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Im Wettbewerb um Nationalisten

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Blutige Anschläge in England und Nordirland haben sowohl in Großbritannien wie auch in der Republik Irland zu einer Welle des Abscheus geführt.

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Blutige Anschläge in England und Nordirland haben sowohl in Großbritannien wie auch in der Republik Irland zu einer Welle des Abscheus geführt.

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Die langwierigen und komplexen Nordirlandverhandlungen, an denen neben den beiden Regierungen auch die vier wichtigsten nordirischen Parteien teilgenommen hatten - nicht aber Sinn Fein, der politische Flügel der IRA - sind seit dem letzten November unterbrochen. Die nordirischen Kommunalwahlen vom nächsten Monat schließen zwar eine sofortige Wiederaufnahme der Gespräche aus, aber es ist nicht zu übersehen, daß namentlich die britische Regierung dabei ist, die Fundamente für eine neue Gesprächsrunde im Frühsommer zu legen. Dabei will sie ihre bisher eher neutrale Vermittlerrolle aufgeben und nach Angaben des britischen Nordirlandministers Sir Patrick Mayhew ihren eigenen Nordirlandplan zur Begutachtung vorlegen.

Die irische Regierung soll zwar ihren Platz am Verhandlungstisch nicht verlieren - der britische Außenminister Hurd hob die britisch-irische „Partnerschaft" am letzten Wochenende erneut hervor - aber das Schwergewicht Mayhews liegt auf einer Einigung unter den nordirischen Parteien über ein neues Selbstverwaltungsmodell für Nordirland.

Die Zugehörigkeit der Krisenprovinz zum Vereinigten Königreich soll ausdrücklich nicht Verhandlungsgegenstand sein.

Für die gemäßigten nordirischen Katholiken (oder Nationalisten) in der SDLP-Partei ist dies eine unwillkommene Entwicklung: SDLP-Chef John Hume hebt unermüdlich hervor, daß jede tragfähige Lösung den beengten Rahmen Nordirlands überwinden muß; im Klartext heißt das, daß die SDLP ihren Wählern eine gesamtirische Dimension anbieten muß, um ihnen den Eintritt in eine gemischtkonfessionelle Provinzregierung schmackhaft zu machen. Hume hat - angesichts der polarisierten Lage nach fast einem Vierteljahrhundert des Konflikts - nur einen ernsthaften Rivalen an der Wahlurne: Sinn Fein. Sollte Hume die Hand zu einer auf Nordirland beschränkten Lösung bieten, könnte sich Sinn Fein zur alleinigen Wiedervereinigungspartei aufschwingen und die SDLP der „Kollaboration mit dem Besatzer" bezichtigen. Die jüngsten Gespräche zwischen Hume und dem Sinn Fein-Präsiden-ten Gerry Adams (die erste derartige Begegnung seit fünf Jahren) stehen im Kontext dieses Wettbewerbs um nationalistische Stimmen.

Im Kern der gesamtirischen Dimension stehen jene Artikel der irischen Verfassung, die einen Souveränitätsanspruch auf Nordirland erheben. Für die nordirischen Protestanten (Unio-nisten) stellen sie einen aggressiven Anspruch dar, der jegliche künftige Verhandlungen ausschließt. Die amtierende irische Koalitionsregierung sendet seit einigen Wochen widersprüchliche Signale aus: Die größere Fianna Fäil-Partei will die Wiedervereinigungsartikel erst im Rahmen einer - utopischen - Gesamtlösung opfern, während die kleinere Labour-Partei eher zu Konzessionen bereit scheint. Doch der Streit um die Verfassungsartikel ist schon längst zur Spiegelfechterei entartet; dahinter steht das Unvermögen der irischen Regierung, eine plausible Nordirlandpolitik zu entwerfen und sich aus dem Einflußbereich der SDLP zu lösen.

Während die Politiker ihre taktischen Manöver vollziehen, gehen die Gewalttäter ihrem Geschäft nach. Die Begegnung des irischen Senators Gordon Wilson mit der IRA hat die wachsende Militanz und Kompromißlosig-keit der IRA offenbart. Gleichzeitig sind auch die paramilitärischen Verbände der Protestanten zur Eskalation bereit. Sie sind besser gerüstet und organisiert als jemals zuvor seit den siebziger Jahren und können sich auf die zunehmende Unsicherheit unter den Protestanten stützen. Ein vernünftiger und verständnisvoller Kompromiß erscheint daher unwahrscheinlich, zumindest solange die amtierende Politikergeneration in Nordirland am Ruder bleibt.

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