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Im Lager des Kapetan

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Die Serben in der Krajina sind entschlossen, ihren Staat im Staate (Kroatien) bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Ein Lokalaugenschein

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Die Serben in der Krajina sind entschlossen, ihren Staat im Staate (Kroatien) bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Ein Lokalaugenschein

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Gleich drei serbische „Staaten" sind im zerfallenen Jugoslawien entstanden: Die „Republik Serbien", die mit Montenegro das sogenannte „Restjugoslawien" bildet; die „Serbische Republik in Ros-nien" (Hauptstadt Pale bei Sarajewo, Staatschef Karadzic), die rund 60 Prozent Rosniens umfaßt, und die „Republik Serbische Krajina" (Hauptstadt Knin, Staatschef Hadziz) mit etwa 30 Prozent des kroatischen Staatsterritoriums.

In Knin hängen riesige Poster des ultranationalen Tschetnikführers Vojslav Seselj, der dieser Tage das Milosevic-Regime stürzen wollte; der Versuch mißlang. In Schaufenstern, an Fassaden, Autotüren - den Groß-Serben Seselj gibt es auch als Anhänger und Sticker. „Wir Serben sind für die Welt die allein Schuldigen, wir erhalten kaum Hilfe und das Embargo trifft wieder nur die Armen", höre ich oft von Verbitterten, die das Reservoir für Seseljs Wahlsiege bilden.

Die Lage im ehemaligen Jugoslawien war lange vor Kriegsbeginn schon katastrophal - der Regierung Slobodan Milosevic käme der Krieg als Ausrede und der Westen als Ruh-mann sehr gelegen, höre ich immer wieder. Noch ein anderer schaut von

Posters an Kiosken und Wohnzimmerwänden, liegt als Vierfarbendruck im Mittelteil der Wochenendbeilagen den Zeitungen bei: Kapetan Dragan, Söldnerführer und Gründer eines Kinderhilfswerkes für Kriegswaisen; Fernsehstar vieler Kriegsreportagen aus den Tagen der „Raumstammrevolution" in der Krajina, als aufständische Serben der neugeschaffenen kroatischen Polizei und Verwaltung mit Straßenblockaden den Zutritt zur Krajina verwehrten und Dragan mit seiner rasch zusammengewürfelten Söldnertruppe grob und kräftig mitmischte.

Eine zwielichtig-faszinierende Gestalt, ein Robin Hood oder einfach ein Krimineller, wie der von der Interpol gesuchte Anführer der „Serbischen Tiger", Ar-kan? Ich treffe Dragan im Pressezentrum Knin und er lädt mich zu einem Resuch in sein Ausbildungscamp „Alpha' bei Rrusko, nahe der Frontstadt Renkovac

ein. Das Lager liegt im Karstgelände, ein Schlagbaum sperrt die Zufahrt, aber der Posten in Dragan-Montur mit rotem Rarett und gelb-grau getigertem Kampfanzug weiß Rescheid und macht die Rahn frei.

Niedrige Raracken, ein paar Räume, Lastwagen mit aufmontierten Geschützen kommen ins Rild, dazwischen das Kommandogebäude. Der Kapetan sei noch nicht zurück, sagt uns seine auffallend hübsche

Sekretärin, wie alle anderen hier im Dragan-Look mit umgeschnallter Pistole. Hier ist das richtige Ambiente für eine Fernsehreportage mit hohem Unterhaltungswert: Soldaten üben an Fliegerabwehrgeschützen, putzen Waffen und Stiefel; endlich erscheint der Kapetan im österreichischen Puch-Geländewagen, grüßt kurz und kernig und läßt in seinem Arbeitsraum Kaffee und Juice auffahren. Er sei verärgert, sagt er zuerst, daß er bei vielen Journalisten als „warlord" und „Ungeheuer" dar-• gestellt würde.

Disziplinlosigkeit, Greuel, wie bei anderen Söldnerführern gäbe es bei ihm nicht, behauptet er. Überhaupt sei er kein Söldnerführer, sondern bilde in Zusammenarbeit mit der serbischen Armee Spezialisten in Nahkampf, Sprengen und an Spe-zialwaffen aus. Dragan sieht sich selbst als Kämpfer für die Rechte der Krajina-Serben. Krieg, Waffen und Uniformen haben für ihn sicher Faszination. Er führt mich zu einer Spe-zialkarte, erläutert seinen letzten Gegenstoß gegen die Kroaten. Er läßt mir Zeitungsberichte bringen, die sein Engagement als Gründer und Aushängeschild des Kinderhilfswerkes für serbische Kriegsopfer zeigen, erlaubt uns dann im Camp zu fotografieren und verabschiedet sich ganz' unsoldatisch: er müsse eine Weile schlafen, die letzten Tage seien sehr anstrengend gewesen.

Später erfahre ich auf der kroatischen Frontseite von Gefeingenen, die in „Alpha" mißhandelt und umgebracht worden sein sollen. Einzelfälle, System' - ist Kapetan Dragan ein Lügner? Für die Kroaten ist er „das Ungeheuer", für die Serben „der Held".

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