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Im Schatten einer Serie

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Es begann mit einer an die Haushalte verteilten Wertoedrucksache („Kennen auch Sie Leute, die das Wort ,Jude' nur flüstern?“), die man, um Näheres zu erfahren, erst aufreißen mußte, als handle es sich um Pornographie. Es begann mit der überdimensionierten, von den Plakatwänden drohenden, durch einen Zionstern verfremdeten rotweiß-roten Fahne. Wenige Tage später war die öffentliche Meinung in diesem Lande polarisiert wie noch kaum jemals wegen einer Artikelserie.

Auf der einen Seite stehen nun alle jene, die ihre bewußten oder unbewußten antisemitischen Restbestände hinter der Formel „Ich hab' ja gar nix gegen die Juden!“ zu verbergen pflegen: So, wie man einan-ander schon lange an dieser Redewendung ails gleichgesinnt erkennt, so trägt man seit wenigen Wochen Äußerungen über die Reimannsche Objektivität als Abzeichen einer aufgeklärt-geläuterten, aber im Grunde halt doch bodenständigen Haltung.

Auf der anderen Seite steht der österreichische Presserat, der die Serie „Die Juden in Österreich“ mit der Begründung verurteilte, daß sie „die Berufspflichten der Presse und das Ansehen der Presse schwerstens verletzt“, und die „Kronen-Zeitung“ macht es sich sehr leicht, wenn sie darin nur ein Konkurrenzimanöver sieht. Denn auf der anderen Seite steht auoh, empört und betroffen, ein großer Teil der österreichischen Intellektuellen, unter denen die Juden nur eine winzige Minorität darstellen. Um sie, in der Diktion der Reimannschen Serie, gehörig abzustempeln: Professor Carry Hauser von der „Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich“ ist ebenso Niohtjude wie Reimann, dasselbe gilt für Univ.-Prof. Dr. Kurt Schubert vom „Christlich-jüdischen Koordinierungsausschuß“. Beide stehen aber auch in keinem Konkurrenzverhältnis zur „Kronen-Zeitung“. Trotzdem heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung:

Die marktschreierische Ankündigung einer Artikelserie in der „Kronen-Zeitung“ über „Die Juden in Österreich“, durch eine rotweißrote Fahne, mit dem anstelle des Staatswappens gestellten Davidschüdes, offensichtlich jüdischen Machtanspruch darstellend, wurde von uns mit äußerstem Befremden aufgenommen. Einesteils waren und sind wir der Uberzeugung, daß die Verbreitung von Wissen über das Judentum eine entscheidende Waffe zur Eindämmung des Antisemitismus darstellt. Anderseits bedeutet eine Artikelserie in einer Tageszeitung mit einer Auflage von mehr als einer Million die Gefahr, daß dadurch Ressentiments und unterschwellige Empfindungen des Antisemitismus frei werden und es erfordert eine besondere Verantwortung, dieses Thema, das seit Jahren von unseren Organisationen auf wissenschaftlicher Grundlage und bei verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen behandelt wurde, einem größeren Leserkreis vorzustellen.

Eine große Zahl von Österreichern denkt anders. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg gehofft hatte, allein das Erschrecken über den gräßlichsten Massenmord der Weltgeschichte würde den Antisemitismus in Österreich zum Verschwinden bringen, und auf eine neue, von diesem Übel freie Jugend hoffte, sah sich getäuscht. Der tiefere Grund für das Überdauern des Antisemitismus in Österreich ist darin zu sehen, daß er nach 1945 nicht bekämpft, sondern tabuiert wurde, daß die Kinder dieses Landes in den Schulen nichts von Juden und nichts von Verbrechen an den Juden, nichts vom Antisemitismus und nichts von seinen Ursachen erfuhren, so daß das schreckliche Karussell der Vorurteile weiter rotieren konnte.

Das Ergebnis wurde von Ifes und Sozialwissenschaftlicher Studiengesellschaft recherchiert — zu einem Zeitpunkt, als Bruno Kreisky schon Kanzler, der Antisemitismus aber noch nicht Causa non grata war. Demnach ist der Antisemitismus, oder das, was man gerne abwiegelnd seine „Restbestände“ nennt, bei der Jugend um nichts weniger stark als bei den Alten, während andere Vorurteile — etwa gegen Gastarbeiter — bei der Jugend weniger stark verbreitet sind. Kein Wunder: Junge Menschen haben Gelegenheit, Gastarbeiter kennenzulernen und daher, in der Konfrontation der Vorurteile mit der Wirklichkeit, erstere abzubauen. Antisemitische Vorurteile wurden ungeprüft, unüberprüfbar übernommen. Mehr als jeder vierte Österreicher glaubt an eine historische Schuld der Juden an ihrer eigenen Verfolgung. 40 Prozent von 1330 Befragten fanden es ganz oder zum Teil zutreffend, es sei für einen NichtJuden oft, „wenn er einem Juden die Hand gibt oder sonst mit ihm näher zu tun hat, schwer, einen gewissen körperlichen Widerwillen zu unterdrücken“.

Wenn irgend jemand dieses Volk und seine urieingestandenen Empfindungen kennt, dann sind es die Marketing-Experten der „Kronen-Zeitung“, die mit ungeheurer Treffsicherheit in das seit 1945 dank Nicht-Information, Nicht-Aufklärung, Nicht-dran-Rühren hineinstieß, Tatsächlich unmöglich wurde 1945 nicht der Antisemitismus, sondern ein unreflektierter, „naiver“ Antisemitismus, der meint, keiner Entschuldigungen und Alibis zu bedürfen. Diese Entschuldigungen und Alibis werden den Lesern der „Kronen-Zeitung“ seit dem 7. April 1974 in kräftigen Tagesdosen geliefert.

Die Ironie des Schicksals will es, daß die Zeitung, die sich heute so geschickt an den latenten Antisemitismus in Herrn Karl wendet, seinerzeit unter den Fittichen eines Olah gegründet wurde, der nach seinem Ausscheiden aus der SPÖ seinerseits im Wahlkampf antisemitische Töne anschlug. Unter den Lesern der „Kronen-Zeitung“ hätten dabei zumindest jene, die zu den angestammten Stammwählerschichten der SPÖ gehören, solche Alibis nicht nötig. Denn wenn irgendwo auf der Welt, dann wurde in Österreich bewiesen, daß wenige Jahre intensiver Beeinflussung in diesem oder jenem Sinne in der Lage sind, weitverbreitete Massenvorurteile zu verstärken oder abzubauen.

Viele Hunderttausende von Menschen, die vor der Jahrhundertwende und bis zum Ersten Weltkrieg nach Wien strömen, bilden die Stadt um und werden von ihr umgebildet. In diesen Jahrzehnten wird auch die Basis zur Wiener Spielart des Antisemitismus gelegt, die Auseinanderentwicklung zu einer dem Antisemitismus bis tief in die NS-Ära überraschend resistent gegenüberstehenden Arbeiterschaft und einem für Rassenparolen eher anfälligen Kleinund Mittelbürgertum wird zum Modell C dafür, welche tiefgreifenden Bewußtseinsänderungen innerhalb weniger Jahrzehnte möglich sind. Der Kampf um die Arbeiterschaft wird von den Christlich-Sozialen weitgehend mit antisemitischen Parolen geführt. Nach dem Verlust der Arbeiterviertel an die Sozialdemokratie ist hingegen die Wiener Arbeiterschaft bald auch für den Antisemitismus verloren. Nicht, so das Kleinbürgertum, dessen ökonomische Interessen Dr. Lueger glaubhafter vertritt als die Arbeiterpartei. Zwischen den Fronten, auf der einen Seite Schönerer, auf der anderen die Sozialdemokraten; steuert er notgedrungen den Kurs des Antisemitismus. Die Folgen sind bekannt.

Aber mit derselben unerbittlichen historischen Folgerichtigkeit steht die österreichische Sozialdemokratie 1945 vor der Notwendigkeit, sich von einer Klassen- und Kaderpartei mit starkem prägendem Einfluß auf die Mitglieder zu einer Massen- und Volkspartei zu wandeln, die es sich nicht mehr leisten konnte, die Menschen, um die sie werben mußte, wenn sie je eine Mehrheit erringen wollte, mit unpopulären Losungen zu verprellen. So ist denn auoh der einst weltanschaulich so gründlich geschulte Wiener Arbeiter bald wieder abgeschlafft; seine einstige Abneigung gegen den Antisemitismus läßt nach, er verbürgerlicht, schlimmer, er verkleinbürgerlicht.

Die Serie „Die Juden in Österreich“ ist in dieser Situation keineswegs etwa deshalb so gefährlich, weil sie die relativ kleine Zahl fanatischer Antisemiten Morgenluft wittern läßt. Sie ist deshalb so gefährlich, weil sie den Startschuß liefern könnte, und wohl liefern wird, zu einer Mutation des österreichischen Antisemitismus, der sich nun mit der Abneigung gegen Gastarbeiter,

„Tschuschen“, Neger usw. amalga-miert. Diese Serie verschafft der alten, immer wieder in Aggression (in Wien vor allem verklemmte, nie zugegebene Aggression) umschlagende Angst vor dem Fremden ein pseudotheoretisohes Fundament. Sie bestätigt den Österreicher darin, wie er ist — ist er einmal weniger nett, so ist immer der andere schuld.

Alle die, die im Krieg nicht wissen wollten, was passierte, und nach dem Krieg in keiner Minute wissen wollten, was passiert war, und denen alles, was da passierte, ganz recht war, solange man ihnen nicht zumutete, zu wissen, was passierte, alle die erfahren nun aus der „Kronen-Zeitung“ zu ihrer tiefsten Befriedigung, daß eigentlich die Juden an allem, was ihnen widerfuhr, selbst schuld waren, und zwar teils durch ihre liebevoll dargelegten schlechten Eigenschaften, aber ebenso auch durch ihre guten, denn wie sollten gewöhnliche Leute mit gewöhnlichen Fähigkeiten und Ambitionen denn auch eine solche Konkurrenz aushalten. Wie immer sich der Jude verhält — er ist an allem schuld, was ihm geschieht. 1 “*

Reimanns „Ausrutscher“ ebenso wie die Methode, mit Zitaten anderer Autoren zu sagen, was man nicht selber sagen will, ergänzt dabei nur einen insgesamt schiefen, gefährlichen, gewollt naiv gewählten Blickwinkel. Reimänh tut (nicht als erster) so, als hätten sich, abgesehen von der Verfolgung von Juden durch NiChtjuden, alle Menschen stets bestens miteinander verstanden. Reimann verschweigt ein, verschweigt das Grundphänomen des Antisemitismus, das darin besteht, daß kaum jemals in der Gsschichte nur die Juden, immer aber auch die “Juden verfolgt wurden, als eine unter ungezählten verfolgten Minderheiten

gleich welcher Art. Der Antisemitismus ist nicht, wie es Reimann tut, von den Verfolgten, sondern von den Verfolgern her zu erklären. Aber natürlich nicht den Lesern der „Kronen-Zeitung“ und schon gar nicht in einer so aggressiv angekündigten- Serie.

Deren Folgen zeichnen sich ab. Die in der Werbedrucksache versprochene .„Entkrampfung“ fand statt — aber ' als weitere „Entkrampfung“ derer, die keine Antisemiten sein wollen, aber für die Juden auoh nichts übrig haben. Man kann nunmehr seine — der „Kronen-Zeitung“-Werbung für. die Serie zufolge — „aktuelle, verläßliche Meinung“ äußern, schließlich stand sie in Österreichs größter Zeitung.

Und diese Meinung kann doch nur lauten :■ Da die Juden so oft verfolgt wurden, müssen die Gründe dafür bei ihnen liegen.

Man könnte es auch so formulieren: „Denn es kann sich kein ruhig Erwägender der Erkenntnis verschließen, daß jene Bevölkerungselemente, welche im ausgedehnten russischen Reiche eine so allgemeine Aufregung und Entrüstung gegen sich hervorgerufen, haben, die sogar zu bedenklichen Ausschreitungen führten, wohl eine wesentliche Ursache hiezu in sich selbst zu suchen haben.“

. Weniger ' antiquiert formuliert, könnte das gestern in der „Kronen-Zeitung“ gestanden haben. Gesagt hat es Schönerer 1882 im Abgeordnetenhaus, in einer Rede, in der er um „Maßregeln gegen Niederlassung und Durchzug russischer Juden in Österreich“ ersucht. Er sagte bei dieser Gelegenheit auch: „Die in jüngster Zeit in Rußland stattgefundenen Ereignisse legen die Annahme nahe, daß die von dort wegziehenden Juden sich nach Österreich wenden könnten.“

Knapp ein Jahrhundert später wendeten sich „die von dort wegziehenden Juden“ tatsächlich wieder einmal nach Österreich. Wie die Geschichte weiterging, ist allgemein bekannt.

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