und trotzdem (besser vielleicht: gerade deshalb?) nur eine klägliche Minderheit von 17 Prozent an die ÖVP als großkoalitionären Seniorpartner glaubte.

Nicht weniger überraschend auch das Ergebnis auf die Frage nach der „Wunschkoalition“: Auch hier wünschte sich nur ein Drittel der Journalisten eine Große Koalition mit ÖVP-Vorzei- chen.

Von unseren Daten abgedeckt ist in diesem Kontext die von der

Medienelite als eher diffus empfundene Rolle der ÖVP als parlamentarische Opposition in der Ära der zu Ende gehenden Kleinen Koalition (siehe Grafik „Politisches Meinungsmuster zur SP/ FP-Koalition“), wobei man diesem funktionalen Negativimage der ÖVP wohl auch gewisse Defizite im Führungsbereich wird zuordnen müssen.

• Die politische Qualität des Problem- und Krisenbewußtseins der befragten Spitzenjournalisten übertraf merklich Niveau und Reichweite des von den Parteien vor allem im Wahlkampf getrommelten politischen Aussagespektrums.

So waren selbstverständlich nicht nur die durch die Parteienwerbung präparierten wirt- schafts- und sozialpolitischen Themen (Budget, Verstaatlichte, Sozialversicherung, Landwirtschaft) im Wissensvorrat präsent, sondern auch jene, von den Großparteien bestenfalls euphemistisch („verhüllend“) umschriebenen politischen Krisentendenzen, deren propagandistische Direktvermarktung einem Jörg Haider das Wunder seines Wahlerfolges bescherte: Parteibuchwirtschaft, Privilegien, Korruption, Ämterkumulierung…

Aus der Sicht der Medienelite sprachen aber — neben dem drin genden Bedarf an wirtschaftspolitischen Problemlösungen — auch und gerade die erwähnten politischen Krisenphänomene für das Installieren einer Großen Koalition, auch im Sinne einer moralischen „Wende“ und nicht nur einer technokratischen.

Allerdings soll man in diesem Zusammenhang den Moralbegriff nicht überfordern. „Moralisch“ ist etwa das Problem, ob man eine Sanierung der angedeuteten politischen Deformationen gerade von jenen Parteien erwarten kann, welche sich selbst beim Entstehen, Handhaben und Verbreiten der bekannten politischen Unkultur verdient(l) gemacht haben.

Vor die Alternative gestellt, in der Großen Koalition entweder den am eigenen Schopf sich pak- kenden und solchermaßen sich rettenden Münchhausen oder aber jenen Bock zu sehen, der sich selbst zum Gärtner macht, sprach alle historische Erfahrung für die skeptische Bock-Variante.

Die Große Koalition als politisch-moralisches Krisenmanagement wird daher aus der Sicht der Medienelite eher scheitern als Erfolg haben. Daß ihre Problemlösungskapazität auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als gering eingeschätzt wird, bekräftigt diesen pessimistischen Befund noch sehr deutlich.

• Im Lichte dieser, bereits vor der Nationalrats wähl 1986 gegenüber einer möglichen Großen Koalition artikulierten Reserven nimmt es nicht wunder, daß die Prognosen bezüglich der Lebensdauer einer derartigen Koalition sehr unterschiedlich ausfielen.

Hingegen wurde sehr deutlich, wo nach dem vermuteten Scheitern der Großen Koalition die ohnedies eingeengten Regierungspräferenzen liegen:

Man erwartet sich seitens der befragten Journalisten eine Kleine Koalition, eine Option, die nur verwundert, wenn man nicht weiß, daß zwar in den Augen der Medienelite die verflossene SP/ FP-Variante dieser Koalitionsform als Versager gilt, die Journalisten aber an der prinzipiellen Eignung einer Kleinen Koalition als zukünftigem Regierungsmo-

dell mehrheitlich festhalten (siehe Grafik „Politisches Meinungsmuster zur SP/FP-Koalition“).

Im Hinblick auf die hohe Stabilität, die der Sozialpartnerschaft seitens der Journalisten zugestanden wird, liegt die Vermutung nahe, daß die unterschiedlichen und einander ablösenden Regierungskombinationen von der Medienelite ohnedies nur als jener politischer Erscheinungen Flucht zugeordnet werden, die unwiderstehlich um den eigentlichen politischen Machtpol der Sozialpartnerschaft pendeln.

Vor diesem — zugegebenermaßen — sehr groß und einseitig strukturierten Hintergrund des eingangs konstatierten Elitenkonfliktes lassen sich doch einige wichtige Fragen formulieren, deren Beantwortung für die Kommunikationsstruktur zwischen der politischen und der Medien- Elite von Bedeutung sein könnte.

Beispielsweise: Wie läßt sich der in Richtung Große Koalition am häufigsten gehörte Vorwurf des politischen Packeins und der Dampfwalzenmethoden entkräften? Wie kann den Journalisten die fallweise vorhandene Angst genommen werden, angesichts einer großkoalitionären Themati- sierungsmacht nicht auch den letzten Rest identitätsstiftenden agenda settings (das heißt, die Fähigkeit, die politischen Themen zu bestimmen) zu verlieren?

Wie kann dies und vieles andere mehr bewerkstelligt werden, ohne den Eindruck zu erwecken, jede Kritik an der Politik der Großen Koalition wäre staatsfeindlich und jede Kritik an der Medienkritik rührte an den hehren Grundsätzen der Demokratie?

Wie vor allem müßten vertrauensbildende Maßnahmen für beide Eliten aussehen, ohne gleichzeitig jenes Fraternisierungskar- tell zu begründen, welches sich vielleicht als Schlußstein im unaufhaltsamen Aufstieg des J. H. entpuppt?

Der Autor ist Politikwissenschafter an der Universität Wien und Herausgeber der Schriftenreihe „Sicherheit und Demokratie“.

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