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Im Mittelpunkt aller Papstreden: der Mensch

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Zwischen zwei großen Weltreisen -Afrika (2. -12. Mai) und Brasilien (30. Juni -10. Juli) schob Johannes Paul II. ein verlängertes Wochenende in Frankreich ein (30. Mai bis 2. Juni). Er kam damit gleich drei im Vatikan nacheinander eingegangenen Einladungen nach, die Generaldirektor Amadou Mahtar-M'Bow im Namen der UNESCO, die Kardinäle Etchegaray und Marty im Namen der französischen Kirche und Staatspräsident Gis-card d'Estaing im Namen des französischen Staates an ihn ergehen ließen.

So verschiedenartig das Besuchsprogramm auch war, das Anliegen des Menschen stand immer im Zentrum. Um dies in seiner vollen Bedeutung zu verstehen, muß man von folgender Zeitanalyse ausgehen:

Während der östliche Marxismus als Quasi-Staatsreligion mit seiner atheistischen und kollektivistischen Sicht der Gesellschaft, von außen auf die Kirche stößt und in deren Inneren in Abwehrhaltung einen einigenden und festigenden Prozeß bewirkt, dringt der westliche Zeitgeist, geprägt von Säkularismus, Konsumismus und Permissi-vität langsam in das Innere der Kirche ein und beginnt dort aufweichend und aufspaltend zu wirken.

Alle großen Ansprachen des Papstes verstehen sich von dieser Zeitanalyse her.

Der Mensch als Subjekt der Kultur, als Träger ungeahnter Möglichkeiten sowie seine Bedrohung in der modernen Welt, das ist die Palette von Themen, die im Zentrum der Ansprache vor der UNESCO stand.

„Der Mensch lebt nur dank der Kultur ein wahrhaft menschliches Leben. Das menschliche Leben ist auch in dem Sinne Kultur, daß sich der Mensch durch sie von allem unterscheidet, was in der übrigen sichtbaren Welt existiert. Der Mensch kann auf Kultur nicht verzichten,” rief der Papst aus.

In deutlicher Abgrenzung zur marxistischen Ideologie erklärte der Papst, daß es nicht möglich sei, den Menschen als das Produkt all seiner konkreten Daseinsbedingungen zu betrachten, zum Beispiel als das Ergebnis von Produktionsverhältnissen. Sie böten niemals den wesentlichen Schlüssel zum

Verständnis des Menschen. Papst Woj-tyla hob die grundlegende Verbindung des Evangeliums, also der Botschaft Christi und der Kirche, mit dem Menschen und seiner Menschlichkeit selbst hervor.

Wer wissen will, was Papst Johannes Paul II. über den Zustand der Kirche eines bestimmten Landes denkt, muß vor allem die Ansprachen an die Bischöfe im Rahmen von Bischofskonferenzen genau studieren. Dies gilt auch für die Ansprache in Issy-les-Moli-neaux, im Priesterseminar der Erzdiözese Paris. Hier hielt der Papst die wichtigste Ansprache im Rahmen seines Besuchsprogrammes als Gast der französischen Bischöfe.

Die Diskussion hat bereits darüber heftig begonnen, ob Papst Wojtyla eine außergewöhnliche Kirche des Westens zu einseitig mit dem Maß einer außergewöhnlichen Kirche des Ostens gemessen oder mutig und unbeirrt auf die Schwächen dieser französischen Kirche hingewiesen hat. Der Papst zeigte sich auch hier als Anwalt des modernen Menschen. Die Kirche müsse ihre Sorge um den Menschen als unverzichtbaren Teil ihrer Gesamtsendung begreifen, erklärte der Papst mit der Begründung, das Evangelium sei die Offenbarung an den Menschen über seine volle Wahrheit und seine christliche Berufung.

Um diese Aufgabe besser erfüllen zu können, müsse die Kirche zunächst das, was das Zweite Vatikanische Konzil gelehrt und beschlossen hat, aufnehmen und verwirklichen. Der Papst versäumte nicht, ausdrücklich hinzuzufügen: in einer echten Interpretation der Konzilstexte.

Mit auffallender Deutlichkeit warnte Johannes Paul II. die Bischöfe Frankreichs vor einer falschen Anpassung an den Zeitgeist und vor unguten Tendenzen, die sich unter der Etikette „Entwicklung” und „Reform” anbieten. Dies und anderes mehr nehme dem Evangelium und der Kirche die Glaubwürdigkeit, erklärte der Papst zu den Bischöfen, von denen sich nach der Ansprache zumindest einige recht betroffen zeigten.

Was in der UNESCO mehr in Form einer akademischen Vorlesung und vor der Bischofskonferenz eher als seelsorgliche Ermahnung vorgetragen wurde, bezeugte der Papst persönlich vor allem in zwei Veranstaltungen. In der „capi-talrouge”, der roten Hochburg Frankreichs, im 1,300.000 Einwohner zählenden Pariser Vorort Saint Denis feierte er eine Messe mit Arbeitern und Arbeiterinnen in der geräumigen ehemaligen Abteikirche und hielt in leicht verständlicher Sprache eine Predigt vor der Kirche über die Würde des Menschen, die sich vor allem in seinem Vermögen zu lieben und Verantwortung zu tragen, zeigt.

Der Mensch dürfe nicht als Objekt ideologischer Zielsetzung oder reiner Profitgier mißbraucht werden. Daher müsse das Arbeitsrecht die Familie in den Mittelpunkt stellen.

Unter dem Jubel von 51.000 J ugend-lichen im Sportstadion „Parc du Prince” legte der Papst sein persönliches Zeugnis ab, daß die Begegnung mit Christus einen Menschen wirklich glücklich machen kann. Er sei hingegen überzeugt, daß der moderne Materialismus mit seiner Permissivität und die moderne Konsumgesellschaft den Menschen nicht glücklich machen.

Während seines viertägigen Besuches verstand der Papst die Gelegenheit, die ihm die Massenmedien, vor allem das Fernsehen, boten, meisterhaft zu nutzen und sich die Sympathie der Franzosen zu erobern.

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