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„Im Namen aller, die guten Willens sind"

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Das Chan Theater in Jerusalem war bis zum letzten Platz gefüllt, als Hunderte Intellektuelle, Schriftsteller und Maler der Verleihung des Israel-Preises für Literatur, der dem Araber Emil Habibi zuerkannt wurde, beiwohnten. Der Redeschwall wollte kein Ende nehmen. Kaum ein Schriftsteller oder Aktivist einer der linken Parteien wollte es sich nehmen lassen, Habibi, der auch an der Spitze eines Schriftsteller-Verbandes steht, der sich für jüdisch-arabische Zusammenarbeit einsetzt, zu gratulieren. Habibi sagte in nur wenigen Worten, daß er das Geld des Preises dem,,Roten Halbmond" überweisen wird. Bekanntlich beschäftigt sich diese Institution auch mit Intifada-Opfern.

Seit dem 40jährigen Bestehen dieses Preises, der jedes Jahr an Israels Nationalfeiertag, dem Befreiungstag, vergeben wird, wares heuer zum ersten Mal, daß während der Preisverleihung einer der Anwesenden aus dem Publikum auf die Tribüne sprang und schreiend dagegen protestierte. Der Protest galt Emil Habibi, der Minuten nach dem Protest die Auszeichnung aus der Hand des Unterrichtsministers erhielt und dem anwesenden Ministerpräsidenten Schamir, dem Staatspräsidenten und anderen Notabein die Hand drückte.

Der Protestierer war Professor Ju-val Neeman, der vor Jahren den Israel-Preis für Physik erhalten hatte und heute Vorsitzender der ultrareclj-ten Tchia, der Auferstehungspartei, ist. Neeman gab aus Protest den Preis zurück und verließ mit seinen Anhängern unter Buh-Rufen den Saal. Begeistert begrüßt wurden sie von den faschistoiden KACH-Anhängem, die außerhalb des Saales gegen die Preisverleihung demonstrierten. Wobei auch die bekannten Rufe „Tod den Arabern" zu vernehmen waren. Es war der Auftakt der Auferstehungspartei zu den Wahlen, bei denen sie gegen zwei weitere ultrarechte Parteien ankämpfen muß. Jeder dieser drei will sich mit Araberhaß profilieren. Doch Habibi war auch der einzige Preisempfänger, dem man begeistert zuklatschte. Der71jährige Schriftsteller verriet jedoch durch keine Miene, was in seinem Inneren vorging.

Der „Opsemist" (Pessimist und Optimist zugleich), ist einer von Habibis wichtigsten Romanen, der auch als Monodrama mit großem Erfolg im Haifaer städtischen Theater aufgeführt wurde. Er erzählt den Werdegang eines israelischen Arabers, der es allen Juden und Arabern recht machen will, dabei viele Enttäuschungen hinnehmen muß. Er hilft einigen Juden, wird deswegen von den Arabern als eine Art Kollaborateur betrachtet, doch die Juden traktieren ihn trotzdem mit Schlägen. Nun versuchte er sich bei seinen arabischen Mitmenschen einzuschmeicheln, aber auch diese drohen ihm mit ihren Fäusten, bei jedem nichtigen Anlaß. So wird Habibis Held zu jemandem, der mit allen Mitteln überleben will und zu diesem Zweck auch seine Mitmenschen, Juden und Araber gegeneinander ausspielt.

Emil Habibi wurde in Haifa in einer arabisch protestantischen Familie geboren. 1936 bei dem ersten arabischen Aufstand gegen die britische Mandatsregierung und zugleich gegen die in Palästina lebende jüdische Bevölkerung wollte er mit seinen Klassenkameraden eine Untergrundzelle bilden, doch daraus wurde nichts. Sechs Jahre später schloß er sich der palästinensischen kommunistischen Partei an und wurde in kurzer Zeit einer ihrer wichtigsten Funktionäre. Als 1947 der UNO-Teilungsplan veröffentlicht wurde, lehnte die damalige arabische Führung in Palästina und den benachbarten arabischen Ländern den Plan ab. Sie wollten ganz Palästina für die Araber. Die Juden jedoch betrachteten sie als kaum geduldete Minderheit. Habibi war einer der ganz wenigen, die die Meinung vertraten, man müsse den Teilungsplan annehmen. So widersetzte er sich auch dem Aufruf des Obersten Arabischen Rates, Palästina bis Ende der Kämpfe zu verlassen. In Nazaret, der zum größten Teil christlichen Stadt, gelang es Habibi an der Spitze der kommunistischen Partei, die Stadt kampflos den Israelis zu überlassen. Seit Israels Staatsgründung sah Habibi in dem Judenstaat auch seine persönliche Heimat als israelischer Araber, der ein Teil des palästinensischen Volkes ist.

Habibi begann als Zwanzigjähriger seine ersten Kurzgeschichten zu veröffentlichen, doch zur Reife gelangte er mit einer Reportage, in der er den Abschied von seiner Mutter am Jerusalemer Mandelbaumtor beschreibt. als diese sich zu ihren anderen Kindern nach Jordanien begab, mit dem Wissen, niemals mehr nach Israel zurückkehren zu können. Diese Reportage wurde zu einem literarischen Dokument, denn sie veranschaulichte die Tragödie des palästinensischen Volkes und des israelischen Arabers, die beide eins und trotzdem durch eine tiefe Kluft getrennt sind.

Emil Schukri Habibi, Vater von drei Töchtern und Großvater von neun Enkeln, war von 1953 bis 1972 Knessetmitglied als Vertreter der Israelischen Kommunistischen Partei. Er mußte das Parlament verlassen, da nach Ansicht der damaligen Parteileitung Habibi nicht nationalistisch genug und nicht immer linientreu war. Einige Jahre war er noch Chefredakteur der kommunistisch arabischen Tageszeitung „AI Itichad". Vor zehn Jahren jedoch beschloß Habibi seine Funktionen aufzugeben und sich ausschließ-lich der Literatur zu widmen. Er fühlte sich niemals ganz wohl in seiner Parteiweste, denn bei ihm waren nicht alle Mittel zum Ziel heilig. So kritisierte er den Irak, als dieser noch ein Favorit Moskaus war, weil er eine Ausrottungspolitik gegen die Kurden betrieb. Während des Golfkrieges, als Yasser Arafat und die gesamte PLO den Irak unterstützte, nahm er öffentlich dagegen Stellung. Als seine Partei die Reformen von Gorbatschow kritisierte, forderte er per sofort eine persönliche und ideologische Revision der Partei. Diese revanchierte sich mit dem Ausschluß von Habibi, für Kritik hatten die Kommunisten in Israel nur wenig Platz.

Obwohl Habibi an der Spitze einer jüdisch-arabischen Schriftstellerorganisation steht, erhielt er vor zwei Jahren von Yasser Arafat die Jerusalem-Medaille, die höchste literarische Auszeichnung der PLO. Habibi gilt als wichtigster Vertreter der neuen palästinensischen Literatur in Israel. Als man Habibi vor einigen Monaten vorschlug, als erster arabischer Schriftsteller den Israel-Preis zu erhalten, bat er um Bedenkzeit. Er wollte sich mit seinen arabischen Schriftstellerfreunden beraten, ob er aus der Hand von zwei Verfechtern Großisraels, Unterrichtsminister Hammerund Ministerpräsident Schamir, einen Preis erhalten kann. Die meisten arabischen Schriftsteller, die der PLO nahestehen, sprachen sich dagegen aus. Yasser Arafat jedoch war dafür. Ausschlaggebend war jedoch der Mentor der arabischen Literatur, der ägyptische Nobelpreisträger Nagib Mach-fus. Dieser: „Israel ist deine Heimat, also mußt du auch den israelischen Preis empfangen, denn dieser ist nicht nur ein Preis für dich, sondern auch eine Anerkennung für alle israelischen Araber und ein weiterer Schritt zur völligen Gleichberechtigung."

Präsident Herzog dankte Habibi in einem Brief: „Ich erhalte den Preis für Literatur im Namen aller, die guten Willens sind, Juden und Araber, und verstehen, daß man Konflikte nur auf dem Verhandlungsweg lösen kann, und wenn wir Schriftsteller unseren Teil dazu durch Literaturwerke beitragen können, umso besser."

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