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Im Lande des „enger geschnallten Gürtels"

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Jugoslawien stehen schwere Zeiten bevor. Die Versorgungsmängel nehmen zu, die wirtschaftliche Talfahrt ist vielleicht gebremst, aber noch nicht zu Ende. Politische Erdbeben in naher Zukunft sind nicht auszuschließen.

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Jugoslawien stehen schwere Zeiten bevor. Die Versorgungsmängel nehmen zu, die wirtschaftliche Talfahrt ist vielleicht gebremst, aber noch nicht zu Ende. Politische Erdbeben in naher Zukunft sind nicht auszuschließen.

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Die Geschäfte im südsteiri-schen Grenzort' Radkers-burg klagen: Ihre treuen Kunden aus Jugoslawien, die den kleinen Grenzverkehr nützten, um sich mit Kaffee oder Waschpulver einzudecken, bleiben nun weitgehend aus oder können weniger einkaufen.

Grund: Die Belgrader Regierung ist auf die Devisenbremse gestiegen, nur noch 200 Dinar (rund 70 Schilling) darf der jugoslawische Bürger beim einmaligen Grenzübertritt offiziell mitnehmen.

Was die jugoslawischen Grenzbewohner in der Nähe Öster-

reichs, Italiens und Griechenlands erbittert, ist aus der Sicht der Belgrader Wirtschaftsplaner unumgänglich. Nach ihren Berechnungen haben in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres bei den 15,000.000 Grenzübertritten die jugoslawischen Bürger rund 2.500 Millionen Dollar an Devisen ausgegeben.

Eine beträchtliche Zahl, wenn man die tief in die roten Zahlen gerutschte Handelsbilanz des Vielvölkerstaates betrachtet.

Nach jugoslawischen Angaben liegt die Auslandsverschuldung bei 16,3 Milliarden Dollar, nach den westlichen Berechnungen jedoch bei 21,2 Milliarden Dollar; damit ist die 22,5 Millionen zählende Bevölkerung des Nach-Ti-to-Staates - umgerechnet auf Bruttosozialprodukt und pro Kopf — mehr verschuldet als Polen zu Beginn seiner Krise im Jahr 1980.

Wiewohl geradezu litaneihaft von einer Sanierung der Wirtschaft und vor allem der Handelsbilanz von den Politikern und Offiziellen in Jugoslawien schon seit

Jahr und Tag geredet wird, ist noch keine Besserung in Sicht.

Laut den letzten verfügbaren Zahlen wurden 1981 nur 61 Prozent des gesamten jugoslawischen Importes durch Erlöse aus dem Export gedeckt. Dramatisch und in den Zahlen sogar etwas übertrieben hat das die Belgrader,,Po-litika" auf folgende Kurzformel gebracht:

„Jeder unserer Bürger exportiert für 400 Dollar, importiert für 800 Dollar und hat Schulden von 1000 Dollar." Dazu kommt noch, daß jeder beschäftigte Jugoslawe im Inland statistisch gesehen einen Kredit von rund 50 Dollar hat.

Fazit, das unlängst die Nachrichtenagentur „Tanjug" aus der Situation zog: „Die Jugoslawen sind sich jetzt darüber im klaren, daß sie über ihre Möglichkeiten gelebt haben und den Lebensstandard zu Unrecht gesteigert haben. Wir müssen jetzt den Gürtel enger schnallen."

Tatsächlich läßt sich aus vielerlei Maßnahmen ersehen, daß die Politiker und Wirtschaftsplaner in Belgrad es damit ernst meinen - und es ist, für ein kommunistisches System mit seinem unausrottbaren „Bonzentum", immerhin sehr achtenswert, daß auch der Staat und die Offiziellen ihren Sparwillen demonstrieren:

• DiplomatischeVertretungen im Ausland wurden geschlossen — etwa in Linz, Karatschi, Pnom

Penh, Izmir, Marseille, Alexandria, Kalkutta usw. Insgesamt waren es mit Ende 1981 genau 24. Der Personalstand in bestehenden Missionen wurde verringert, auf die geplante Eröffnung von drei neuen Botschaften, drei Konsulaten und internationalen Organisationen verzichtet. Das spart Jugoslawien heuer acht Millionen Dollar.

O Die Zahl der jugoslawischen Wirtschaftsvertretungen in Österreich, Frankreich und Belgien wurde verringert — in Frankreich um elf, in Österreich um zehn, in Belgien um eine. Insgesamt wurden 81 Vertretungen geschlossen. Auch das wird etwa acht bis zehn Millionen Dollar einsparen.

Solche Sparmaßnahmen werden jedoch letztlich nichts bringen, wenn die wirtschaftliche Sa-

nierung noch lange auf sich warten läßt.

Momentan ist keine Tendenzwende erkennbar.

# Die Inflation betrug im vergangenen Jahr weit über 30 Prozent (35,5 Prozent bei Industrieprodukten, 37,7 Prozent beim Kleinhandel, 33,6 Prozent in den Lebenshaltungskosten). Als Ziel hatte man Anfang 1981 20 bis 25 angepeilt gehabt — es also weit verfehlt. Daher muß auch die jetzige Ankündigung Belgrads, man werde die Inflation im Jahre 1982 auf etwa 15 Prozent drücken, mit großer Skepsis aufgenommen werden.

# Die Zahl der Betriebe, die Verluste „produzierten", hat im vergangenen Jahr zugenommen: Gemessen am Ausmaß des Verlustes (insgesamt 810 Millionen Dollar) um sage und schreibe 84 Prozent. Die meisten Verluste sind in der Nahrungsmittelbranche, der Buntmetallverarbeitung, im Transport- und Elektrizitätsgewerbe aufgetreten.

# Die Arbeitslosigkeit in Jugoslawien selbst (die rund 800.000 Gastarbeiter mit ihren 237.246 Familienangehörigen schon abgerechnet), liegt bei über 800.000 -das sind 14 Prozent der Beschäftigten.

# Die Arbeitsproduktivität ist - laut einem Bericht des Zagreber „Vjesnik" - nur 33 Prozent jener, die in mittleren oder hochentwik-kelten Industriestaaten erreicht

wird. Die effektive Arbeitszeit in den Betrieben beträgt pro Kopf täglich zwischen 3,5 und 5,5 Stunden. Dafür wird nach Feierabend „in die Hände gespuckt" und mit Schwarzarbeit oft das Doppelte des regulären Einkommens verdient!

Daß angesichts dieser tristen Lage ein entschlossenes politisches Handeln notwendig wäre, versteht sich von selbst. Aber eben das fehlt dem Vielvölkerstaat, der nach Tito ohne Führerund Vaterfigur ist. Schönes Beispiel dafür:

Der für heuer verabschiedete Budgetentwurf, der mit 203,8 Milliarden Dinar „für die Herstellung der wirtschaftlichen Stabilisierung dienen soll" (so Tanjug) und eine Verlangsamung der Investitionen um 6 Prozent vorsieht, ist nur ein vorläufiger - denn nun beginnen die Teilrepubliken und Provinzen zu streiten, wer am meisten von dem nicht allzu fetten Kuchen bekommen soll.

Auch die Gesetzesakte über die Zahlungsbilanz und Devisenplanung sowie die Sicherung der Käufe von Erdöl und Koks, die auf dem Hartwährungsmarkt getätigt werden müssen, sind nur „vorübergehend".

Wie lang das „vorübergehend" sein kann? Tanjug antwortet: „Bis zu einem Jahr." So lang kann sich nämlich der Streit hinziehen, weil der wirtschaftliche Partikularismus der Republiken und Provinzen in schwierigen Zeiten wie diesen noch eher zu- als abgenommen hat.

Angesichts der andauernden Unruhen im Kosovo, der kaum in den Griff zu kriegenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind politische Erdbeben in naher Zukunft nicht auszuschließen: Eine Umbildung der Regierung scheint bevorzustehen, am Parteitag könnten offene Machtkämpfe ausbrechen.

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