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Im Licht seiner Filme

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Viele bedeutende Künstler und Persönlichkeiten des internationalen Films stammen aus Österreich, viele von ihnen haben nie ein Werk in der Heimat geschaffen — so Erich von Stroheim, Josef von Sternberg, Fritz Lang; dem großen G. W. Pab^t war es erst nach vielen Jahren größter Auslandserfolge möglich, in Österreich drei Filme zu drehen. Und so kommt es, daß von jenen Filmregisseuren, die in Österreich selbst ihre Filme inszenieren konnten und in den internationalen Filmgeschichtsbüchern aufgezählt werden unter den Großen ihres Faches, eigentlich nur drei Namen aufscheinen: Willi Forst, Gustav Ucicky und — Karl Hartl...

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Viele bedeutende Künstler und Persönlichkeiten des internationalen Films stammen aus Österreich, viele von ihnen haben nie ein Werk in der Heimat geschaffen — so Erich von Stroheim, Josef von Sternberg, Fritz Lang; dem großen G. W. Pab^t war es erst nach vielen Jahren größter Auslandserfolge möglich, in Österreich drei Filme zu drehen. Und so kommt es, daß von jenen Filmregisseuren, die in Österreich selbst ihre Filme inszenieren konnten und in den internationalen Filmgeschichtsbüchern aufgezählt werden unter den Großen ihres Faches, eigentlich nur drei Namen aufscheinen: Willi Forst, Gustav Ucicky und — Karl Hartl...

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Karl Hartl, am 10. Mai 1899 in Wien geboren, hat als Regisseur 24 Filme inszeniert, von denen einige in die Filmgeschichte eingegangen sind, er hat zahlreiche Drehbücher geschrieben, die von dem enormen filmischen „Gespür“ ihres Verfassers zeugen, und hat, mehr oder weniger unfreiwillig, aus Pflichtgefühl das österreichische Filmschaffen in schwerster Zeit so geführt und geleitet, daß es die wahrhaft größte Blütezeit seines kaum sechzigjährigen Bestehens in dieser Ära erlebte — wohl mehr als Grund genug, heute und hier ausführlich Karl Hartl zu würdigen und ihn zumindest mit diesem Gedenken aus Anlaß seines 75. Geburtstages unter jene großen Österreicher einzureihen, die den Begriff unserer Heimat als Kulturland auf der ganzen Welt in Ehren vertraten.

„Ich war ein aufgewecktes, kluges Kind — und offenbar hat man schon früh den Genius in mir erblickt“ — so beginnt Hartl selbst ironischspöttisch seinen Lebensbericht; „ich war schon früh dem Kino zugetan, das hat mich schon immer fasziniert — und so ging ich eines Tages auch nach Sievering, wo die Sascha-Filmfabrik, wie sie damals hieß, stand. Und in Begleitung meines Freundes Gustav Ucicky unternahm ich den Versuch, dort unterzukommen. Das war relativ einfach: es war die Zeit des Ersten Weltkrieges, es gab keine erwachsenen Männer, schon gar keine .Jünglinge', und wir hatten insofern Glück, als gerade zufällig der Chef anwesend war, Graf Alexander Kolowrat. Der war offensichtlich ein Wagemutiger, denn er engagierte uns auf der Stelle: Ucicky als Kamera-Träger und mich als .Mädchen für alles', als .Schlacken-Schammes', wie das damals hieß ... Offiziell gab es dafür den noblen Titel Hilfsregisseur', aber das war ausgesprochene Hochstapelei, denn in Wirklichkeit waren wir für alles da: wir haben Kaffee geholt und Bier, alles, was zur Aufnahme nötig war, besorgt; tagsüber waren wir im Atelier tätig und abends wurde dann für den nächsten Tag disponiert. Die Schauspieler wurden bestellt, und wer sonst noch für die Aufnahme notwendig war — was damals überaus kompliziert war, denn die wenigsten besaßen ein Telephon. So mußte man dann vier, fünf Stunden am Abend von einem Bezirk zum anderen laufen, um die betreffenden Darsteller zu verständigen, daß sie am nächsten Tag Aufnahme hätten. Zu dieser Zeit war überhaupt alles noch ein wenig improvisiert und viele Filme entstanden sozusagen ,auf gut Glück' — natürlich waren sie auch dementsprechend bescheiden, kleinere Streifen, die nicht soviel Geld, Zeit und Materialaufwand beanspruchten, wie es dann später der Fall war.“

Das war 1917; doch als der Krieg zu Ende war, änderten sich die Produktionsverhältnisse überaus rasch und damit der Tätigkeitsbereich Karl Hartls. Die ersten Beziehungen mit dem Filrhausland, vor allem mit Amerika, entstanden — und da man in Wien wesentlich billiger Filme produzieren konnte (um ein Fünftel der amerikanischen Kosten!), wurden bald große Projekte in Angriff genommen, wie „Prinz und Bettel-Knabe“ (1920), „Herren der Meere“ (1922), „Eine versunkene Welt“ (1922), „Samson und Dalila“ (1922), „Jedermanns Weib“ (1924), und auch jene berühmten Werke, wie „Sodom und Gomorrha“, „Die Sklavenkönigin“ und „Der junge Medardus“, Filme, die der Sascha-Film Alexander Kolo-wrats zu Weltruhm verhalfen und eine Blütezeit des stummen österreichischen Films einleiteten, die mit dem jähen Tod des „Filmgrafen“ ein ziemlich abruptes Ende fand. Hartl selbst lernte von der Pike auf, er war Cutter, Drehbuch-Mitautor, er lernte durch die Kamera „filmisch“ zu sehen und zu empfinden, war Produktionsleiter, Dramaturg — und als mit „Cafe Electric“ (mit Willi Forst und Marlene Dietrich) die österreichische Filmproduktion mehr oder weniger zerfiel, ging Hartl zusam-nen mit Gustav Ucicky zur „Emelka“ nach München (der späteren „Bava-ria“), wo sie Hasenclevers „Ein besserer Herr“ verfilmten (1928), hierauf nach Berlin; auch dort hatte Hartl Glück, als er einen Mann traf, der ein Faible für alles besaß, was aus Wien kam, Günther Stapenhorst. Im Rahmen dieser Produktion entstanden dann einige Filme, darunter „Der Sträfling aus Stambul“ (1929) mit Heinrich George, Willi Forst und Paul Hörtbiger, einer der letzten deutschen Stummfilme.

Zunächst schrieb Hartl zwei Drehbücher für Ucicky, „Der unsterbliche Lump“' und „Hokospokus“ (beide 1930) — letzteres zusammen mit Walter Reisch, bis er zum ersten Mal selbständig Regie führte. „Ein Burschenlied aus Heidelberg“ war ein. Film mit Willi Forst und Betty Bird, Ucickys Gattin — und da Ucicky selbst dabei nicht inszenieren wollte, übertrug man Hartl die Regie; die Kritik (siehe Herbert Ihering am 29. August 1930 im „Berliner Börsen-Courier“) war nicht sehr zufrieden — und Hartl selbst ist es heute auch nicht. Doch war dies immerhin der erste Anstoß — und Filme folgten, die heute deutsche Filmgeschichte bedeuten: so „Berge in Flammen“ (zusammen mit Luis Trenker), ein Streifen, an den Hartl trotz bester Kritiken aus verständlichen persönlichen Gründen sich nicht gern erinnert, hierauf die hinreißend elegante und geistreiche Hochstapierkomödie „Die Gräfin von Monte Christo“ (1932) mit Brigitte Helm, Rudolf Forster, Mathias Wieman und Gustaf Gründgens, über die Ihering am 23. April 1932 schrieb: „Einer der besten deutschen Tonfilme.“

Nach dem „Prinz von Arkadien“,in Österreich gedreht, entstand Hartls erster Film mit Hans Albers — dieser Zusammenarbeit entsprangen überhaupt die besten Filme Hartls! —, der Science-fiction-Film „F. P. 1 antwortet nicht“, ein wirklicher Großfilm um eine künstlich angelegte „schwimmende Insel“ im Atlantik als Zwischenstation für den Europa-Amerika-Plug, eine kühne Idee, die dann durch die Flugzeugträger ihre Realisierung fand. Neben Albers sah man zum ersten Mal im deutschen Film Sybille Schmitz; Paul Hartmann und Peter Lorre waren ihre Partner. Die schauspielerischen Leistungen und die neue Thematik wurden von der Kritik besonders rühmend hervorgehoben. Nach einem Zwischenspiel mit der Be-natzky-Operettenyerfilmung „Ihre Durchlaucht, die Verkäuferin“ (1933) mit Liane Haid und Willi Forst arbeitete Hartl wieder an einem gewaltigen Projekt, an einem Film über künstliche Golderzeugung aus Blei durch Atomzertrümmerung: „Gold“ — wieder mit Hans Albers sowie Brigitte Helm und Michael Bohnen als Hauptdarsteller; indessen war Hitler an die Macht in Deutschland gekommen und langsam, aber sicher geriet der deutsche Film unter die Kontrolle des Propagandamini-steriums und der Politik. 1934 war dieser Einfluß noch nicht so stark spürbar — aber dennoch gelang es Hartl nUr mit Mühe und unter dem Hinweis auf die Co-Produktion mit Frankreich, einzelne nationalsozialistische Tendenz-Effekte zu vermeiden — und so wurde es ein großer Film, den -man heute noch immer zeigen und sehen kann.

Später wurde dann der Druck immer härter, aber Hartl hatte — wie stets — Glück, besonders durch zwei Dinge: erstens war er Österreicher und galt als solcher bis 1938 als Ausländer, wodurch er sich aus politischer Bindung heraushalten konnte, und zweitens war er bei der Ufa fest engagiert und hatte infolgedessen eine Dauer-Arbeltsbewilligung. So konnte er noch politisch völlig unabhängige Filme drehen, wie „So endete eine Liebe“ (1934) mit Paula Wessely, Gustaf Gründgens und Willi Forst, „Zigeunerbaron“ nach Johann Strauß (1935) mit Adolf Wohlbrück und Hansi Koteck, „Die Leuchter des Kaisers“ (1936, in Österreich), wofür er Johannes Heesters entdeckte, der neben Sybille Schmitz und Karl Ludwig Diehl Favorit des Films wurde, „Ritt in die Freiheit“ (1937) mit Willy Birgel, dann der wohl bezauberndste und unvergeßlichste Film Hartls, die köstliche Gaunerkomödie „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ (1937) mit Hans Albers und Heinz Rühmann, ein wirklicher „Klassiker“ deutscher heiterer Filmkunst, und schließlich „Gastspiel im Paradies“ mit Hilde Krahl und Albert Matterstock.

Doch indessen war 1938 gekommen und damit der Anschluß Österreichs an das Dritte Reich; lassen wir jetzt Hartl persönlich weitererzählen:

„Nachdem das Propagandaministerium den Plan gefaßt hatte, in Wien eine Produktionsgruppe zu errichten — sie sollte ,ostmärkische Filmkunst' heißen, was abgewendet werden konnte —, wurde als Produktionsleiter ein Mann gesucht, der aus Wien stammen sollte. In den Augen der Verantwortlichen gab es nur zwei Aspiranten dafür, die ihnen geeignet erschienen, Willi Forst und mich; doch Forsts Stil, Filme zu machen, war auf einer anderen Ebene, als dies eigentlich erwünscht war — und so blieb es an mir hängen, obwohl ich mich eigentlich zunächst mit dem Hinweis weigerte, ich sei Regisseur und verstünde zuwenig von der Organisation. So habe ich auch einige Monate gezögert, doch als dann die Gefahr immer näherrückte, daß das Ministerium dann einfach einen Mann aus Deutschland als ,kommissarischen Leiter“ einsetzen würde, der der ganzen Produktion dann ein anderes Gesicht geben würde, waren wir uns alle einig, daß es dann doch besser' wäre, wenn es ,einer von uns' machen würde — und das gab mir den Anstoß, daß ich“ gesagt habe, also schön, ich werde es versuchen. Und so wurde ich also Leiter der damaligen Wien-Film, von 193t bis 1945.“

Mit ganz wenigen Ausnahmen entstanden in Hartls Ära bei der Wien-Film keine politischen Propaganda-Filme — und daß dies so gelang, ist sein großes geschichtliches Verdienst:

„Das war am Anfang zunächst sehr kompliziert, denn Berlin hatte so seine bestimmten Ideen; das erste Projekt, das überhaupt vom Ministerium in Berlin aus für Wien ersonnen wurde, war zum Beispiel schon ein Film über den Dollfuß-Mörder. Und es war eine harte Nuß, dieses Projekt auf einige Jahre hinauszuzögern — so wurden lauter schlechte Drehbücher geschrieben usw. —, bis es endgültig ;begraben' wurde. Aber einige sogenannte ,AJibi'-Filme mußten gedreht werden, sonst hätte man wahrscheinlich die Struktur der ganzen Wien-Film entscheidend geändert — und so entstand schließlich .Heimkehr' und ,Wien 1910'. Die Tobis, Ufa, Terra usw. hatte es natürlich viel schwieriger als wir, die wir weiter vom Schuß waren. So konnten wir im großen und ganzen vorwiegend unpolitische Filme drehen, mit wenigen Ausnahmen flüchteten wir in unseren Stoffen in die Vergangenheit — wenn Sie es genau anschauen, so werden Sie finden, daß es kaum einen Wien-Film gibt, der nicht vor oder um die Jahrhundertwende spielt — und das hatte natürlich den Hauptgrund darin, daß man in solchen Filmen kein aktuelles politisches Bekenntnis ablegen mußte und auch überhaupt nicht konnte.“

Karl Hartl selbst drehte in seiner siebenjährigen Produktionsleiter-Tätigkei'T. als Regisseur selbst nur einen Film:

„Es geschah auch aus taktischen Gründen, denn ich fand, wenn man zehn oder zwölf Filme zu betreuen hat, die jeweils immer von einem anderen Regisseur und einem anderem Team gemacht werden, daß man mit diesen nicht selber in Konkurrenz treten soll — denn unwillkür-lich und unbeabsichtigt kann es dann heißen, man nimmt sich die teuersten und besten Sachen und macht den kostspieligsten Film selbst und die anderen müssen dann mit dem Rest auskommen! Das wollte ich von vornherein nicht aufkommen lassen — und überdies war ich auch viel zu intensiv mit jedem einzelnen Film der Produktion so beschäftigt, vom Gedanken bis zum fertigen Ergebnis, daß ich mich auf eine eigene Regiearbeit hätte konzentrieren können. So kam es, daß ich in dieser Zeit nur einen Film gemacht habe, ,Wen die Götter lieben' (1942), und dazu kam es eigentlich auch nur durch ein Malheur, weil nämlich der vorgesehene Regisseur, Eduard von Borsody, einige Tage vor Drehbeginn lebensgefährlich erkrankte (so daß er sich sogar in die Schweiz in ärztliche Behandlung begeben mußte). Und da ich mit dem Stoff und dem Film überhaupt bestens vertraut war, bin ich für ihn eingesprungen und habe den Film gemacht. In der Zeit konnte ich mich natürlich weniger um die Wien-Film selbst kümmern ...“ '? •. K * Als 1945 Österreich an Stelle der deutschen die Alliierten-Okkupation erlebte, wurde Hartl auch weiterhin als Leiter der Wien-Film bestätigt. Doch hatte er weniger mit der Organisation zu tun — wedl es da nicht viel zu tun gab (infolge der Aufgliederung der Wien-Film-Betriebe in die vier Besatzungssektoren und der Schwierigkeiten in rechtlicher Beziehung) — und konnte wieder selbst Filme inszenieren. 1948 entstand unter Hartls Regie mit einer großartigen österreichischen Besetzung (Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Oskar Werner, Curd Jürgens, Hans Holt, Helene Thimig, Maria Schell, Hedwig Bleibtreu, Gustav Waldau, Anton Edthofer, Fred Liewehr, Karl Paryla, Alma Seidler und Adrienne Gessner) nach dem Roman Ernst Lothars „Der Engel mit der Posaune“, was Hartl auch die Berufung eintrug, in London unter seinem einstigen Gönner und Freund Alexander Korda eine englische Version des Stoffes zu inszenieren. Nach diesem „The Angel with the Trampet“ (1950) mit Eileen Herbe und Norman Wooland in den Hauptrollen und einem weiteren englischen Film, „The Wonder Kid/ Entführung ins Glück“, der vorwiegend in Österreich entstand, kehrte Hartl wieder in seine Heimat zurück, wo er in der Folge „Der schweigende Mund“ (1951) mit Oskar Homolka und „Der Weg in die Vergangenheit“ (1954) inszenierte, letzteren wieder mit einer großen Besetzung, Mit Paula Wessely, Willi Forst, Willy Fritsch, Maria Holst, Rudolf Fernau, Attila Hörbiger, Maria Eis und Josef Meinrad. Die immer stärkere Abhängigkeit des österreichischen Filmschaffens vom deutschen Markt veranlagte Hartl, abermals in die Bundesrepublik zu gehen, wo er noch einige Komödien und Lustspiele inszenierte, wie „lAebeskrieg nach Noten“, „Mies für Papa“ und „Rot ist die Liebe“; sein vorletztes Opus, abermals ein Mozart-Film, „Reich mir die Hand, mein Leben“ mit Oskar Werner in der Titelrolle, in Wien gedreht, wird als sein Regie-Vermächtnis in Erinnerung bleiben und als Abschluß eines großen, künstlerisch reichen Regisseur-Werkes in aller Gedächtnis bleiben.

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