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Im Vienna-Opera-Demo-Look

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Der Höhepunkt naht abgeflacht. Michail Gorbatschow kommt nicht zum Wiener Opernball. Castro und Ortega kommen auch nicht. Und Modrow hat andere Sorgen. Blei­ben also doch die heimischen Spit­zendarsteller, umkränzt von Wirt­schaftsprominenz, Design-Kultur, Sport, Medien und Missen, bayeri­sche Nachbarschaft, Diplomaten und Modeschöpfer. Wien begrüßt das gesellschaftliche Ereignis des neuen Europa.

Daß dieses eigentlich ein Kon­sum-Fest ist, wurde dabei freilich erst im vergangenen Jahr so richtig bewußt, als die Opposition des Ereignisses, sich der kommerziel­len Weltsprache anpassend, die Parole ausgab „Eat the Rieh!"

Der Appetit war damit zwar geweckt, aber nicht gestillt. Oder hatten es die sonst sehr detailliert berichtenden Medien etwa ver­säumt, uns das Geschmacks-Erleb­nis dieser programmierten Menschenfresserei mitzuteilen? Beim ORF und dem Wiener Boulevard wäre das schon verständlich, denn Zurückhaltung und Rücksicht auf den Geschmack des Publikums sind ja heilige Pflicht. Der gute Ruf des Landes verdient solche Haltung.

Auf diese Weise kamen die Ver­anstalter der Opernball-Demon­stration um den eigentlichen Ef­fekt. Denn Glasscherben, Pflaster­steine, Molotow-Cocktails und ein kaputtes Auto sind langweilige Utensilien, die bald einmal irgend­wo anfallen. Feinspitze hatten sich das schmatzende Mundwerk eines Demonstranten am Bildschirm erwartet, der soeben den fetten Knochen eines Kapitalisten abge­nagt hatte.

Die Enttäuschung stand denn auch heuer noch spürbar im Raum - und aus den ersten Meldungen über die demnächst geplanten Aktionen war die Sorge zu hören, die Demonstranten hätten etwa gar den Mut verloren und ließen sich nichts Neues mehr einfallen. Mitt­lerweile ist die Polizei bereits über die Opernball-Demo 1990 infor­miert, der äußere Rahmen ist somit gesichert und die Regie kann ihre Vorbereitungen treffen. Gerüchte besagen, daß heuer vor der Oper Gerüste aufgebaut werden, um in-und ausländischen Kamera-Teams günstige Positionen zur Vermitt­lung zu verschaffen. Eine effiziente gemeinsame PR-Arbeit von Demon­stranten und Polizei wäre der Ver­marktung des Ereignisses über­haupt förderlich. Vielleicht könnte man eine tüchtige Agentur einschal­ten und mit dem Erlös der Übertra­gungsrechte die Unkosten decken.

Ähnlich wie bei den Opernball-Besuchern stellt sich bei den Opern­ball-Demonstranten von Jahr zu Jahr dringender die Frage ange­sichts der hohen Publizität: Was trägt der fortschrittliche Herr, was die standesbewußte Dame?

Eine gewisse Konformität der männlichen Gesellschaft ist un­übersehbar. Drinnen Frack und Smoking - draußen Bart und Blue jeans. Individuelle Einzelheiten sind der Phantasie des Trägers über­lassen. Demo-Look 1990 eventuell auch Leder, Stirnband, Hemd ge­streift oder kariert, schmuddeliger Parka. Maskiert gilt als unfein, das mag die Polizei wegen der Fahn­dungsfotos nicht. Allenfalls Ge-sichtsbemalung.

Für Damen ist der Spielraum breiter, drinnen und draußen. Ver­pönt sind zart fließende, feminine Linien. Keine betonten Taillen. Schwarz mit einigen Farbtupfern, fetziges Halstuch. Bodenlange Röcke wirken effektvoll, werden jedoch von der Demo-Leitung nicht empfohlen, da sie rasche Flucht-und Absetzbewegungen behindern. Daher doch eher auch Blue jeans oder bloß rote Strumpfhose. Haar wallend lang oder extrem gescho­ren. Nett wäre ein gemeinsames Demo-Abzeichen, welches auch später als Erinnerungsstück die­nen könnte. Der Außenstehende muß sich die Szene in der Vorberei­tungszeit so richtig vorstellen. Während im ersten Stock die Dame Robe um Robe probiert und in den ewig-weiblichen Seufzer ausbricht „Liebling, ich hab nichts anzuzie­hen! ", tritt zu ebener Erde die De­monstrantin vor den Spiegel und seufzt nicht minder verzweifelt über ihren geplanten Aufzug. Wie soll denn das im Fernsehen wirken? Was werden die Leute denken?

Der Opernball und die Opern­ball-Demonstration werden auf diese Weise zum dialektischen Prozeß. Und so wie bei historischen Festzügen auf dem Land heute die feindlichen Krieger von anno da­zumal mitmarschieren, werden eines Tages noch die Demonstran­ten in die Eröffnungs-Polonaise des Opernballs integriert - während die Befrackten sich auf der Ringstraße mit Papierböllern bewerfen und von Wasserwerfern geduscht werden.

Das wäre die Synthese.

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