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Im Reich der Illusionen

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Ein Fest für Cineasten liefert das Fernsehen im Weihnachts- und Ferienprogramm. Daß sich das Unterhaltungskarussell noch beschleunigen wird, ist bereits absehbar.

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Ein Fest für Cineasten liefert das Fernsehen im Weihnachts- und Ferienprogramm. Daß sich das Unterhaltungskarussell noch beschleunigen wird, ist bereits absehbar.

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„Vom Himmel hoch, da kommt es her — das Satellitenprogramm von ZDF, ORF und SRG, kurz 3sat." Was ein kabarettistischer Gag über die neuen Medien sein könnte, stammt aus der Presse-aussendung des ORF, die das Weihnachts- und Neujahrsprogramm von 3sat ankündigte.

Mit den Satellitenprogrammen ist es dem elektronischen Medium Fernsehen gelungen, endlich die biblische Geschichte auch ins Gewand des elektronischen Zeitalters zu kleiden. Der elektronische

Weihnachtsstern weist den Weg durch die langen Nächte um den Jahreswechsel.

Aber auch wenn sich die 3sat-Macher Mühe gegeben haben, ihr Fest- und Ferienprogramm „sorgsam" zu programmieren, der eigentliche Fernsehrummel fand und findet nach wie vor terrestrisch statt.

„Wie selten zuvor bietet heuer der ORF als Weihnachts- und Ferienprogramm ein Programm der Premieren an", verkündete ebenfalls der Pressedienst und hat damit nicht unrecht. Was in Österreich, aber auch im Ausland in die Schlacht geworfen wird, um den Jahreswechsel mit einem attraktiven Programm zu bestreiten, kann sich sehen lassen.

Der ORF druckte sogar eigens eine Broschüre, um die Fülle an klingenden Programmen und Namen im Festtagsrummel nicht untergehen zu lassen.

Von der „stillen" Jahreszeit kann jedenfalls auch in den elektronischen Medien nicht gesprochen werden, die Ferien- und Freizeit ist die Zeit der medialen Entrückung von den Alltagssorgen geworden. Einkehr und Besinnlichkeit sind durch ein Angebot von Aktion und auch Horror und Gewalt verdrängt.

Der ORF-Programmschwerpunkt „Unheimliche Tiere" brachte „Orca, der Killerwal" Fritz Längs „Die Spinnen", den Hollywood-Affen „King Kong" und die Riesenameisensaga „For-micula". Mit dem Welterfolg „Der weiße Hai" erreicht der gruselige Streifzug durch das Tierreich am 6. Jänner seinen Höhepunkt.

Der Superthriller aus dem Rauschgiftmilieu „French Con-nection — Brennpunkt Brooklyn" sorgte letzten Samstag für den Spätabendsnervenkitzel, der zweite Teil „French Connection II" folgt am Samstag, dem 4. Jänner.

Aber auch für familiengerechtere Kost wurde und wird gesorgt, wobei den klingenden Filmtiteln kaum jemand widerstehen kann. „Doktor Schiwago", laut ORF-Pressedienst „sicherlich der größte Filmschatz, den der ORF im heurigen Weihnachtsprogramm" gehoben hat, stand gleich zweimal am Programm, ebenso wie das mehrfach mit dem Oscar prämiierte Gaunerstück „Der Clou".

„Tschitti Tschitti Bäng Bäng", die abenteuerliche Fahrt mit dem Wunderauto, lockte sicherlich nicht nur Junge, sondern auch Junggebliebene aller Art vor den Bildschirm.

Mit „Oberst Redl", der k. u. k. Spionagegeschichte, die nicht zuletzt von Klaus Maria Brandauer lebt, am Samstag, dem 4. Jänner, und dem Filmereignis des Jahres 1980, „Die Geliebte des französischen Leutnants", mit Meryl Streep in der Hauptrolle am Sonntag, dem 5. Jänner, stehen

zwei Filmereignisse auf dem Programm, die Cineasten das Herz höher schlagen lassen. „Is was, Doc" mit Barbra Streisand und Ryan O'Neal, ebenfalls am 5. Jänner, kann auch als Pflichttermin vor dem Bildschirm bezeichnet werden.

Weitere Leckerbissen findet man ohne Schwierigkeiten im Programm jedes einzelnen Tages der Fest- und Ferientage. Und wie schon in den letzten Jahren wird die Zuseheranalyse im nachhinein feststellen, was auch die statistische Auswertung der festtäglichen Speisenfolge unserer Wohlstandsgesellschaft aufzeigt: Der Gourmet weicht dem Gourmand. Der Cineast wird durch die Dichte des Programms zum Vielseher.

Das Angebot schafft sich seine Nachfrage, ist eine These für diesen Trend, der aber auch entgegengehalten werden kann: Der Zuseher verlangt's. Und tatsächlich zeigt ein aktuelles Beispiel aus der Bundesrepublik Deutschland, wie groß der Widerstand ist, wenn eine Selbstbeschränkung der elektronischen Unterhaltungsmaschinerie gefordert wird.

Der Bildungsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Friedrich Neuhausen, forderte schlicht ein fernsehfreies Weihnachtsfest. Daraufhin ließen empörte Anrufer die Telephone heißlaufen. Nur wenige Anrufer unterstützten die Ansicht des Abgeordneten, die Menschen sollten sich an den Feiertagen nicht von der „Mattscheibe" berieseln lassen, sondern wie-

der mehr miteinander reden und sich gemeinsam freuen.

Da dieses Ansinnen des Politikers diametral gegen den Zeitgeist lief, ließ die Korrektur nicht lange auf sich warten. Lediglich das Weihnachtsfest sollte fernsehfrei bleiben.

Aber auch diese Forderung ist nicht durchsetzbar, denn die Trends weisen in eine ganz andere Richtung. Unterhaltung ist Trumpf.

Eine in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte Untersuchung zeigt dies deutlich. Während von Politikern und Bildungsexperten die Bildungs- und Informationsgesellschaft beschworen wird, gerät das Fernsehen als beliebtester Freizeitpartner immer mehr zum Vehikel, mit dem sich der Zuseher ins Reich der Illusionen flüchten kann.

Eine Umfrage der „Forschungsgruppe Wahlen", die von den beiden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF in Auftrag gegeben wurde, untersuchte einen Monat lang das Fernsehverhalten von 445 Personen und 176 Haushalten in Ham-

burg, Mainz, Ludwigshafen und München, die an ein Kabelnetz angeschlossen sind, und somit neben den Programmen der öffent-lich-rechtlichenRundfunkanstal-ten auch die des ersten deutschen Privatfernsehens SAT 1, des deutschsprachigen Luxemburger Fernsehprogramms „RTL plus", sowie Sky Channel, Music Box etc. sehen können.

Es wurde festgestellt, daß die Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten noch immer an der Spitze der Publikumsgunst liegen, ARD mit einer Nutzung von 25 Prozent, ZDF mit einer von 27 Prozent, daß aber mit 23 Prozent SAT 1 bereits dicht auf den Fersen liegt. Allerdings hat RTL plus in der Zwischenzeit seine Reichweite beträchtlich erhöht und ist über Kabel in 800.000 Haushalten empfangbar, terrestrisch in 500.000 Haushalten. Demoskopen vermuten, daß dieses fast ausschließlich auf Unterhaltung ausgerichtete Programm in Konkurrenzgebieten bereits vor ZDF, ARD und SAT 1 deutlich in Führung liegt.

Noch brisanter ist das Ergebnis, daß die Vielfalt der Programme von den Zusehern dazu benutzt wird, um sich die Unterhaltungsrosinen aus dem Angebotskuchen herauszupicken. Das ZDF beschreibt das Sehverhalten des Publikums als ein „Untlerhaltungs-karussell, das die immer gleichen Runden dreht. In einer Art Slalom, unterstützt durch die Fernbedienung, schalten die Zuschau-

er von einem Kanal zum nächsten und umgehen damit Informati-ons- und Kulturprogramme."

ARD und ZDF verloren in den Beobachtungsgebieten ein Drittel ihrer Zuseher bei den Nachrichtenmagazinen und fast die Hälfte bei den Kultursendungen.

Da sich das österreichische Fernsehverhalten nicht grundsätzlich anders entwickelt, wird sich das Unterhaltungskarussell auch in Österreich weiterdrehen. Was in der Weihnachts- und Ferienzeit vorexerziert wurde, wird im übrigen Jahr auf niedrigerem Niveau Standard werden.

Spielfilme und Serien, zum Großteil importiert, werden breite Zustimmung beim Publikum erhalten. Insbesondere Untersuchungen des Spielfilmangebots von RTL plus zeigen, daß es dabei weniger auf QualitäT und Exklusivität des Filmmaterials ankommt; wesentlich wichtiger ist es, täglich mit einem Spielfilm aufzuwarten. Und zwar immer zur selben Zeit, denn bei diesem Service nehmen viele Zuseher das Programmangebot in jedem Fall an.

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