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Im Wurgegriff der Sowjetstrategie Breschnjew nach Jugoslawien, Rumanien

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Die Ruhe auf dem Balkan trügt. Was sich nach außenhin als reibungslos alltäglich, als planvoll vorbedacht und störungsfrei darstellt, birgt nach wie vor latente Spannung und Bedrohung. Die scheinbar unversehrte Kontinuität politischer Funktionsabläufe kaschiert nur dürftig die Begebenheiten hinter den Kulissen. Der Kreml jedenfalls hat ungeachtet aller Friedensschwüre, vom Westen kaum bemerkt und in geschickter Korrumpierung der Beschlüsse von Helsinki, politischen Terraingewinn sowohl in Jugoslawien wie in Rumänien durchgesetzt und seine Einflußsphäre neuerlich zu festigen vermocht. Bis auf weiteres.

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Die Ruhe auf dem Balkan trügt. Was sich nach außenhin als reibungslos alltäglich, als planvoll vorbedacht und störungsfrei darstellt, birgt nach wie vor latente Spannung und Bedrohung. Die scheinbar unversehrte Kontinuität politischer Funktionsabläufe kaschiert nur dürftig die Begebenheiten hinter den Kulissen. Der Kreml jedenfalls hat ungeachtet aller Friedensschwüre, vom Westen kaum bemerkt und in geschickter Korrumpierung der Beschlüsse von Helsinki, politischen Terraingewinn sowohl in Jugoslawien wie in Rumänien durchgesetzt und seine Einflußsphäre neuerlich zu festigen vermocht. Bis auf weiteres.

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Vor allem Ceausescu und Rumänien sind, wie es scheint, in ihrer HandJungsifreilheit merklich eingeengt. Die zu Beginn des Jahres hochgespielte Diskussion um Bessarabien und die Bukowina, Gebiete also, die der UdSSR erst 1944 wieder zugefallen sind, hat sich als Bumenang erwiesen. Der daran deutlich formulierte Zweifel an der Legitimität der Grenzen — und nicht nur derer zwischen der Sowjetunion und Rumänien — war für die Krernilführung ein Alarm, er hätte in der Folge auch den Unmut der Slowaken, Polen, Ungarn, Deutschen oder Balten wecken können. Der Kreml hatte sich daher der Ködär-Administration bedient, die gegenüber Ceausescu deutlich werden ließ, daß dann zunächst einmal die Legitimität der Grenze zwischen Ungarn und Rumänien aufgefächert werden müsse. Auch über Siebenbürgen, hatte Budapest bedeuten lassen, sei prinzipiell noch keineswegs das letzte Wort gesprochen.

In Bukarest war unvermittelt klargeworden, daß damit nichts Geringeres gemeint war, als der — konstruierte — Sachverhalt der Unbot-mäßigkeit und für den Kreml das Signal zu „brüderlicher Hilfe“. Ceausescu hatte daraufhin zurückgesteckt und im August der „Sowjetrepublik Moldawien“ Reverenz erwiesen, dem alten Bessarabien also, in dem man ihn zum erstenmal die Aufbauleistung der Sowjets bewundern ließ. Anschließend war er auf der Krim von Leonid Breschnjew empfangen worden, der ihm „in herzlicher und freundschaftlicher Atmosphäre“ die weitere Zusammenarbeit „auf der Basis des Marxismus-Leninismus“ und mehr noch „im Geiste des proletarischen Internationalismus“ vor Augen hielt.

Ceausescu hatte das mit Gleichmut hingenommen. Denn im Verhältnis zwischen Bukarest und Moskau war es vorher schon zu Muskel-spielen der Sowjets gekommen, die ihrerseits das Gegenteil von sozialistischer Verbundenheit bewiesen hatten: der erstmals voll gelungene Versuch der Kremlherren, Ostfolook-touristen von Rumänien fernzuhalten; die Weigerung, auch Ceausescus Industrie mit Erdöllieferungen zu bedenken; die Einflußnahme schließlich auf die Inder, Rumäniens Mitarbeit im Kreis der Neutralisten in Colomlbo zu verhindern. Das alles hatte wohlbedacht den Zweck gehabt, die Bukarester Führung — ohne die Beschlüsse von Helsinki offen zu verletzen — einzuschnüren und ihr Daumenschrauben anzusetzen.

Es scheint denn auch, daß Ceausescu sich seither bemüht, den Wirtschaftskurs in Richtung ^ Moskau neuzupolen. Bei Beibehaltung der Verbindungen zum Westen, die allerdings durch ein massives Handelsdefizit belastet sind, will er erreichen, von der UdSSR nicht nur mit Erdöl — sondern auch mit anderen Rohstofflieferungen, mehr bedacht zu wenden als bisher. Daß freilich Moskau derlei Wünsche nicht bedingungslos erfüllen wird, ist klar.

Hier also zeichnen sich auch essentielle Änderungen aib. Doch Ceausescu dürfte nicht der Exponent versuchter Unabhängigkeit und proklamierter Selbstbehauptung sein, wenn er nicht anderseits schon wieder Eigensinn und neuen Mut bewiese. Seit kurzem läuft in „Ena Socialista“, dem theoretischen Organ der Kommunistischen Partei Rumäniens, der publizistisch ausgetragene Versuch, der „Prawda“ zu beweisen, daß „Souveränität“ und „Sicherheit“ in Bukarest nicht so verstanden werden könnten, wie der Kreml es diktiere. Und daß sich die ideologischen Geister, wenn etwa von „proletarischem Internationalismus“ die Rede sei, fast in jeder Beziehung zu scheiden hätten.

Das deckt sieh prononciert auch mit der Haltung, die in Belgrad eingenommen wird. Die Stellung Jugoslawiens gegenüber der Sowjetunion jedoch ist derzeit — und wahrscheinlich generell — um vieles günstiger als die Rumäniens; sogar noch dann, wenri Belgrad eines Tages nicht mehr mit dem 84jährigen Tito sollte rechnen können (für diesen Fall ist übrigens in vieler Hinsicht vorgesorgt; das große Kopfzerbrechen, namentlich im Westen, darf als zumindest als übertrieben angesehen werden).

Dennoch .hat Moskau auch in Jugoslawien seine Engagements. Sie zeichnen sich zwar weniger politisch ab als militärisch, sind aber trotzdem nicht gering au schätzen. Der Kreml, trdck- und fintenreich, ist hier mit einer anderen Taktik angetreten, wohlwissend, daß sich die Armee als Teil der Kommunistischen Partei und der Bevölkerung versteht. — Schon im September 1974 hatten sich der Generalstabsohef der UdSSR, Kulikow, und — was eigene Schlüsse zuläßt — auch der Kommandeur der Fallschirmjäger und der Landetruppen aus der Luft, Margelow, eingefunden. Der Generalstabschef der jugoslawischen Armee war ein Jahr später in die UdSSR gereist, um dort mit Kulikow und dem sowjetischen Verteidigungsminister Marschall Gretschko zu verhandeln. Als nächster hatte sich der jugoslawische Verteidigungsminister Ljubiclc nach Budapest begeben, der DDR-Verteidigungsminister Hoffmann war in Belgrad aufgekreuzt.

Zudem auch hatte sich der Flottenchef der UdSSR, Sergej Grosch-kow, in Jugoslawien blicken lassen — es war erst im August —, um dort mit Ljubicic zu konferieren und Häfen und Verteidigungsanlagen an der Adria in Augenschein zu nehmen. Sein Ziel, die Jugoslawen dafür zu gewinnen, in eine engere Zusammenarbeit mit der roten Mittelmeerarmada einzuwilligen und ihr in größerem Umfang Hafenrechte einzuräumen, Stützpunkte also zu gewähren, ist allerdings im wesentlichen unerreicht geblieben. Trotz allem aber dürfte Jugoslawien in der Balkanstrategie des Kreml schwerer wiegen als Rumänien. Es würde nicht nur den seit Zarenzeiten angestrebten Weg zur Adria erschließen, sondern — wäre es sowjetisch inspiriert — zu völlig neuen Kräfterelationen in Südosteuropa führen.

Breschnjew wird demnächst jedenfalls in Belgrad und in Bukarest erwartet. Er hat sich selber eingeladen, um Moskaus Balkanstrategie zu festigen und ihr, wenn möglich, Legitimität zu geben. — Die Frage, was der Kreml auf dem Balkan überhaupt zu suchen hat, wird längst nicht mehr gestellt. Sie wäre auch naiv. Die expansive Aggressivität des Sowietkommunismus, sein imperialistischer, hegemonistischer Wesensgehalt, wie allerdings auch anderseits das nach zwei ungewollten Kriegen aufgekommene Sicherheitsbedürfnis drängen sich als Antwort, wenn auch nicht als gültige Erklärung auf. Die Kremlherrscher, welcher Nuancierung immer, für die Marxismus keine Ideologie ist, sondern Staatsdoktrin, bedürfen unablässig neuer Macht. Und ihre Balkanstrategie ist ein zwar kleiner, aber wesentlicher Teil gezielter „Vorfeldpolitik“, nachdem es ihnen nicht gelingen will, den Rüstungswettlauf mit dem Westen — technologisch — mitzuhalten und gleichzeitig wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen.

Noch immer jedenfalls und neuerlich ist die politische Tektonik auf dem Balkan unter Druck; dafür sorgt, wie gesagt, die Sicherheit und Frieden proklamierende Sowjetunion. Trotz der Beschlüsse von Helsinki, die für den Hausgebrauch, wie man zu folgern hat, nur wenig Gültigkeit besitzen dürften. Dieser Druck kann jederzeit zu Eruptionen führen. Die Ruhe trügt.

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