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Im Zeichen des großen Aufbruchs

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Zwei entscheidende Epochen der europäischen Kulturgeschichte werden in Krems-Stein und auf der Schallaburg im Rahmen bedeutender Ausstellungen präsentiert. In den Exponaten lassen sich Ursprünge heutiger geistiger Bewegungen erkennen.

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Zwei entscheidende Epochen der europäischen Kulturgeschichte werden in Krems-Stein und auf der Schallaburg im Rahmen bedeutender Ausstellungen präsentiert. In den Exponaten lassen sich Ursprünge heutiger geistiger Bewegungen erkennen.

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In manchen geschichtlichen Epochen bricht Licht auf, die Menschen leben selbstbewußter, freier und dadurch schöner. Das Leben wird menschlicher. Zwei große Ausstellungen in Niederösterreich zeigen Aufbrüche zu größerer Selbstbesinnung. Obwohl Jahrhunderte zwischen den dokumentierten Epochen liegen, sind die Parallelen unübersehbar.

Kaum ein anderer Heiliger hat die Gemüter nicht nur der Schriftsteller, sondern auch die der Gläubigen so bewegt wie Franziskus von Assisi, der 1182 geboren wurde und 1226 starb. Der Heilige machte Geschichte im Bereich des Glaubens und der Gesellschaftsordnung, und das ausschließlich durch sein Leben.

Die einen sahen und sehen in ihm den getreuen Nachfolger Christi, die anderen den Aussteiger, den Drop out, der das üppige Leben zurückließ, um sich ganz dem Leben in Abgeschiedenheit hinzugeben. Teilnahmslos läßt sich sein Leben nicht betrachten. Das ist auch deutlich spürbar in dem umfangreichen Katalog, der anläßlich der Ausstellung in Krems erschienen ist.

Franz von Assisi war kein Weltflüchtling, sondern der wichtigste Vertreter der Aufbruchstim-'mung, die in dem urbanisierten Italien dieser Zeit anzutreffen ist. „In der archaisch-aristokratischen Welt war Arbeit die Sache der Sklaven und Leibeigenen, des .unfreien, unselbständigen Menschen, der für einen Herrn und sein Haus und im Rahmen und Auftrag und zu Rechnung der Gutsherrschaft sich betätigte und schuftete. Arbeit war als Wert nicht anerkannt, sie deklassierte und bezeichnete den Knecht. .Leistung' war nur der Herrendienst, der adelte und mit Lehen entlohnt wurde,” schreibt Karl Bosl.

Durch die neuen Orden des 12. Jahrhunderts wurde die Arbeit neu bewertet, dem Mönch wurde die tägliche Arbeit verordnet. Die Folgen waren überwältigend. Die Veränderung in der Gesellschaft fand ihren Niederschlag in der religiösen Bildwelt: an die Stelle des gekrönten und herrschenden Herrengottes trat der leidende, geängstigte, geplagte, erbarmungswürdige Christus: Ein Menschensohn, der dem gläubigen Volk viel näher stand als der Weltenherrscher.

Die Ausstellung zeigt sehr deutlich die Vermenschlichung, den frischen Wind, der breiteren Kreisen die Selbstverwirklichung ermöglichte. Geschichte ist machbar nicht nur von Dynastien und Adeligen, sie ist machbar von breiteren Kreisen der Bevölkerung. So gesehen ist dieser Aufbruch ein früher Anklang an die Zeit der Renaissance.

Karl Bosl schreibt an anderer Stelle in seinem Katalogbeitrag „Das Armutsideal des heiligen Franziskus als Ausdruck der hochmittelalterlichen Gesellschaftsbewegung”: „Der ,Arme* des 11.-13. Jahrhunderts war kein Elender, kein Ausgestoßener, Gesetzes- und Friedensbrecher, kein Flüchtling, kein Heimatloser, kein Rechtsloser, kein ewiger Wanderer, keine Randfigur.” Er war auf dem Weg aus Leibeigenschaft und Unfreiheit. Armut war durch den Gesinnungswandel kein gottgewollter Zustand, als Weg zur Tugend, sondern Armut wurde im zunehmenden Maße als Quelle des Unglücks, des Übels und der Mißbräuche gesehen.

Franz von Assisi, der sich selbst als „homo simplex et idioto” bezeichnet hat, sah sich als einfachen und nicht schulmäßig gebildeten Menschen. Er gab ein radikales Beispiel, wie das Leben zu führen sei. Doch waren sich schon die Zeitgenossen einig, daß die Vollendung in der Imitatio Christi für die Nachfolger kaum zu erreichen sei. Wenn schon die Erreichung des Märtyrerzustands für Franz nicht möglich war — der zeitgenössische Biograph Thomas von Celano schreibt dies sehr deutlich —, so trug der Heilige die Wundmale Christi.

Doch nur durch das Leben konnte der Ordensgründer ein Beispiel geben, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. Ein Verhältnis zur Natur, das den Menschen früherer Zeiten unbekannt war, medizinische Versorgung armer Menschen, und nicht zuletzt ein Instrument im Kampf gegen die Armut: Montes pietatis. Es waren dies Leihanstalten, die den Bedürftigen gegen Pfand und nur auf kurze Zeit gegen geringen Zinssatz von 2 bis 12 Prozent Geld vorstreckten.

In wunderbarer Weise ergänzen einander in der Ausstellung spektakuläre Exponate wie Andachtsbilder, liturgische Geräte, Codices und nicht so sehr ins Auge Springendes wie Almosenzeichen, die zum Empfang von milden Gaben berechtigten.

Die Epoche der unter Matthias Corvinus (1458-1490) in Ungarn blühenden Frührenaissance ist in Österreich nahezu unbekannt. Zu Unrecht. Das wird bei einem Besuch der Ausstellung deutlich. Matthias Corvinus wird im Geschichtsunterricht eher als lästiger Widersacher der Habsburger und Besetzer Wiens ins Bewußtsein der Schüler gesenkt. Vom Anreger der Wissenschaftler und Künstler ist leider viel zu wenig zu hören.

Matthias Corvinus war ein leidenschaftlicher Sammler und als solcher der erste in Ungarn. Gemälde von Mantegna, Berto Li-naiuolo, Leonardo, Ercole dei Ro-berti befanden sich ebenso in seinem Besitz wie venezianische Kristallgläser, florentinische Onyxgefäße, Fayencegefäße, Goldschmiedearbeiten, Seiden-und Samtbrokate, astronomische Geräte sowie italienische und türkische Waffen.

Die Aufzählung zeigt, wie Matthias Corvinus den Donauraum öffnete, um die Ideen der Renaissance aus Italien hereinzulassen. Am bedeutendsten von all den Sammlungen war zweifellos die Bibliothek des Königs. In einem zeitgenössischen Kommentar schrieb der Wiener Professor Alexander Brassicanus: „Ich habe alle Bücher angeschaut. Aber was sagst du Bücher, wieviel Bücher, ach soviel Schätze habe ich angeschaut! Unsterbliche Götter, was für ein angenehmer Anblick das war? Schließlich dünkte ich mich wirklich nicht in einer Bibliothek, sondern — wie man sagt — im Schosse Jupiters.” , Das Gefühl wieder in den Schoß Jupiters zu steigen, läßt sich in der Ausstellung auf der Schallaburg erleben: Aus Italien, Ungarn, Polen, Österreich und den Vereinigten Staaten, um einige Länder zu erwähnen, wurden die Bücher und Codices herbeigebracht.

Nicht nur die Miniaturmalerei, sondern auch die Bucheinbände verdanken ihre Existenz der bibliophilen Leidenschaft des Königs. Die typischen Corvinenein-bände vertreten ein Stilgemisch aus orientalischen und italienischen Elementen, die allen anderen zeitgenössischen Einbandtypen fernstehen. Ganz besonders sind die vergoldeten Einbanddek-ken mit dem Wappen des Königs hervorzuheben.

Matthias Corvinus ließ übersetzen und kommentieren. In seiner Bibliothek standen neben theologischen Schriften die Verse lateinischer Dichter der Antike unter anderem Horatius, die römische Geschichte von Livius und eine Vielzahl von Büchern, die sich mit Ungarn auseinandersetzten. Einen Teil der Handschriften ließ Matthias Corvinus^ in Florenz von den besten Illustratoren gestalten, mindestens so bedeutend ist aber die Auftragsvergabe an einheimische Künstler, die in der vom König eingerichteten Werkstatt in Ofen arbeiteten.

Daß in dieser Werkstatt ebenfalls ausländische Künstler führende Stellen innehatten, versteht sich durch die Vorherrschaft von Italien im Kunstbereich fast von selbst.

In dieser neuen Sicht nimmt sich der aus der ursprünglich nichtadeligen Familie Hunyadi stammende König Matthias Corvinus — der Name verweist auf das Wappentier, den Raben — als Initiator eines Kulturprogramms für den Donauraum aus. Im Vergleich zu früheren Epochen wirkt die Welt heller, klarer, wissenschaftlicher.

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