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Im Vatikan stehen Änderungen bevor

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In drei historischen Schritten wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Voraussetzungen für die großartige, mehr als drei Stunden dauernde Feier geschaffen, die am vergangenen Sonntag auf dem Petersplatz stattfand: der Beginn des Amtes eines Nichtitalieners als oberster Hirte der Kirche nach 455 Jahren.

Der erste Schritt vollzog sich während des Zweiten Vatikanischen Konzils, das ganz zum Unterschied des vorausgegangenen viel freier und kollegialer geführt wurde. Während dieser fünf Jahre wurden nicht nur wertvolle und richtungsweisende Dokumente verabschiedet - was in diesem Zusammenhang viel wichtiger ist: Die in Rom aus aller Welt angereisten Bischöfe begannen sich von Jahr zu Jahr immer mehr als vollberechtigte Mitglieder der weltumspannenden römisch-katholischen Kirche zu fühlen. Daraus ent-stan'd ein neues Bewußtsein der Uni-

„Die römischen Katholiken haben vom ersten Anfang an einen Polen als ihren Bischof akzeptiert. Viele äußerten, daß dies geradezu in der Entwicklung der modernen Kirche gelegen habe.“

versalität und gegenseitigen Verantwortung. Viele damals geschlossenen Bekanntschaften und Freundschaften fanden ihre Fortsetzung in gegenseitigen Besuchen.

Der zweite Schritt wurde im fünfzehnjährigen Pontifikat Pauls VI. durch die Erweiterung und Interna-tionalisierung des Kardinalskollegiums getan. Der dritte Schritt schließlich vollzog sich in einem intensiven Meinungsbildungsprozeß während der beiden Sedisvakanzen und Konklaven dieses Jahres. Zwar stand auch am Anfang dieses Konklaves die Absicht, nach Möglichkeit einen italienischen Kardinal zu wählen, doch konnte dies nicht realisiert werden.

Die römischen Katholiken haben vom ersten Anfang an einen Polen als ihren Bischof akzeptiert. Viele äußerten, daß dies geradezu in der Entwicklung der modernen Kirche gelegen sei. Eine Sympathie zur tiefen und tapferen Glaubenshaltung der polnischen Nation dürfte dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben. Wirklich lieben und schätzen lernten sie den Wojtyla-Papst aber erst in der langen Zeremonie am Sonntagmorgen, in deren Verlauf sich die kraftvolle, männliche und gütige Persönlichkeit vor aller Augen zeigte.

Von dieser Zeremonie versicherten mir einige, die das kirchliche Leben in Rom durch lange Jahre hindurch gut kennen, daß vielleicht noch nie eine so begeisterte Stimmung auf dem Petersplatz geherrscht habe. Bereits 20 Minuten vor Beginn der Zeremonie - der Papst weilte gerade am Grabe des Heiligen Petrus, um sich zu sammeln - entfalteten hunderte von Jugendlichen am Sockel des großen Obelisken in der Mitte des Platzes ein Transparent, das in großen Lettern die Worte „Communione e liberazione“ zeigte. Es ist die Bezeichnung einer militanten katholischen Jugendorganisation. Begeistert sangen und klatschten sie. Ganz in ihrer Nähe stand eine andere Gruppe. Sie verhielt sich ruhig - verständlich, denn auf ihrem Transparent stand: „Heiliger Vater, rette den Libanon!“ Auffallend waren die vielen Polen, nicht wenige in festlich volkstümlicher Tracht.

Rechts vom Altar hatten die Delegationen von 105 verschiedenen Staaten Platz genommen. Links erkannte man neben zahlreichen Bischöfen Vertreter der mit Rom uni-ierten Ostkirchen, Delegationen aus den Reihen der getrennten christlichen Brüder sowie anderer Religio-

nen und Religionsgemeinschaften. Den Petersplatz füllten über 200.000 Menschen.

Die Zeremonie war von vornehmer Schlichtheit geprägt. Zu Beginn erhielt Karol Wojtyla das Pallium eines Bischofs von Rom mit den Worten überreicht: „Gepriesen sei Gott, der Dich zum Hirten der Universalkirche auserwählt und Dir das Apostolische Amt anvertraut hat. Mögest Du in diesem Amte glorreich wirken, bis der Herr Dich ruft und Dich, mit Unsterblichkeit gekleidet, in das himmlische Reich geleitet.“ Diese sehr einfache Zeremonie ersetzte in etwa die Krönung mit der Tiara. Danach bezeugten die einzelnen Kardinäle Papst Johannes Paul II. ihren Gehorsam: erschütternd die Begegnung mit Kardinal Wyszynski, beglückend die mit Kardinal Hume und Lorscheider, sehr vertraut und freundlich mit Kardinal König, durchwegs herzlich mit allen anderen Kardinälen.

Mit kräftiger Stimme hielt der Papst seine Predigt in guter italienischer Sprache. Unter anderem sagte er: „Liebe Brüder und Schwestern! Habt keine Furcht, Christus anzunehmen und seine Vollmacht anzunehmen. Helft dem Papst und allen, die Christus dienen wollen und mit der Vollmacht Christi den Menschen und der gesamten Menschheit dienen wollen! Habt keine Angst! öffnet euch, ja reißt die Tore auf, um Christus zu empfangen, damit seine heilbringenden Mächte eindringen können, öffnet die Grenzen der Staaten, der wirtschaftlichen wie der politischen Systeme; öffnet die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation, der Entwicklung.“

Im Verlauf der ganzen Zeremonie machte Papst Wojtyla den Eindruck, daß er die Situation beherrscht. Offenbar nicht vorgesehen, begab er sich am Ende der Messe zu einer Gruppe von Kranken, um sie in besonderer Weise zu grüßen. Dann zu einer Gruppe der über 4000 anwesenden Polen. Schließlich kehrte er zum Altar zurück, erhob seinen Hirtenstab mit dem Kreuz, den er von seinen beiden Vorgängern übernommen hatte, um den Gläubigen den gekreuzigten Herrn entgegenzuhalten, als wolle er in seiner Glaubenskraft sagen: seht das Zeichen

„Erschütternd die Begegnung mit Kardinal Wyszynski, beglückend die mit Kardinal Hume und Lorscheider, sehr vertraut und freundlich mit Kardinal König, durchwegs herzlich mit allen anderen Kardinälen.“

des Sieges, der Glaube an den Gekreuzigten! Gerade in diesem Augenblick erreichte die Stimmung auf dem Petersplatz ihren Höhepunkt.

Zehn Minuten darauf erschien der Papst noch einmal, und zwar am Fenster seines privaten Arbeitszimmers, um mit den Gläubigen den Angelus zu beten. Offensichtlich fiel ihm die große Zahl der Jugendlichen auf, denn plötzlich rief er mit lauter Stimme: „Vor allem grüße ich die Jugend! Ihr seid die Hoffnung der Welt, ihr seid die Hoffnung der Kirche, ihr seid auch meine Hoffnung!“ Danach verabschiedete er sich, indem er den Römern zurief, daß es Zeit zum Essen sei, für sie und auch für ihn.

Nach den ersten anstrengenden Tagen wird sich Papst Johannes Paul II. wahrscheinlich etwa für eine Woche nach Castel Gandolfo zurückziehen, um in Ruhe die Situation zu überdenken und die ersten wichtigen Entscheidungen vorzubereiten. Man wird sich auf einige Änderungen im Vatikan vorbereiten müssen. Eine ersten Analyse der verschiedenen Ansprachen legt nahe, daß zum zentra-

len Programm des neuen Pontifika-tes nicht nur die Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Beschlüsse gehören wird, sondern auch eine Aufwertung der Ortskirche sowie eine weitere Entwicklung der am II. Vatikanischen Konzil begonnenen vertieften Sicht und Wertung der Kirche zu einer stärkeren Betonung der Persönlichkeit Jesu Christi. Daß dieses Pontifikat mit fester Hand durchgeführt wird, steht außer Zweifel.

Viele werfen gerade in diesen Tagen die Frage nach der Zukunft der „Ostpolitik“ auf. Das liegt nahe, kommt doch gerade Papst Wojtyla aus einem Land des kommunistischen Ostens, hat doch gerade er mit der ihm eigenen Fähigkeit scharfen und analytischen Denkens das marxistische System gründlich durchdacht. In einem Interview, das er noch als Erzbischof von Krakau gab, sagt er sinngemäß: Die Religion kann sich mit Ansprüchen einer „wissenschaftlichen“ Weltanschauung, die als Grundforderung das Verschwinden der Religion im allgemeinen und des Christentums im besonderen erhebt, niemals versöhnen. Zugleich aber zeigte Wojtyla als Bischof immer wieder die Bereitschaft, in Einzelfragen Kompromisse einzugehen und eine Zusammenarbeit zu suchen.

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