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Im Niemandsland

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Nirgends erscheint die Konfrontation zweier Welten so greifbar wie in der koreanischen demilitarisierten Zone. Werden die Nordkoreaner nach 23 Jahren angreifen? Mehr als 40.000 amerikanische Soldaten und die südkoreanische Armee mit ihrer hervorragenden amerikanischen Ausrüstung wirken abschreckend. Dennoch bleibt es eine Tatsache, daß die Nordkoreaner in der Nähe der entmilitarisierten Zone sechs neue Flugbasen errichtet haben. Sie bedrohen anscheinend hauptsächlich die sechs kleineren Inseln auf der Höhe von Seoul, die heute den Schutz der VNO genießen.

Wir stehen auf dem letzten Beob-jichtungsposten des UNO-Kornman-dos. Unten, ein paar hundert Meter weiter, glitzert ein Brückengerüst im Sonnenschein: Es ist eine historische Brücke, sie heißt die „Brücke ohne Wiederkehr“, in Erinnerung daran, daß am Ende des Koreakrieges 21 Nordamerikaner den seichten Fluß hier versehentlich überquert haben und spurlos verschwunden sind. Doch gab es einmal eine Rückkehr über diese Brücke für die amerikanischen Soldaten: der Kapitän und

die Mannschaft des von Nordkoreanern gefangengenommenen Schiffes „Pueblo“ konnten über diese Brücke in die Freiheit zurückkehren. Für die kürzlich mit Äxten erschlagenen zwei amerikanischen Offiziere und ihre koreanischen Kameraden wird es keine Rückkehr mehr geben.

Momentan herrscht Ruhe unten in der entmilitarisierten Zone. Auf unserer Seite beobachtet ein amerikanischer Feldwebel die Gegend durch einen Feldstecher. Er ist ein kräftiger Neger, bei bester Gesundheit und Kondition, groß, ein Mann wie Muhammad Ali. Bei der Brücke beobachtet ein anderer Amerikaner die Straße. Ein hier dienender amerikanischer Hauptmann vom UNO-Kommando bemerkt: „Dies ist sonst der einsamste Platz der Welt.“ Ein südkoreanischer Beamter, der uns mit einem amerikanischen Marineleutnant hierher begleitete, sagt: „Es ist keine vollkommen demilitarisierte Zone; die Nördlichen verletzen oft das Waffenstillstandsabkommen ...“

Das Gebäude, in dem einst, am 27. Juli 1953, das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde, ist

derzeit vollkommen verlassen. Die Bewohner von Panmunjom oder auch Pan Mun Jong — koreanisch bedeutet es soviel wie „Holz-Tor-Laden“ — haben sich zerstreut. Man kann aber das nordkoreanische „Friedensdorf“ sehen. Als die Südkoreaner im südlichen Teil der entmilitarisierten Zone, die 180 km lang und beiderseits zwei bis drei Kilometer breit ist, das typische „Freiheitsdorf“ erbauten, wollten die Nordkoreaner sie übertreffen, sie bauten also ihr „Friedensdorf“ auf. mit viel größeren Häusern. „Es wird behauptet, daß diese Ortschaft 2000 Bewohner hat, wir konnten jedoch nur 37 beobachten“, — bemerkt der südkoreanische Offizier, „Es gibt kein Leben in dem Dorf, so wie bei uns, sie strahlen jedoch täglich 18 Stunden lang kommunistische Propagandaparolen in hoher Lautstärke aus — in Richtung Süden.“

Die Demarkationslinie ist, alle 100 Meter, mit gelben Tafeln markiert, auf einer Seite mit koreanischen und englischen, auf der anderen Seite mit koreanischen und chinesischen Aufschriften. Von Seoul, das bekanntlich die Hauptstadt Südkoreas ist und mehr als sechs Millionen Bewohner zählt, 60 Kilometer weit von der Demarkationslinie liegt, erreicht man in einer Stunde und 20 Minuten die Grenze zwischen Nord-und Südkorea.

Wir passierten auch die lange Brücke über den Fluß Inchor. Unweit ragten die Reste einer im Krieg zerbombten Brücke aus dem Wasser. Die Postenhäuser sind im koreanischen Stil gebaut, an den Wänden sind die UNO-Abzeichen sichtbar.

In Südkorea stehen normalerweise gut 40.000 amerikanische Soldaten bereit, davon 7000 Flieger und 200 von der Kriegsmarine. Es liegt dort noch eine kleine internationale „Honour Guard“ von der UNO, abgesehen von der Internationalen Beobachterkommission, die aus Schweizern, Schweden, Polen und Tschechoslowaken zusammengesetzt ist. Die Polen und die Tschechen zählen zu den „Neutralen“. Der Leiter der schweizerischen Gruppe ist ein General, dabei ist die Schweiz gar kein Mitglied der Vereinten Nationen. Jedes nationale Beobachterteam besteht aus sieben Personen.

Die DMZ ist ein Vogelparadies: Wildenten fliegen in südlicher Richtung, ohne Passerschein, auf der nassen Wiese spazieren Reiher und andere Wasservögel, ohne sich um die Warntafeln zu kümmern. Sie fliegen aus der Mandschurei ein, sie zu jagen ist verboten. Die DMZ ist für die seltenen Vögel ein sicheres Niemandsland. Aber nur für sie — wie

man in diesen Tagen wieder feststellen mußte.

Wir passierten eine südkoreanische und eine UNO-, dann eine nordkoreanische Wachstation. In der „Gemeinsamen Sicherheitszone“ befinden sich südkoreanische wie auch nordkoreanische Soldaten. Nordkoreanische Soldaten beobachten uns mißtrauisch. Sie befinden sich an einer Seite einer Baracke, die Mitglieder des „UNO-Kommandos“ an der anderen Seite. Das Gebäude heißt „Neutrales Haus“, oft verhandeln hier Delegationen miteinander. Manchmal nehmen Chinesen an den Besprechungen teil. Ein Konvoi, bestehend aus fünf Autos, hat die „Brücke ohne Wiederkehr“ eben passiert, eine nordkoreanische Delegation ist eben eingetroffen. Koreanisch und englisch sind Amtssprachen — aber nicht Russisch. Die Reden werden simultan übersetzt. In der Mitte der Baracke steht ein überdimensionierter Ping-Pong-Tisch. Wir gehen durch das Zimmer, der Marineleutnant sagt: .Jetzt stehen loir auf nordkoreanischem Territorium“. Durch das Fenster beobachten uns scharfe nordkoreanische Soldatenaugen. Wir tragen Armbänder mit der Aufschrift „Presse“. Als unsere „persönlichen Beobachter“ bemerken, daß wir photographieren wollen, verschwinden sie mit Windeseile.

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