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Im Nete der Ost-Agenten

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„Ist Ihre Sekretärin erschienen?”, war eine der meisten Fragen Montag morgens im Großraum Köln, nachdem am Sonntag abend die Verhaftung einer Sekretärin aus dem Bundespräsidialamt, die für die DDR gearbeitet hatte, bekannt wurde.

Ein „Sommertheater” blieb dieses Jahr in der Bundesrepublik aus. Dafür begann die politische Herbstsaison mit einem gewaltigen Paukenschlag. Nach dem Verschwinden zweier Sekretärinnen, eine davon aus dem Büro des FDP-Vorsitzenden und Wirtschaftsministers Martin Bangemann, erreichten die jüngsten Spionageskandale durch das Absetzen des Abwehrchefs im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, Hans-Joachim Tiedge, ihren vorläufigen Höhepunkt.

Diese Vorfälle lassen den normalen Bürger wieder einmal erkennen, wie stark die Bundesrepublik als „Nato-Frontstaat” wie kein anderes Land Operationsgebiet fremder Nachrichtendienste ist. Allerdings ist der Verrat von Aufmarschplänen oder Truppendislozierungen im Zeitalter der Satellitenaufklärung nicht mehr das Problem. Die wichtigsten Stoßrichtungen fremdstaatlicher Geheimdiensttätigkeit sind heute die politische” Aufklärung, das Herausfinden politischer Pläne und Einschätzungen und die Wirtschaftsspionage, um zum Beispiel bei Vertragsverhandlungen die bessere Position zu besitzen.

Zunehmend an Bedeutung gewann in den letzten Jahren der „Einflußagent”. Nicht das Auskundschaften ist seine Aufgabe, sondern das Beeinflussen der politischen Willensbildung in Parteien und Verbänden. Es ist nicht auszuschließen, daß im Zuge der Kampagne gegen die Nato-Nachrüstung ein Teil der auf 4.000 geschätzten DDR-Agenten auf diesem Felde eingesetzt waren.

In der Bundesrepublik selbst gibt es drei nachrichtendienstliche Stellen: der militärische Nachrichten- bzw. Abwehrdienst im Rahmen des Verteidigungsministeriums, der Bundesnachrichtendienst in Pullach, unterstellt dem Bundeskanzleramt, und der Verfassungsschutz, unterstellt dem Bundesinnenministerium.

Unter dem etwas eigenartig wirkenden Namen Verfassungsschutz verbirgt sich letztendlich eine Art Staatspolizei, allerdings ohne polizeiliche Befugnisse (verhaften können Verfassungsschützer nicht). Seine Rechtsund Arbeitsgrundlage ist aus der Geschichte und Konstruktion der Bundesrepublik zu verstehen. Man wollte alles verhindern, was irgendwie an die Gestapo der Nationalsozialisten erinnert, wohlwissend, daß man aber ohne eine derartige Behörde nicht auskommen kann. Denn dafür hat schon das Grundgesetz (Verfassung) der Bundesrepublik gesorgt.

Wie bei keiner anderen westlich-demokratischen Verfassung ist im Bonner Grundgesetz das Prinzip der „wehrhaften Demokratie” verankert. So heißt es zürn Beispiel schon in Artikel 2 des Grundgesetzes, daß die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen darf.

Deshalb wurde 1950 der Verfassungsschutz in Köln errichtet. Seine Aufgaben sind die Sammlung und Auswertung von Nachrichten über Bestrebungen, die * gegen die freiheitlich-demokrati-*sche Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik gerichtet sind, sowie über geheimdienstliche Aktivitäten fremder Mächte.

Anders ausgedrückt: das Verfassungsschutzamt ist für die Spionageabwehr und die Uber-wachung terroristischer und politisch extremer Elemente verantwortlich. Weiters nimmt es auch die Sicherheitsüberprüfungen von wichtigen Persönlichkeiten in der Politik oder in Ämtern vor.

Der Bundesnachrichtendienst hingegen macht in anderen Ländern das, was der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik bekämpft: er betreibt Aufklärung und Spionage. Schon alleine aus dieser Tatsache kann man erkennen, daß der außenpolitische Schaden der aktuellen Spionageaffären etwa in den Beziehungen der Bundesrepublik zur DDR kaum Auswirkungen haben wird, weil man sich ja gegenseitig nichts vorzuwerfen hat. Der Schaden für die Bundesrepublik ist aber insofern bedeutsam, weil die Spionageabwehr von vorne anfangen muß und viele Agenten in der DDR gefährdet sind.

Welche Konsequenzen wird man aus dieser Affäre ziehen? Sicherlich einmal personelle. Dem früheren Leiter des Verfassungsschutzes und jetzigen Chef des Bundesnachrichtendienstes, Heribert Hellenbroich, wird vorgeworfen, von den persönlichen Schwierigkeiten Tiedges gewußt, aber nicht die Konsequenzen gezogen zu haben. Dieser Vorwurf trifft auch den stellvertretenden Leiter des Verfassungsschutzes Pfahls. Die Ablösung beider ist wahrscheinlich und wird von allen Seiten gefordert.

Der linksliberale Tübinger Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg hat allerdings Anfang dieser Woche im Zusammenhang mit der Spionageaffäre vor einem übertriebenen Datenschutz gewarnt. In der Tat wurde die Spionageabwehr bei der Uberprüfung von Melderegistern vom nordrheinwestfälisehen Innenminister vor kurzem behindert.

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