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Im Warteraum der Zukunft

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Mit dem Parteitag in Hainfeld vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 begann ein Siegeszug der österreichischen Sozialdemokratie. Ist dieser heute-100 Jahre danach-zu Ende? Gibt's noch Sozialdemokraten?

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Mit dem Parteitag in Hainfeld vom 30. Dezember 1888 bis 1. Jänner 1889 begann ein Siegeszug der österreichischen Sozialdemokratie. Ist dieser heute-100 Jahre danach-zu Ende? Gibt's noch Sozialdemokraten?

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Zu Beginn seiner dreiteiligen Fernsehdokumentation mit Spielfilmelementen und vielen Belehrungen über die Gründung der österreichischen Sozialdemokratie läßt Franz Kreuzer eine Nelkenknospe erblühen: Symbol der Hoffnungssituation der österreichischen Arbeiterschaft, die seit 1848 zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden war, an der niemand mehr achtlos vorübergehen konnte, die mit dem Hainfelder Einigungsparteitag Dezember/Jänner 1888/1889 eine politische Organisation von großer Kampfkraft geworden war.

Der Fernsehfilm „Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen“ (Drehbuch: Herbert Giese), der Ende Dezember über unsere Bildschirme flimmern wird, geht dem Beginn einer sozialreformeri-schen und -revolutionären Bewegung nach, deren Symbol — 100 Jahre danach — die vertrocknete Nelke, gepreßt zwischen den vergilbten Blättern eines alten Buches, sein müßte.

So manche Szene aus dem Dreiteiler wird — umgelegt auf die Gegenwart — zur Karikatur des sozialpolitischen Engagements einer großen und großartigen Bewegung: In Szene sieben des ersten Teils protestieren Kinder gegen die Nichteinhaltung eines für Ver-ladearbeiten vereinbarten Lohnes. Kommentar dazu: „Man mußte nehmen, was man bekam.“

Aber 100 Jahre danach hat die österreichische Sozialdemokratie — wie dies Bundeskanzler und Parteivorsitzender Franz Vranitzky bei einer Podiumsdiskussion anläßlich der Präsentation desPeter Pelinka-Buches „Sozialdemokratie in Österreich am 8. November im Veranstaltungszentrum der BAWAG in der Wiener Tuchlauben betonte — alles erreicht, wofür sie kämpfte. Jetzt gelte es, das Erreichte zu bewahren. Für viele heißt das offenbar noch immer: nehmen, was man bekommt.

In der Behaglichkeit des Wohlfahrtsstaates, der zum Selbstbedienungsladen für vielerlei Ansprüche wurde, wo soziale und solidarische Initiativen delegiert werden, jede Bewegung erlahmt, bleibt der Sozialdemokratie offenbar nur die solidarische Pose. Die Vision scheint der österreichischen Sozialdemokratie abhanden gekommen. Rechtfertigungsversuche beherrschen das tagespolitische Gerangel.

Selbst dort, wo man Zukunftsbilder zu entwerfen trachtet, tut sich mancher Sozialdemokrat schwer, auf die Herausforderungen der Gegenwart eine sozialistische Antwort zu geben. Abwarten heißt momentan die Devise.

Wolfgang Radlegger, Landesvorsitzender der Salzburger SPÖ und Landeshauptmann-Stellvertreter, versucht in dem von Helene Maimann zur Ausstellung im Simmeringer Gasometer über „Die ersten 100 Jahre“ der österreichischen Sozialdemokratie herausgegebenen Begleitband (erschienen im Christian Brandstätter Verlag) einen Entwurf der Sozialdemokratie im Jahre 2018. Was dabei herauskommt, ist Mutlosigkeit vor der Zukunft.

Das Erschrecken vor den Herausforderungen, vor den „vielen Unwägbarkeiten und Bedingungen“, „über die alle heute noch nicht entschieden ist“, wird faßbar. Radlegger zeichnet eine sozialdemokratische Bewegung, die in Erstarrung verharrt, angesichts dessen, was sich in der Welt abspielt. Die Herausforderung wird zur Bedingung, zur Voraussetzung.

Original-Ton Radlegger: „Die wichtigste Voraussetzung wird sein, daß es die ,Welt' in unserem Sinne noch gibt, daß also Friedenspolitik und Abrüstung die atomare Katastrophe verhindern haben können. Eine andere, daß es Europa noch gibt, daß es also auf die .pazifistische Herausforderung* in technologischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht eine eigenständige Antwort gefunden hat. Eine weitere globale Voraussetzung dafür ist, daß bis dahin die Weltwirtschaft noch nicht an den Problemen der Dritten Welt kollabiert ist; daß also die dringend benötigte gerechtere neue Weltwirtschaftsordnung schon Wirklichkeit geworden ist.“

Das klingt nach resignativer Absage an den Sozialismus, an eine sozialpolitische Bewegung — gleich ob sie von der Arbeiterschaft, den Bauern, der Intelligenz oder künftig vielleicht von allen zusammen getragen wird — als Agens des politischen Wandels. Radlegger: „Wenn alle diese Wünsche an die Zukunft (sie!) in Erfüllung gegangen sind, wird es auch darauf ankommen, was die Sozialdemokratie aus ihrer gegenwärtigen Sinn- und Existenzkrise gemacht hat.“ Und dann wird von einem „trotz allem berechtigten Optimismus für die Zukunft“ geschwafelt.

Worum es der Sozialdemokratie gehen müßte, hat Sozialminister Alfred Dallinger — als Mann mit Visionen unersetzlich — gezeigt. In dem im Vorjahr erschienenen Buch mit dem bezeichnenden Titel „Rekonstruktion der Sozialdemokratie“ fordert er Programme zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, obwohl damit keine Wahlen zu gewinnen seien, eine Neubewertung und Umverteilung von Arbeit sowie eine konsequente Umwelt- und Friedenspolitik. Als kategorischen Imperativ für sozialdemokratisches Engagement zieht Dallinger Marx heran: Es gelte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.

Fürwahr, eine globale Herausforderung und Aufgabe, die eigentlich sozialdemokratische Parteien von ihrer Nabelschau wegführen müßte, ein Betätigungsfeld — auch was die Erziehung zum internationalen sozialen Engagement betrifft -, das wohl für die nächsten hundert Jahre reicht.

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