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Im Zeichen von Bartok und Ravel

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Im Vorjahr erzielten die „IMF LUZERN“ mit dem Motto „Die Zweite Wiener Schule“ einen entscheidenden Durchbruch für das Oeuvre von Schönberg, Berg und Webern in der Schweiz. Das befürchtete Defizit war erstaunlich gering: nur 30.000 Franken Abgang waren zu verzeichnen. Heuer erhoffen sich die Veranstalter sogar einen Überschuß. Denn sie wählten Hauptwerke von Bela Bartdk und Maurice Ravel zu Fixpunkten, weil die Musikwelt in diesem Jahr den 30. Todestag des ungarischen Komponisten und den 100. Geburtstag des französischen Impressionisten feiert.

Insgesamt mehr als ein Dutzend Hauptwerke von Bartök hatte Rudolf Baumgartner, der künstlerische Direktor der IMF, auf das Programm des 37. Luzerner Musikfestivals gesetzt. Bartök hat mit Ravel kaum etwas gemeinsam. Immerhin waren beide besonders eigenständige schöpferische Persönlichkeiten, die aber nicht „schulebildend“ wirkten.

Das alljährlich aus den besten Schweizer Musikern formierte Schweizerische Festspielorchester bestritt auch heuer die ersten vier Sinfoniekonzerte. Mit drei selten aufgeführten Werken leitete

Jänos Ferencsik den Reigen der 2 Orchesterkonzerte ein: Auf Bar-töks „Tanz-Suite“ folgte Beethovens „Achte“ und als Ausklang die „Ungarische Krönungsmesse“ von Franz Liszt, die der Komponist als sogenannte „Missa coronationalis“ zur Feier der Krönung des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. (als König von Ungarn) und der Königin Elisabeth geschrieben hat; die Uraufführung fand am 8. Juni 1867 in Budapest statt.

Das 2, Sinfoniekonzert leitete Silvio Varvisio: Zwischen Bartöks Vier Orchesterstücken op. 12 und der Tondichtung „Also sprach Zarathu-stra“ von Richard Strauss wirkte Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert (KV 482) in der Interpretation von Paul Badura-Skoda als erfrischende Auflockerung. Höhepunkt des 3. Konzerts (unter Moshe Atzmon) war die Wiedergabe des Violinkonzertes von Brahms durch den 73jährigen Gino Francescatti. Daneben stellten Bartöks Divertimento für Streichorchester und Havels gespenstische Walzer-Apotheose „La Valse“ quasi nur musikalische „Randbemerkungen“ dar. Mit dem 1. Klavierkonzert von Brahms (Solist: Rudolf Firku-sny), mit Bartöks „Deux Images“ op. 10 und Strawinskys „Feuervo-gel“-Suite verabschiedete sich schließlich das Schweizerische Festspielorchester unter dem temperamentvollen Riccardo Muti.

Besinnlicher Höhepunkt einer Matinee der Luzerner Vokalsolisten und der Festival Strings Lucerne unter Michel Corboz war die erste öffentliche Aufführung des letzten Werkes von Frank Martin, die Kammerkan-date „Et la Vie l'emporta“ mit den drei Abschnitten „Imploration“, „Combat“ und „Offrande“.

Vier Absagen machten der IMF-Direktion einiges zu schaffen: Peter Schreier fiel krankheitshalber in letzter Minute als Solist und Leiter der Festival Strings Lucerne aus; Maurizio Pollini mußte wegen seines Autounfalles von dem italo-amerika-nischen Pianisten Michael Ponti vertreten werden, der sich weit mehr als technisch brillanter denn als musikalisch tiefschürfender Künstler erwies; Zubin Mehta übernahm an Stelle von Michael Tilson Thomas, der vor einem Jahr in Wien mit dem Jeunesse-Weltorchester debütiert hatte, auch das 8. Sinfoniekonzert neben dem 7., in dem sich die Altistin Yvonne Minton mit Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“ besonders auszeichnete, während Strawinskys „Sacre du Printemps“ zu einer wüsten Orgie des Israel Philharmonie Orchestra ausartete.

Weitere prominente Gastorchester

— mit je zwei Konzerten — waren: das Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden (Chefdirigent: Ernest Bour), das unter anderem der 14jährigen amerikanischen Geigerin Dylana Jenson zu einem eindrucks- ' vollen Luzern-Debüt mit dem Violinkonzert von Felix Mendelssohn verhalf; ferner das stets mit besonderer Begeisterung aufgenommene Berliner Philharmonische Orchester unter Herbert von Karajan und zuletzt das New York Philharmonie Orchestra, mit dem Pierre Boulez sein lange und spannungsvoll erwartetes Luzerner Debüt als Dirigent in der schönen Stadt am Vierwaldstätter See beging.

Recitals mit bedeutenden Vokal-und Instrumentalsolisten — wie Edith Mathis und Gerhard Souzay, Yehudi Menuhin und Julian Bream

— rundeten das breitgefächerte IMF-Programm ebenso ab wie Paul Sachers traditionsreiche Serenaden, weiters Orgel- und Chorkonzerte, Quartett- und Rezitationsabende. Das Musica-Nova-Konzert war diesmal ungarischer Kammermusik von gemässigt modernen Zeitgenossen gewidmet, und in den „Perspektiven“ wurde Witold Lutoslawski dem Festival-Publikum vorgestellt. Die letzte Panne der 37. IMF bestand darin, daß Nikita Magaloff für Claudio Arrau einspringen mußte, der einen leichten Unfall hatte.

Am Rande erwähnt seien noch zwei ergänzende Ausstellungen: in der „Kornschütte“ des Alten Rathauses waren Dokumente zum Leben und Schaffen von Bela Bartök und Maurice Ravel zur Schau gestellt, und im Kunsthaus, in dessen Konzertsaal die meisten IMF-Veranstaltungen stattfinden, war eine Sommerausstellung „Ungarische Kunst dieses Jahrhunderts“ zu sehen, die allerdings ziemlich arge Lücken aufwies.

'Trotz mancher Zwischenfälle und Absagen wurde auch diesmal das bedeutendste Schweizer Musikfest ein voller Erfolg. 1976 werden die Internationalen Musikfestwochen Luzern aus Anlaß des 100. Geburtstages von Manuel de Falla im Zeichen Spanischer Musik stehen. Damit bleiben die IMF auch weiterhin ihrem Motto getreu, ein — Motto zu haben...

EX LIBRIS Am kommenden Samstag, dem 27. September, werden in ö 1 von 16.05 bis 17 Uhr folgende Bücher besprochen: Thomas Bernhard: Die Ursache; Wolfgang Kraus: Kultur und Macht; Jahrbuch des Wiener Goethevereins 1974; Bertold Brecht: Tagebücher 1920—1922; H. G. Wunderlich: Die Steinzeit ist noch nicht zu Ende; Roald Dahl: Kuschelmuschel; Günther Rühle: Zeit und Thealer 1913—1945; Jan Rott: Gott-Essen. Außerdem ein Verlegergespräch mit Frau Kain vom Verlag Jugend & Volk (Änderungen vorbehalten).

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