7026110-1989_12_11.jpg
Digital In Arbeit

Im Osten ist der Atheismus gescheitert

Werbung
Werbung
Werbung

„Menschen ohne Gott“ - das können militante Leugner der Existenz Gottes sein oder Leute, die mit den von Religionen tradierten Gottesbildern nicht zu Rande kommen, oder Personen, die gar nicht viel darüber nachden- ken.

FURCHE: Herr Kardinal,

macht nicht jeder Mensch Momente der Gottfeme, des Zwei- felns an Gott durch, steckt nicht, wie Johannes B. Lotz1 in einem Buch geschrieben hat, in jedem Menschen ein Atheist?

KARDINAL FRANZ KÖNIG: In einer gewissen Weise ja. Die Möglichkeit, nicht zum Glauben zu gelangen, oder den Glauben nicht anzunehmen, oder den Glauben später wieder zu verlieren, die besteht und ist in jedem Menschen vorhanden. Man kann den Glauben auch nicht so einfach wie einen wissenschaftlichen Lehrsatz weitergeben, sondern es ist außer dem entsprechenden Wissen eine persönliche Entscheidung notwendig, zu der jeder auf seine Weise gelangen kann und muß.

FURCHE:Ist nicht in bestimmten Phasen des Lebens, etwa in der Jugend, eine gewisse Abkehr vom Glauben oder Gottfeme etwas Natürliches?

KÖNIG: Die Pubertätszeit ist mehr oder weniger für jeden eine Zeit der Krise, der Unsicherheit, der Fragen, des Suchens. Wenn vom Glauben die Rede ist, müßte man auch unterscheiden:

• die Gottesfrage: Gibt es Gott als Schöpfer der Welt und als letztes Ziel des menschlichen Lebens?

• die Christusfrage: Wer ist Christus? Ist Christus der Sohn Gottes, der uns den Weg zum Vater weist?

• die Kirchenfrage: Ist die Kirche irgendeine Religionsgemeinschaft oder die von Christus gestiftete Gemeinschaft, in der seine Botschaft weiterlebt und das kommende Reich Gottes vorbereitet wird?

FURCHE: In der Bergpredigt heißt es, man solle seinen Bmder nicht als Gottlosen bezeichnen. Muß man sich nicht sehr davor hüten, jemanden der Gottlosigkeit oder der Gotteslästemng zu bezichtigen, zumal auch Christus wegen angeblicher Gotteslästemng zum Tod vemrteilt wurde?

KÖNIG: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ heißt es im gleichen Kapitel, und: „Nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden.“ Es ist sehr schwierig und manchmal auch sehr anmaßend, über einen anderen ein solches Verdikt zu fällen oder ihn der Gottlosigkeit zu bezichtigen, weil es sehr schwer ist, eine solche Kenntnis seines geistigen Lebens und der inneren Vorgänge zu haben, daß man ein so weitreichendes Urteil über einen Menschen fällen kann, das letztlich Gott zusteht.

FURCHE: Herr Kardinal, Sie haben sicher die Diskussion um das Buch JSatanische Verse“ verfolgt, auf dessen Autor sogar ein Kopfgeld ausgesetzt wurde. Wie sehen Sie diese Vorgänge im Islam aus christlicher Sicht?

KÖNIG: Weil im Islam Religion und Politik praktisch Hand in Hand gehen, kommt es zu solchen harten Verurteilungen, die man als Christ nicht teilen kann, obwohl auch der Christ es bejaht und bejahen soll, daß sich gläubige Menschen gegen verletzende Angriffe auf ihre religiöse Überzeugung wehren - aber ohne Urteil und weltliche Strafe.

FURCHE: Wie soll sich nun die Kirche gegenüber Menschen verhalten, die sich selbst als Atheisten oder Agnostiker bezeichnen?

KÖNIG: Zunächst die Ursachen auch bei sich suchen, wie es im Konzilsdokument „Gaudium et spes“, Nummer 19, geschehen ist. Dort heißt es, daß die Gläubigen an der Entstehung von Atheismus erheblichen Anteil haben können, wenn sie „durch Vernachlässigung der Glaubenserziehung, durch mißverständliche Darstellung der Lehre oder durch die

Mängel ihres religiösen, sittlichen und gesellschaftlichen Lebens das wahre Antlitz Gottes und der Religion eher verhüllen als offenba- ren .

FURCHE: Mit welcher Zielset- 71 mn ist. seinerzeit das viele Jahre von Ihnen geleitete Sekretariat für die Nichtglaubenden in Rom errichtet worden?

KÖNIG: Es lag auf der Linie der auf Dialog ausgerichteten beiden vorausgegangenen Sekretariate, des einen zur Förderung der christlichen Einheit und des anderen für Gespräche mit den nichtchristlichen Religionen. Auch für die Nichtglaubenden, die religiös Indifferenten und Gleichgültigen ein Sekretariat zu schaffen, sollte zeigen, daß die Kirche für alle da ist und Gerechtigkeit, Respekt vor der Freiheit und Würde des Menschen als gemeinsame Basis aller Menschen sieht. Auf dieser Basis sollte das Sekretariat für die Nichtglaubenden ein Zeichen der Öffnung und Bereitschaft zum Gespräch setzen.

FURCHE: Wie ging die praktische Arbeit vor sich?

KÖNIG: Ich war 15 Jahre Leiter des Sekretariats, und wir hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Da es ein relativ kleines Sekretariat war und ist, cfes nicht ständige Anwesenheit in Rom erforderte, meinte Papst Paul VI., ich solle Erzbischof von Wien bleiben, aber ich mußte doch oft nach Rom fahren, und mein Sekretär mußte einen großen Teil der Arbeit selber leisten.

Inhaltlich ging es um die grundsätzliche Orientierung: Sollte man sich mit allen Formen des Atheismus, die es auf der Welt gibt, beschäftigen und das Gespräch suchen? Oder sollte es mehr um Studium, Erkenntnis, Darlegung der Situation gehen? Rußland als Vertreter des marxistischen und kämpferischen Atheismus gab uns zu verstehen: Wir sind an einem Dialog nicht interessiert, nur an der Hilfe, um eine marxistische Gesellschaft aufzubauen. Aber die Theorie ist für uns klar, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.

Daher haben wir uns dann verlegt auf die Erforschung der Si tuation: Was ist Atheismus? Wie weit gibt es ihn? Welche Formen gibt es? Das Sekretariat, im Frühjahr 1965 ins Leben gerufen, hat bereits entscheidend zu den Kapiteln 19 bis 21 von „Gaudium et spes“ beigetragen, das im Herbst 1965 verabschiedet wurde und worin die verschiedenen Formen des Atheismus aufgezählt werden. Als es um die Frage ging, ob das Konzil den Marxismus verurteilen solle, haben sich gerade die Bischöfe aus den Oststaaten dafür eingesetzt, daß nicht der Kommunismus, sondern der Atheismus verurteilt wurde.

FURCHE: Welche Formen kann Atheismus haben?

KÖNIG: Sehr verschiedene. Es kann Gleichgültigkeit sein, Indifferentismus sozusagen, oder es sind Formen des philosophischen und schließlich des aggressiven Atheismus. Zum Beispiel bekämpfte bisher der atheistische Marxismus Religion überhaupt massiv als ein Hindernis für den menschlichen Fortschritt, mit der Tendenz, Religion auszurotten.

Ich habe dazu einige Texte aus dem ostdeutschen Jugendlexikon in meinem Buch „Der Glaube der Menschen“2 zitiert, zum Beispiel „Der religiöse Glaube steht in einem unversöhnlichen Gegensatz zum wissenschaftlichen Denken“ und „Wenn das wissenschaftliche Denken Allgemeingut aller geworden ist, wird die religiöse Form des gesellschaftlichen Bewußtseins endgültig verschwinden“. Auf der anderen Seite sind viele große Wissenschaftler, auch Nobelpreisträger, gläubige Menschen.

Das Sekretariat wollte also keine aggressive Verurteilung, sondern eine Klarstellung: Was heißt Atheismus? Wo sind die Ursachen? Sind Christen mitschuldig daran? Was kann man dagegen tun? In „Gaudium et spes“, Kapitel 21, heißt es dazu: „Das Heilmittel gegen den Atheismus kann nur von einer situationsgerechten Darlegung der Lehre und vom in- tegren Leben der Kirche und ihrer Glieder erwartet werden.“

Also große öffentliche Appelle haben nicht sehr viel Aussicht auf Erfolg, sondern es geht um die situationsgerechte Darlegung der Lehre im Gespräch, im kleineren und größeren Kreis, in der Literatur, in den Medien und um das Zeugnis. Das schlichte Zeugnis des glaubenden Menschen ist das wirksamste Mittel.

FURCHE: Wie sehen Sie die Chancen, daß in jenen Ländern, deren Bewohner durch jahrzehntelange atheistische Propaganda geprägt sind, ein religiöser Neuaufbmch erfolgt?

KÖNIG: Die Atheisten sagen selber: Es ist uns überhaupt nicht gelungen, Glaube und Religion zum Aussterben zu bringen. Sie erkennen heute sogar die religiösen Kräfte als wichtig für die Erziehung der Jugend an. Bei den Millenniumfeiern in Rußland überschlugen sich die Ereignisse von Tag zu Tag. Es war für mich aufregend, das zu beobachten. Zuerst hieß es, der Staat werde sich wohlwollend distanziert zu diesen Feierlichkeiten verhalten, und auf einmal hat man das Bol- schoi-Theater zur Verfügung gestellt, hat sachliche Fernsehberichte zugelassen, und alle meinten, so etwas wäre zwei, drei Monate zuvor undenkbar gewesen.

Aber im Grunde sind die slawischen Völker religiöser, Religion hat in ihrer Geschichte eine große Rolle gespielt, und daher kommt nach meiner Meinung eine religiöse Erneuerung wahrscheinlich einmal aus dem Osten, wenn an der Basis der Druck von oben wegfällt.

Das Gespräch führte Heiner Boberski.

1 Johannes B. Lotz: In jedem Menschen steckt ein Atheist (Knecht Verlag, 1981).

1 Kardinal Franz König: Der Glaube der Menschen (Herder Verlag, 1985).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung