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Im Untergrund

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Sigitas Tamkevicius, Alfonsas Svarinskas, Nijole Sadunaite, Viktoras Petkus, Vytautas Skuodis, Algirdas Statkevicius — Priester, Ärzte, Ingenieure, geheime Ordensfrauen. Die Liste jener Litauer, die sich entweder im „Katholischen Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen“ , in der litauischen Helsinki-Gruppe oder bei der Herstellung der Untergrundzeitschrift „Chronik der katholischen Kirche Litauens“ (erscheint seit 19. März 1972, die 72. Ausgabe ist vor kurzem in den Westen gelangt) engagieren und dafür zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, ließe sich beliebig fortsetzen.

Die genannten Namen stehen für den seit Beginn der siebziger Jahre in Litauen immer stärker werdenden Widerstand gegen staatliche Versuche, Selbstbestimmungstendenzen im Keime zu ersticken. Die Anklagen gegen die litauischen Aktivisten lauteten meistens auf „Handlungen gegen den Staat“ . „Aufstachelung zu antisozialistischen Aktivitäten“ , „Polemiken in Predigten, die sich systematisch gegen den Staat und die soziale Ordnung richten“ waren Vorwürfe, die für die Genannten und viele andere drastische Strafmaßnahmen nach sich zogen. Gerne bedient man sich auch der Unterstellung, die religiösen Aktivisten hätten Kirchengelder unterschlagen und mit ausländischen Geheimdiensten zusammengearbeitet.

Trotzdem ist der Widerstand ungebrochen. Seit 1972 häufen sich in Litauen Unterschriftenaktionen gegen repressive Maßnahmen der Behörden. Nicht nur Laien, auch Kleriker beteiligen sich daran. Ja, Priester drohten mehrmals bereits mit zivilem Ungehorsam, falls die Behörden der Sowjetrepublik ihre Eingriffe in das Leben der Kirche in der bisherigen Weise fortsetzen sollten.

Litauen hat die relativ höchste Erscheinungsquote von Untergrundzeitschriften in der gesamten Sowjetunion. Bis jetzt sind 15 Titel bekannt. Mehr als 30 Prozent der politischen Gefangenen in der UdSSR kommen aus den baltischen Staaten — obwohl sie nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Ist das die „erfolgreiche Etablierung des Sowjetsystems“ , von der Michail Gorbatschow in Riga gesprochen hat?

Trotz des ständig stärker werdenden Drucks auf die Gläubigen und die Priester Litauens berichtet die mittlerweüe berühmt gewordene „Chronik der katholischen Kirche Litauens“ von einer religiösen Wiedergeburt des Landes. Gerade diese Tatsache bildet nach Ansicht der „religiösen Dissidenten“ den Grund für eine immer stärkere Einmischung des Staates in die kirchlichen Angelegenheiten.

Innerkirchlich ist der sowjetische Geheimdienst KGB in Litauen ständig präsent. Man versucht die Wahlen zu den Priesterräten zu beeinflussen, das KGB möchte „seine Kandidaten“ etablieren. Befürchtet wird auch, daß das einzige Priesterseminar Litauens in Kaunas unter zunehmenden Druck des KGB geraten ist, seit der Staat den Numerus clausus etwas gelockert habe. Die höheren Zulassungsquoten — so hört man aus Litauen - würden vom Sicherheitsdienst dazu mißbraucht,

mehr Spitzel unter die Seminaristen zu mischen. Vor ihrer Aufnahme ins Seminar müßten die Studenten Versicherungen abgeben, später als Priester nicht öffentlich für ihre verurteilten Amtsbrüder zu beten - das könnte als „politische Betätigung“ ausgelegt werden und Konsequenzen nach sich ziehen — und keine Petitionen zu deren Freilassung zu unterschreiben.

Die Kirche Litauens ist aber offenbar fähig, sich diesem Druck zu entwinden. Überall weicht man in den Untergrund aus. So existiert beispielsweise ein geheimes Priester seminar in dieser Sowjetrepublik. „Priesterseminar per Korrespondenz“ bezeichnet die „Chronik“ diese Institution im Untergrund. Desgleichen bestehen illegal tätige Männer- und Frauenklöster und verschiedene Einrichtungen der Kirche, die ohne Erlaubnis der Behörden sozial wirken. So sollen etwa tausend geheime Ordensfrauen in öffentlichen Ämtern ebenso wie in Krankenhäusern, an Schulen, in Universitäten und als Putzfrauen wirken.

Der mannigfaltige Protest und Widerstand in Litauen ist für die Behörden oft kaum der Rede wert. Kaltschnäuzig werden die dahinterstehenden Anliegen ignoriert. Die verurteilten Bürgerrechtler, Priester und katholischen Laien — so heißt es offiziell - hätten „ein ganz falsches Bild von unserer Situation“ vermittelt und damit „antisowjetische Propaganda“ betrieben. „Dafür erhielten die engagierten Katholiken noch finanzielle Hilfe aus dem Ausland.“

Die Litauer hoffen, daß ihnen im Zusammenhang mit dem Jubiläum gestattet wird, religiöse Literatur zu publizieren. 25.000 Exemplare des Meßbuchs, 11.500 Exemplare des Neuen Testaments und 50.000 Exemplare des Katechismus, das wäre ein „Geburtstagsgeschenk“ im Sinne der katholischen Litauer. Versprechungen von den Behörden gibt es zwar, aber keine verbindlichen Zusagen. Die ohnehin bescheidenen Wünsche der Litauer dürften also kaum voll erfüllt werden.

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