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Im Zauberschloß

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In vielen Varianten wird in den Märchen davon erzählt, wie ein junger Mann auszieht, um die Welt kennenzulernen, wie er in den Machtbereich des Todes gerät und erst dadurch zu seiner wahren Gestalt findet. In der Geschichte „Der König vom goldenen Berg“ ist der Junge schon bald dem „Schwarzen“ verfallen, weil sein Vater in seiner Not ihn einem kleinen schwarzen Männchen versprochen hat, das ihm zu neuem Reichtum verhalf.

Aus dem Machtbereich der dunklen Macht kann der Jungo zwar befreit werden, aber seinem Vater gehört er auch nicht mehr an War dem Vater doch die Erhaltung von Besitz und Vermögen wichtiger als sein Sohn, in dem sich seine Zukunft darstellt. So wird der Sohn dem Fluß übergeben, in einem kleinen Schiffchenmuß er sich der Strömungüberlassen und sein Vatermuß das Schiffchen noch selbst abstoßen. Und weil das Schiffchen umschlägt, scheint er endgültig verloren.

Während der Vater der Inbegriff des Beharrenden und Festhaltenden ist, ist der Sohn „im Fluß“, ist der Strömung überlassen. Nach diesem symbolischen Wassertod wird er aber gerettet und sieht, ans unbekannte Land verschlagen, ein schönes Schloß vor sich hegen. Nun ist er zwar zu einer neuen Existenz erwacht, aber gleich muß er sich bei einer schwierigen Aufgabe bewähren.

Das Schloß ist verwunschen, alle seine Räume und Säle sind leer und unbewohnt, nichts ist belebt, wartet aber darauf, zum wahren Leben erweckt zu werden. Die Frau des Schlosses ist zu einer Schlange geworden, die sich ringelt und auf einen Erlöser hofft. Drei Nächte muß er im Schloß ausharren, zwölf schwarze Gestalten werden ihn quälen, schlagen und stechen, er aber darf sich nicht zur Wehr setzen und nicht einmal sprechen In der dritten Nacht sind es sogar vierundzwanzig Männer, die ihm den Kopf abhauen werden. Wenn er aber aushält und kein Wörtchen redet, erlöst er die Prinzessin und ihr ganzes Schloß. Dann wird sie kommen und mit ihrem Wasser des Lebens den Toten wieder lebendig und gesund machen.

Auch in diesem Märchen begegnet der Held dem Totenreich, nicht indem er in den Hades hinuntersteigt, sondern indem er mit dessen Wirkungsmacht konfrontiert wird. Sein erster „Tod“ im Fluß befähigt ihn, die schwerere Probe zu bestehen, es war gleichsam seine Taufe. Die eigentliche Bewährung ereignet sich im Schloß. Nun muß er Schmerzen erdulden, ein Schweigegebot einhalten und sogar den Tod erleiden. Erst durch diese Erprobung hindurch und nach diesem Durchgang durch einen Tod kann er zum Erlöser werden, die Frau aus ihrer Tiergestalt befreien und zum König vom goldenen Berg aufsteigen.

Psychologisch gesprochen: der Lichtheld muß in die Finsternis des Unbewußten hinuntersteigen, muß das Dunkel annehmen, um die Ani-ma aus ihrer Eingebundenheit ins Tierisch-Dunkle zu befreien. Aber auch die Rettergestalt braucht Hilfe. Die Frau im Schloß wird zwar erlöst, da sie aber den Zugang zum Lebenswasser hat, kann sie ihrerseits den Retter aus der Tod verfallenheit herausholen. Gegenseitig können sie sich also beistehen, j eder -braucht Hilfestellung, im Miteinander und Zueinander können sie erst zu ihrer wahren Gestalt gelangen, was dann auch der weitere Gang des Märchens deutlich macht, den wir hier nicht mehr verfolgen.

In dem russischen Märchen „Geh nachlch-weiß-nicht-wo, bringe Ich-weiß-nicht-was“ wird der Held von seinem König in ein Land geschickt, aus dem man nicht mehr zurückkehren kann, also ins Totenreich. Der König hat sich nämlich in die schöne Frau seines Jägers verhebt und will ihn deshalb los werden. „Du mußt mir noch einen Dienst erweisen: Geh nachlch-weiß-nicht-wo und bringe Ich-weiß-nicht wasl Aber wisse: Wenn du es nicht bringst - das Schwert, das straft, ist mein, und der Kopf, der rollt, ist dein!“

Aber die Frau des Jägers ist nicht nur schön, sondern auch klug, sie sorgt dafür, daß er wirklich dieses geheimnisvolle Land erreicht, indem er über den „feurigen Fluß“ gelangt, die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Dort trifft er den geheimnisvollen Helfer, der mit ihm nach Hause zieht und dafür Sorge trägt, daß der alte habgierige König verschwindet.

Auch in einem anderen russischen Märchen, „Dieweise Ehefrau“, wird ein Mann „in die andere Welt“ geschickt, weil der König dessen Frau heiraten will. Er soll im Totenreich fragen, wo der gestorbene König den Thronschatz versteckt hat. Die Frau gibt ihrem Mann ein Knäuel, das er vor sich her abrollen lassen soll und das ihm den Weg weist - aber vor allem auch den Heimweg ermöglicht.

So gelingt ihm der Zugang zum (höllischen) Totenreich, er bekommt auch die nötige Auskunft über den verborgenen Thronschatz, aber vor allem wird ihm eine dringliche Mahnung für den König mitgegeben, er solle endlich Gerechtigkeit walten lassen in seinem Reiche. Diese Auskunft interessiert aber bei der Heimkehr des Jenseitswanderers den König nicht, er will nur wissen, wo die Schätze versteckt sind. Damit hat er seine Lebenschance verspielt und büßt mit seinem Königtum auch noch sein Leben ein.

Was bei diesen und vielen anderen Märchen auffallt, ist, daß sie von der großen und gefährlichen Reise erzählen, die nicht einfach in die Ferne und in unbekannte Länder führt, sondern über den Bereich der irdischen Wirklichkeit hinaus bis in verbotene und entzogene Gebiete, wo die Ahnen und Überhaupt die Toten wohnen, wo ein dunkler Machthaber seine Herrschaft ausübt.

Es gehört nicht nur Mut zu dieser Fahrt, man muß auch einen Beistand haben, einen Helfer, der einem Weisungen gibt und die Gefahren erschließt, sodaß auch der Rückweg gelingt. Wem aber diese Reise gelungen ist, wer die geheimen Gaben aus der dunklen Welt mitgebracht hat, der ist zu großen Taten befähigt, auf ihn warten die Menschen, daß er sich als Heilbringer erweist und die Not lindert, das Unglück abwendet, eine gerechte Herrschaft heraufführt und eine heilsame Glückszeit eröffnet.

Seit schlüssig nachgewiesen wurde, wie stark die rituellen Bräuche der Initiation und die Begegnungen mit der Totenwelt auf die Bilderwelt der Märchen eingewirkt haben, hat sich wohl die Überzeugung durchgesetzt, daß wir diese Motive - in mehr oder weniger versteckter Form - in vielen Märchen finden, auch wenn sich die Geschichten gewandelt haben mögen und manche Zusammenhänge auch dem Erzähler nicht mehr erklärlich waren.

Sehr viele Reisen der Märchenhelden und -heldinnen sind als Proben und Bewährungssituationen im Initiationsprozeß zu verstehen. Die Ähnlichkeiten liegen auf der Hand. In wie vielen Märchen verirrt sich Held oder Heldin in einem Wald und gerät dann in den Machtbereich dunkler Gestalten. Wie häufig verwandeln Hexen und Zauberer die Protagonisten in Tiergestalt, sodaß sie erst wieder mühsam erlöst werden müssen, damit sie ihre menschliche Gestalt zurückerhalten.

„Reise“ ist eine symbolische Umschreibung eines Wandlungsprozesses. Das Verschlungenwerden macht deutlich, daß in unserem Leben immer wieder etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnen kann. Wir sterben in unserer irdischen Existenz nicht nur einmal und wir werden nicht nur einmal geboren, sondern können mit einer durchgestandenen Krise ein neues Dasein geschenkt bekommen. Festhalten und in einem konkreten Zustand verbleiben, das können wir nicht.

„Die großen Lebensprobleme sind nie auf immer gelöst“, sagt Carl Gustav Jung. „Sind sie es einmal anscheinend, so ist es immer ein Verlust. Dir Sinn und Zweck scheint nicht in ihrer Lösung zu hegen, sondern darin, daß wir unablässig an ihnen arbeiten. Das allein bewahrt uns vor Verdummung und Versteinerung.“

Der Entschluß, sich auf die Suchwanderung zu machen und die Bereitschaft, sich zu wandeln, gehören sicher zu den charakteristischsten Eigenschaften des Märchenhelden. Oft gemahnen auch die „Orte“ des Märchens, darauf zu achten, was dort geschieht. In dem Gr imm 'sehen Märchen „Der arme Müllerbursch und das Kätzchen“ spielt natürlich die Mühle eine wichtige Rolle. Die Mühle hat eine verwandelnde Funktion, sie zerquetscht die Getreidekörner, „tötet“ sie gewissermaßen, damit Mehl entsteht, das seinerseits wieder „verwandelt“ werden muß, damit es, - mit Wasser und Sauerteig vermengt - in der Hitze des Backofens (das wiederum ein Wandlungssymbol ist) zu eßbarem Brot werde und seine lebenserhaltende Funktion erfüllen kann.

Das Wasserrad einer Mühle erinnert an das Schicksalsrad, das sich immer weiter dreht und nicht aufgehalten werden kann. Es wird von der Kraft des Wassers - wie von der weiterfließenden Zeit -angetrieben, aber es kann nichts bleiben, wie es ist. Nach vielen Sagen und Volkserzählungen soll es ja auch eine Mühle geben, die alte Leute verjüngt. Humpelnd kommen die alten Männer und Frauen daher, lassen sich zermahlen, um verjüngt und jugendschön wieder herauszukommen.

Auch Tiere können für das Wandlungsgeschehen stehen und den Übergang zwischen den Welten veranschaulichen. Vor allem Tiere, die zwischen den elementaren Bereichen stehen, zwischen Wasserund Land (wie die Frösche und Kröten), zwischen Luft und Erde (wie die Vögel), zwischen Nacht und Tag (wie die Eulen, aber auch die Mäuse und Ratten) und zwischen den „unteren Bereichen“ und der sichtbaren Erde (wie die Schlangen), eignen sich dafür, um als Mittler zu den verborgenen Dimensionen zu fungieren. Sie bringen von anderen Reichen Kunde, können in geheimnisvolle Zonen geleiten oder in unbekannte Länder übersetzen.

Weil aber in Tieren auch die Ahnen erscheinen können oder ein Tier zum Totemtier einer Familie oder eines Stammes werden kann, deshalb müssen s olche Tiere respektiert oder sogar verehrt werden. Andererseits erweisen sich Tiere auch als hilfreich, kennen doch die Schlangen verborgene Geheimnisse, etwa das heilende Kraut, mit dem man sogar Tote zum Leben erwecken kann oder es wird, wer etwas von der weißen Schlange ißt, in die Sprachwelt der Tiere eingeführt und hat damit Anteil am Geheimwissen der Welt.

Aus dem Eröffnungsreferat des Internationalen Marchervkongreeses mit dem Thema Tod und Wandel im Märchen“, der vom 14. bis 17. September im Bildungshaus St Virgil inSalzburg stattfand.

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