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Im Schatten des Fallbeils

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Es steht heute außer Zweifel, daß die Französische Revolution im eigenen Land der sozialen Schicht des Besitz- und Bildungsbürgertums zur Macht verholfenund 1791 den ersten demokratisch legitimierten modernen Nationalstaat mit Repräsentatiwerfassung hervorgebracht hat. Mit der Zerstörung des alten Römischen Reiches Deutscher Nation erschütterte und veränderte sie das europäische Staatensystem grundlegend.

Darüber hinaus hat sie auch im Inneren der europäischen Staaten tiefgehende Veränderungen und Beformenbewirkt, obwohl hierzum

Teil schon durch die Reformen des aufgeklärten Absolutismus manche Erneuerungen erfolgreich durchgesetzt wurden.

Am Beispiel der Revolution zeigten sich allerdings auch die Grenzen des Reformabsolutismus. Dort, wo nämlich die Neugestaltung der Gesellschaft besonders notwendig war, wurden keine wesentlichen Veränderungeneingeleitet. Vielfach sieht die Revolutionsforschung in denEreignissennach 1789 auch den Beginn der politischen Demokratie, die in bürgerliche Demokratie und Volksdemokratie, in direkte und repräsentativeR^erunggegliedert wird.

Li der Tat haben die Ereignisse besonders vom 10. August 1789 die Epoche der politischen Demokratie eingeleitet und auf den Ebenen des allgemeinen Wahlrechts, des öff entheben Unterrichtswesens \md der Fürsorge durch den Konvent einige Errungenschaften des 19. Jahrhunderts vorweggenommen.

Die Revolution verlief jedochnicht linear, und ihre demokratischen Proklamationen wurden durch den Verlauf des revolutionären Geschehens emsthaft bedroht Die jakobinische Diktatiur entwickelte sich stufenweise ohne genauen Plan. Sie beruhte auf zwei wesentlichen Fundamenten: derfanatischenErgeben-heit ihrer Anhängerund deren strenger Orthodoxie.

In dieser Verbindung lag auch ihre Ställe, die allerdings in eine dok-trinäreMentaUtätder Jakobiner einmündete. Trotz dieser Gefahr manifestierten sich die demokratischen Ansätze in den unmittelbaren Veränderungen und auch darin, wie die Revolution von den Zeitgenossen empfunden wurde: als tie^reifender und dauerhafter Riß zwischen einem alten Regime und einem neuen.

Ein politisch und ideologisch so stark besetztes Thema wie die Französische Revolution hat verständlicherweise auch in der neueren Forschung sehr kontroverse Beurteilungengefunden. Die wissenschaft-Uche Polemik dauert an und erfährt durch den 200. Jahrestag neue Nahrung. Die wichtigsten kontroversen Bereiche konzentrieren sich auf die JEVagen, welche Rolle am Vorabend der Französischen Revolution die konjunkturellen beziehungsweise kurzfristigen Faktoren und die strukturellen, säkularen Langzeitentwicklungen spielen, inwieweit die Revolution eine entscheidende EHmktion beim Ober^ gang von einer Produktionsweise zur anderen - vom Feudalismus zum Kapitalismus - innehat, welche Rolle den EUten und dem MentaUtäts-wandel beziehungsweise dem Bmch des gesellschaftUchen Bewußtseins im Revolutionsverlauf zukommt, welche Kontinuitäten und Brüche es im Ablauf des Revolutionsgeschehens gab und ob die Revolution ein notwendiges Ereignis oder Zufall war.

Die Revolution selbst war ein Ereignis,das tiefgreif ende Uneinigkeit bewirkte und die Franzosen in Royalisten «md Republikaner, in Katholiken und Antiklerikale spaltete, und dies in einer Weise, die noch heute nachwill

Politikemeid und Geltungssucht sorgten dafür, daß der dezimierte und modifizierte Festkalender zum 200. Jahrestag der Französischen Revolution eher glanzlos und provinziell wirkt Gleich nach seiner Wahl 1981 hatte Präsident Francois Mitterrand eine große Weltausstellung ins Auge gefaßt Dieser Plan scheiterte jedoch am heftigen Widerstand des Pariser Bürgermeisters Jacques Chirac. Der internationale Welthistorikerkongreß an der Sorbonne in Paris und das Opemspektakel finden allerdings -wie vorgesehen - statt

Neben der republikanischen Ver^ herrUchung der Revolution formiert sich in Frankreich imd darüberhinaus eine konterrevolutionäre Bewegung, die sich zahlenmäßig jedoch in Grenzen hält Hatte schon der Kulturhistoriker Chaimu die Französische Revolution als reinen Völkermord bezeichnet, so finden sich in der Presse auch Stimmen, die im Terror der Französischen Revolution den Ursprung des modernen Terrors sehen.

Jüngst konmit auch reaktionäre Ahnenforschung in Mode. In dem in Lyon erscheinenden “Magazin“ wurde ein Artikel mit dem Titel “Haben Sie nicht zufällig einen guillotinierten Vorfahren“ veröf-f entUcht. Darin wird über die Gründung einer “Lyoner Vereinigung von FamiUen der Opfer der Ereignisse“ berichtet Vollmitglied kaim nur werden, wer während der Französischen Revolution einen Vorfahren auf der Guillotine eingebüßt hat

Trotz dieser Extrem^halten aber heute alle großen Parteien in EVank-reichdasrepublikanische Erbehoch. Gegen dieRevolution und ihren200.

Jahrestag wenden sich politisch nur einige Rechtsextremisten, Royaß-sten und eine Minderheit katholischer Integiisten.

Am 14. JuU läuft die große MiU-tärparade in Paris ab. Zum Fest der Freiheit, Gleichheit, BrüderUchkeit lädt Präsident Mitterrand die Staatschefs der reichsten Nationen ein. Schon am 13. Juli wird die “Opera de la Bastille“ eingeweiht und am 15. JuU offeriert der Bürgermeister von Paris ein großes Feuerwerk - sicher glänzende Gelegenheiten, das französische Schauspiel aus monarchischem Prunk und republikanischer l^adition, aus Azt-cien Regime und Revolution in Szene zu setzen.

Zweifelhaft bleibt, ob diese Aktivitäten die f ortdauemde Relevanz der französischen Revolution im Bewußtsein der öffentUchkeit beweisen. Werden alte Wunden wieder angerissen oder kann ein bleibender, kritischer Beitrag zur Beurteilung und Nachwirken der Revolution geleistet werden? Vieles deutet eher auf den ersten Punkt hin.

Der Atitor ist Profcssar für Neuere GescMdit« an der Uüvcrsität Innsbruck und Mtg^ed der Kommission rur Vorbereitung des intcmationa-IsnHislatiksrkang^vssesanderSorbcnneinParia.

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