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Im Viervierteltakt

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Bei den Landtagswahlen 1988 mußten ÖVP und SPÖ im Land unter der Enns Haare lassen. Jetzt hat die FPÖ verloren: ihre Führungsgarnitur. Niederösterreich -im Jahr danach

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Bei den Landtagswahlen 1988 mußten ÖVP und SPÖ im Land unter der Enns Haare lassen. Jetzt hat die FPÖ verloren: ihre Führungsgarnitur. Niederösterreich -im Jahr danach

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Blau ist eine von Niederösterreichs Landesfarben. In der Politik aber dominieren Schwarz und Rot, obwohl im Landtag seit einem Jahr auch „Blaue“ sitzen. Die neuen Landesstrukturen bauen ÖVP und SPÖ gemeinsam, schon seit 1986. Greifbarer Erfolg: Mit fast sieben Prozent führt Niederösterreich beim Wirtschaftswachstum.

Daß Niederösterreich zur Überwindung des wirtschaftlichen West-Ost-Gefälles ansetzt, ist dem Mut von Landeshauptmann Siegfried Ludwig bei der Verwirklichung politischer Visionen zu danken.

1980 übernahm er die Führung in der Landes-ÖVP, 1981 folgte der ÖAAB-Mann Bauernbündler Andreas Maurer als Landeshauptmann. 1984 griff Ludwig die Idee von der eigenen Landeshauptstadt fürs Land unter der Erms auf.

Ludwigs Erfolg: Anfang März 1986 sprach sich bei der ersten Landesvolksbefragung eine Mehrheit der Bürger für eine Hauptstadt aus. Am 10. Juli 1986 erhob der LandtagSt. Pölten per Verfassungsgesetz zur Landesmetropole. Das gleiche Gesetz sieht Strukturhilfe des Landes für die Regionen vor. In der Verfassung verankert sind 500 Millionen Schilling pro Jahr, wertgesichert auf 20 Jahre. Diese „Re-gionalisierungshilfe“ brachte Ludwig auch die Anerkennung „seiner“ Hauptstadt durch die SPÖ. Bis zur Volksbefragung war sie noch eher reserviert.

Gerade die „Regionalisierung“ hat inzwischen gegriffen. Ihre „Philosophie“: Über die Regionali-sierungsgesellschaft „Eco Plus“ fördert das Land Wirtschaftsprojekte, die, aus der Region vorgeschlagen, mit den vorhandenen Ressourcen Impulse für die gesamte Region geben können.

Bisher wurden nach strenger Prüfung rund 250 Projekte genehmigt und gefördert. Darunter etwa die Gründung der Landesakademie in Krems, Starthilfe für einen Archäologiepark Carnuntum, ein Gründer- und Innovationszentrum in Wiener Neustadt, eines in St. Pölten. Aber auch Kulturprojekte, wie ein „Gassenhauer-Studio“ in St. Leonhard am Forst. „Kultur ist am besten geeignet, das Landes-Selbstbewußtsein zu heben“, sagt „Eco-Plus“ -Chef Krendelsberger. Selbstbewußtsein benötige Niederösterreich, um auch das West-Ostgefälle im wirtschaftlichen Bereich abzubauen.

Für die bisherigen Projekte hat das Land Förderungen und Starthilfen von rund einer Milliarde vergeben - und damit ein Investitionsvolumen von etwa 4,5 Milliarden Schilling in Bewegung gebracht. Derzeit warten rund 600 von den Regionen eingereichte Projekte auf Begutachtung. Krendelsberger: „Etwa ein Drittel ist realisierbar.“

Heute wissen bereits 54 Prozent der Niederösterreicher mit dem Begriff „Regionalisierung“ etwas anzufangen und auch die Landeshauptstadt ist zum Begriff geworden: Immerhin stehen - laut Umfrage - 62 Prozent zu ihr, aber nur fünf Prozent wissen genauer über die Planungsvorgänge in St. Pölten Bescheid. Dabei ist auch hier schon einiges geschehen.

Dieser Tage läuft in den vier Landesvierteln eine breite Informationskampagne an. Ludwig wird sich bei seinen Bezirkssprechtagen der Diskussion stellen. Das Informationsdefizit soll aufgeholt werden. Bürger sollen über Bezirkskomitees Ideen zur Gestaltung „ihrer“ Hauptstadt einbringen können.

St. Pölten hat durch die Haupt-stadtwerdung wirtschaftlich profitiert. 173 neue Unternehmen -Banken, Versicherungen, Gewerbe-und Industriebetriebe - siedelten sich hier seit 1986 an. Im St. Pöltner Umland, dem künftigen Zentralraum Niederösterreichs, ließen sich 192 Betriebe neu nieder. Auch internationale Firmen zeigen bereits an einem Standbein Interesse.

Mit den östlichen Nachbarn kooperiert auf wissenschaftlichem Gebiet die 1988 gegründete Landesakademie. Ihr Ziel: Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft besser zu koordinieren. Es gibt bereits Kontakte mit US-Universitäten, einen Kooperationsvertrag für gemeinsame Manager-Seminare (vor allem im Fremdenverkehr) mit der Akademie der Wissenschaften in der Sowjetunion.

Die Landesakademie will Gebiete abdecken, die von den „alten“ Universitäten nicht in Lehre und Forschung erfaßt sind. Psychiaterweiterbildung etwa. Ein Universitätslehrgang für Gerontologie und Pflegewissenschaft soll installiert werden. In Kursen werden Juristen ins EG-Recht eingeführt.

Fernziel: Eine Universität in Niederösterreich mit Schwergewicht auf Post-graduate-Studien. Zumindest in einer Richtung hat Wissenschaftsminister Erhard Busek da schon „Grünes Licht“ gegeben: Er könne sich eine Änderung des Universitäts-Organisa-tionsgesetzes vorstellen, damit auch Privat-Universitäten installiert werden können.

„Baumeister“ Ludwig ist heute 63. Er will 1996 - zum 1.000-Jahr-jubiläum Österreichs - in die Landeshauptstadt Ubersiedeln. Als regierender Landeshauptmann.

Und Mit-„Baumeister“ ist Landeshauptmannstellvertreter Ernst Höger, SPÖ-Landesobmann. Der heute 44jährige Gewerkschafter hat in den „Strukturpakt“ vor allem die Regionalisierungsidee eingebracht. Das politische Motto, das Höger seiner Partei vorgibt, heißt: „Objektiver Ideenwettkampf fürs Land - keine Diffamierung des politischen Gegners.“ Dieser „Mit-gefstaltungsanspruch“ der SPÖ hat sicher viel dazu beigetragen, daß

Konsenspolitik den politischen Alltag bestimmt.

Umso enttäuschender für die beiden Regierungsparteien war daher der Ausgang der Landtags-wahlen vom 16. Oktober 1988:

Die SPÖ verlor zwei von 24 Mandaten, die ÖVP hielt mit 29 Mandaten nur knapp ihre absolute Mehrheit.

Wahlsieger war ein „politischer Gastarbeiter“: Ex-Verteidigungsminister Helmuth Krünes war als Spitzenmann der FPÖ angetreten. Er zog mit fünf Mandaten in diesen blau-gelben Landtag. Der Traum der „Blauen“ in Niederösterreich hatte sich erfüllt, den sie seit 1945 vergebens verwirklichen wollten.

Krünes konnte fast ein Jahr die Mandatare der Großparteien im Landtag in Atem halten. Ende September nahm er seinen politischen Abschied: über eine Wahlkampfspende der umstrittenen Waffenschmiede Noricum „gestolpert“.

Den FP-Klub im Landtag führt seither der ehemalige Agrarsprecher im Parlament, Josef Hinter-mayr. Vom Einsatz des Weinbauern verspricht sich die FPÖ Gewinne bei den Landwirtschaftskammerwahlen im Frühjahr 1990. Hin-termayr wurde im Alleingang von FP-Landesobmann Ex-Justizminister Harald Ofner als Klubchef installiert. Der Landesparteivor-stand hat ihm deshalb das Mißtrauen ausgesprochen. Ofner trat nach fast 14 Jahren Amtszeit als Obmann ab. Hintermayr führt die Partei vorerst bis zum Landestag im Juni 1990 als geschäftsführender Obmann. Bis dahin - so hat Jörg Haider angekündigt - soll ein Of-ner-Nachfolger aufgebaut werden.

Die Großparteien haben den Abgang von Krünes, der im Landtag gerne von „politischer Moral“ sprach, mit hämischem Lächeln quittiert. Seit Ofner nicht mehr Obmann ist, steht auch Ludwig der FPÖ freundlicher gegenüber.

Ludwig hatte Ofner nie verziehen, daß er ihn durch kryptische Aussagen in den Dunstkreis des Skandals rund um die „Wohnbau-Ost“ gezogen hatte. Ofner, der seine Aussagen vor Gericht nicht beweisen konnte, hat sich bei Ludwig nie entschuldigt.

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