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Im Reich der Hölle

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DIEFURCHE: Die albanische Kir-M. che ist am Boden zerstört. Trotz allem hat sie überlebt.

SIMON JUBANI: In der Tat ist die albanische Kirche am Boden zerstört. Von 500 Kirchen, die wir brauchten, stehen noch etwa 100, alle sind baufällig. Von den 3,2 Millionen Einwohnern Albaniens sind zwölf Prozent Katholiken, 18 Prozent Orthodoxe, der Rest Moslems. Es leben noch 27 Priester und ein Bischof, der aber sein Amt nicht ausübt. Das Durchschnittsalter dieses Klerus liegt bei 57 Jahren.

Die katholische Minderheit hat die wüste byzantinische Verfolgung von 950 Jahren, die türkische von 500 Jahren und die kommunistische von fast einem halben Jahrhundert überlebt. Dieser Katholizismus ist vielleicht der primitivste in der katholischen Welt, aber dennoch der unerschrockenste.

Das neue Albanien hat seinen Ursprung in der Initiative der Katholiken. Am 11. und 14. Jänner 1990 waren wir Katholiken die ersten, die auf die Straße gingen und friedlich gegen den Stalinismus demonstrierten. Alswiramll. November des Vorjahres die Messe vor fünfzig- bis sechzigtausend Zeugen aus ganz Albanien feierten, hat das Innenministerium alles mit Fernsehkameras aufgezeichnet. Während dieser Messe hielt ich eine sehr politische Rede. Seit diesem Datum hat die kommunistische Partei begonnen, sich zur Welt zu öffnen und politische wie religiöse Freiheiten zu gewähren.

FURCHE: Richtete sich der Staatsterror gegen alle Konfessionen?

JUBANI: Die Katholiken litten und leiden noch immer unter einer dreifachen Verfolgung, nämlich durch die Moslems, durch die Orthodoxen und durch die Kommunisten. Wir haben einen Genozid überlebt, wie man ihn sich radikaler nicht vorstellen kann. Die geschlossenen Kirchen wurden durch den Altar von Karl Marx ersetzt, an den nicht einmal die Kommunisten selbst glauben. Denn jetzt, da die Perestrojka das kommunistische Reich hat zusammenbrechen lassen, hat man kein Mitglied dieser Partei bei seinem Begräbnis weinen gesehen.

FURCHE: Wie verhalten sich zur Zeit gläubige Christen und Moslems in Albanien zueinander?

JUBANI: Der Kommunismus hat niemanden mit seiner Ideologie überzeugt. Allerdings hat er das Gefühl für Scham und Unterordnung überall zerstört. Die moslemische Lehre ist fast verschwunden. Geblieben ist nur der Fanatismus. Im Kontakt mit Katholiken haben Moslems ihre islamischen Gebräuche abgelegt, sogar die Namen ihrer Kinder sind jetzt christlich - oder heidnisch. Als wir Katholiken antistalinistische Demonstrationen veranstalteten und im Jänner des Vorjahres die Regierung zwangen, das große Stalindenkmal vom Platz in Skutari zu entfernen, riefen die moslemischen Brüder nach Waffen, um uns zu ermorden; unter dem Vorwand, daß wir die öffentliche Ordnung störten. Heute verlangen sie Waffen, um mit Saddam Hussein gegen die multinationalen Christen zu kämpfen.

FURCHE: Was braucht Ihre Kirche am nötigsten?

JUBANI: Ganz vorne stehen moralische und wirtschaftliche Hilfen, für die erst einmal die staatT liehen Organe um Erlaubnis gefragt werden müßten. Ebenfalls vom Staat müßte die Rückgabe von Kirchen und anderen mißbrauchten Gebäuden erreicht werden. Auf sozialem Gebiet wäre es nötig, ein karitatives Institut von Ordensschwestern für Kranke und Arme zu gründen. Nicht nur für die Kirche, sondern für die gesamte Wiedergeburt des sozialen und kulturellen Lebens in Albanien wäre die Schaffung von Ausbildungsmöglichkeiten für Priesteramtskandidaten oder Ordensschwestern wichtig.

FURCHE: Was wird sich überhaupt in Albanien Ihrer Meinung nach ändern müssen?

JUBANI: Der „genetische Code” der Albaner ist vermischt mit Byzantinismus, mit Ottomanismus und Kommunismus. Außer den Katholiken haben alle anderen die Idee Europas aus dem Blick verloren. Albanien ist zu byzantinisch, zu ottomanisch, serbisch, russisch und chinesisch, um sich europäisch nennen zu können. Albanien ist zu krank und zu klein. Es ist anders, als die anderen Ex-Satellitenstaaten der Sowjetunion, weil hier die atheistische Doktrin von Marx bis zum bitteren Ende angewandt und das menschliche Bewußtsein vollständig monopolisiert worden ist. Die westliche Welt reicht mit einer Spitze bis ans Paradies. Albanien steht am anderen Ende in der Hölle. Als Enver Hodscha starb und an die Pforten der Hölle kam - erzählt man in Albanien - wurde er von Luzifer umarmt und begrüßt: „Bravo, du hast alle meine Erwartungen übertroffen.” Und an das gesamte Reich der Hölle gewandt, meinte Luzifer: „Ich bin nicht mehr würdig, Fürst der Hölle zu sein. Von nun an ist es der Albaner Enver Hodscha.”

Wenn der Westen bereit ist, den durch Perestrojka befreiten Ländern zu helfen, dann bedarf Albanien einer anderen Form der Unterstützung. Die katholische Minderheit ist wie das Haus Savoyen, um das sich herum ganz Italien geeinigt und versammelt hatte. Wenn der Westen der katholischen Gemeinschaft hilft, hilft er ganz Albanien. Die Katholiken sind die Hefe, die das ganze Land aufgehen lassen wird.

Mit dem 63jähtigen albanischen Priester SI-'”MON JUBANI.von 1964 bis 1989 acht Mal in Haft, sprach in Rom PAUL RICHARD BLUM.

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