6866539-1978_05_18.jpg
Digital In Arbeit

Im Zweifelsfall hat Grun Vorrang!

Werbung
Werbung
Werbung

Die Vorliebe der Stadtplaner für Bestandsaufnahmen hat einen Grund: Es ist für gewöhnlich die einzige Art, in der sie sich konsistent äußern können, ohne Widerspruch herauszufordern. Die Planer in Wien haben noch einen zweiten: Der Zustand der Stadt ist im großen betrachtet weit erfreuücher als der der meisten vergleichbaren Städte im Westen (vom Rest der Welt gar nicht zu reden).

Das heißt nicht, daß dies auf planvolles Handeln zurückzuführen ist und weiterhin so bleiben wird. Aber selbst planvolles Bemühen ehrenwerter Männer kann ins Auge gehen, wenn man die „teuflischen Regelkreise“ nicht durchschaut, welche in das dynamische System Stadt eingebaut sind. Dafür gibt es ein Beispiel: Seit Kaiser Karl bemühte man sich in einzelnen klar motivierten Schritten, die Ausbeutung der Leute via Wohnung zu-mildern. Das Gesamtergebnis ist von grotesker Irrationalität. Statistisch betrachtet steht die Miete, welche die Wiener für ihre Wohnung bezahlen, in keinem Verhältnis zur Wohnquaütät oder zur Mietzahlungsfähigkeit. Sie steht in überhaupt keinem Verhältnis zu irgendwas. Die Verteilung der Mietpreise sieht aus, als ob Lueger und Seitz sie in einem Kaffeehaus erwürfelt hätten. Aber jetzt kommt der Clou. Gerade dieses Durcheinander hat die soziale Entmischung gebremst, welche die Stadt von einer Urbanen Konzentration zu einer Summe einzelner Gettos macht.

Nach dieser Einleitung ist hoffentlich klar, mit welcher Vorsicht man heute an die Aufgabe der Stadtentwicklungsplanung heranzugehen hat.

Wer behauptet, man könne gleichzeitig der Stadterneuerung Vorrang geben, das durchschnittliche Mietenniveau halten und die Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft sichern, ist ein Schwätzer. Die Kosten der Sanierung von Häusern und Wohnungen werden - abgeschwächt durch Förderungen -auf die Mieten überwälzt. Würde ein großmaßstäbüches Sanierungskonzept verfolgt und die Neubautätigkeit eingeschränkt, müßten die Mieter zusätzlich auch noch für die Umstellungsschwierigkeiten einer Bauindustrie zahlen, welche nach jahrzehntelangen Rationalisierungsbemühungen gerade die 08/15-Bauten auf der grünen Wiese einigermaßen effizient herzustellen vermag. Ganz zu schweigen von den Grundstückspreisen, die bei Marktbeschränkung spekulativ steigen würden, was ebenfalls auf die Mieten durchschlägt. Stadterneuerung in Form von Sanierung der alten Substanz bringt also eine Erhöhung des Mietenniveaus (und Schwierigkeiten mit den Arbeitsplätzen in der Bauindustrie).

Nicht viel anders verhält es sich bei Stadterneuerung durch Abbruch und Neubau. Die Baumaschinerie könnte dann zwar innerstädtische Kagrans errichten, die Mieter träfen aber dann andere „unrentierüche Kosten“, diejenigen für die Freimachung und Beseitigung der alten Substanz. Zusätzlich wird man ihnen als Grundanteil den teuren innerstädtischen Boden, auf dem die neuen Häuser stehen, zu dem durch die Erneuerung erhöhten Preis verkaufen. Ergibt per Saldo ebenfalls eine Steigerung des Wohnungsaufwandes.

Dieser Argumentation wird sofort eine Flut von Einwänden und Erklärungen auf dem Fuße folgen:

• Der freie Wohnungsmarkt würde das alles ins rechte Lot bringen. Antwort: Stimmt - aber nur für Luxuswohnungen. Der frei Markt der Gastarbeiterwohnungen hat bewiesen, daß die Sache in den unteren Qualitätska-tegorien nicht funktioniert.

• Das Mietenniveau in Wien verträgt eine Erhöhung. Antwort: Stimmt - im statistischen Durchschnitt. Es muß jedoch nach Qualität und Mietzahlungsfähigkeit differenziert werden. Als sozialpolitisches Ziel könnte gelten: Der Wohnungsaufwand ist abhängig zu machen von der Wohnungsqualität unter der Randbedingung, daß die unteren Sozialschichten bei ausreichender Qualität nicht über ihre Mietzah-lungsfahigkeit hinaus beansprucht werden. Bisher liegen keine Beweise vor, daß Erneuerungsprojekte dieses Ziel gefördert haben. • Stadterneuerung ist notwendig und verlangt Opfer. Wer in einer schöneren Stadt wohnen will, muß dafür entsprechend mehr zahlen. Antwort: Stimmt - Aber wer sagt, daß „Stadterneuerung“ die Stadt schöner macht?

Die Wohnungen werden besser. Da aber „Stadterneuerung“ derzeit zwangsläufig heißen muß „hohe Häuser statt niedriger Häuser“, kommt dabei eine Verschlechterung der Wohnumwelt heraus: schlechtere Belichtung und Besonnung, asphaltierte Parkplätze statt grüner Hinterhöfe, mehr Verkehr und weniger Grünflächen je Einwohner. Dort, wo Gründerzeithäuser bereits derart massiert sind, daß man nicht mehr weiter verdichten kann, geschieht folgerichtig überhaupt nichts.

• Der Wohnungsbedarf ist quantitativ ohnehin schon befriedigt. Alles, was am Stadtrand gebaut wird, ist Verschwendung. Antwort: Stimmt -Wenn irgendwer imstande wäre, alle Wohnungen, einschheßlich der 70.000 leerstehenden, unter allen Wienern gerecht aufzuteilen, könnten wir die Neubautätigkeit weitgehend reduzieren. Da wegen der extrem kleinen Wohnungen häufig Uberbelagsverhältnisse vorkommen, ist deren Beseitigung durch Wohnungsbau heute ein vorrangiges Ziel. (Uberbelag bewirkt seelische Verkrüppelung, WC am Gang nur kalte Füße.)

• Neubautätigkeit am Stadtrand ist der Feind der Sanierung in den Altstadtgebieten. Jede Neubauwohnung am Stadtrand verhindert die Sanierung einer Altbauwohnung, in die ansonsten investiert worden wäre. Antwort: Stimmt - Aber wer ist imstande und traut sich, Menschenschicksale mit der Auflage zur Erhaltung alten Gemäuers zu verknüpfen?

• Stadterneuerung ist vom Standpunkt einer stadtwirtschaftlichen Ge-samtbüanz ökonomischer als Stadterweiterung. Antwort: Stimmt - Allerdings - wir können es nicht exakt belegen. Dies ist eine Folge davon, daß es in unserem Gesellschaftssystem die Stadt als Wirtschaftseinheit nicht gibt und darum auch niemand interessiert ist, in dieser Form zu bilanzieren.

Man kann dieses Thema nicht abschließen, ohne auf eine dramatische Zuspitzung des Sanierungsproblems in den nächsten 20 Jahren hinzuweisen. Erstens kommt mit etwa 100-jähriger Phasenverschiebung als Echoeffekt auf den gründerzeitlichen Massenwohnungsbau ein „Sanierungsberg“ auf uns zu. Zweitens wird diese Entwicklung von einer Sterbewelle in den Altbaugebieten in den achtziger Jahren überlagert werden - infolge der Segregation, welche eben die Betagten als Restbevölkerung in den abgewohnten Vierteln zurückließ.

Somit werden diese Viertel für Veränderungen disponibel, das heißt für die Langfristspekulation interessant. Banken, Versicherungen, Erneuerungsgesellschaften, Baufirmen und die Gemeinde kaufen sich auch schon ein. Einzelne Kahlschlagsanierungen kommen bestimmt.

Vorläufig ist noch über allen Wipfeln Ruh! Daß dem derzeit mit 71 Milliarden äußerst vorsichtig geschätzten Sanierungsbedarf eine jährliche Sanierungsleistung von bestenfalls 1 Milliarde gegenübersteht, wissen nur die Speziaüsten. Die Polarisierung des Wohnungsbestandes in besonders gute und besonders schlechte Wohnungen schreitet indessen fort. Mit Notwendigkeit folgt daraus die Ver-slummung einzelner Stadtteile. Jeder, der sich mit dem Problem beschäftigt hat, kann auf einem Stadtplan von Wien die Zonen angeben, in denen mit Slumbildungen zu rechnen ist. Nur das Ausmaß und der zeitliche Ablauf des Verfalls sind strittig. Vereinfachend kann man sagen, daß beides vom Wirtschaftswachstum abhängig ist.

Wer nicht will, daß sich die Erneuerung ausschließlich nach Rentabilitätsgesichtspunkten richtet, wird inständig auf einen Erfolg im Planquadrat und in Ottakring hoffen. Sollte sich dort aber erweisen, daß die Betroffenen die Sanierung gar nicht wollen, ist auch dies als Votum ernstzunehmen. Der Erfolg einer Sanierung ist schließüch generell daran zu messen, was aus den Menschen wird, um deren triste Wohnverhältnisse sich die ganze Geschichte angeblich dreht.

Während für den Politiker mit dem Problem „öffentlicher Verkehr - Autoverkehr“ Interessensphären berührt werden, denken die Planer in Funktions- und Raumbereichen:

Im Stadtkern ist der Autoverkehr bereits derart absurd geworden, daß er langfristig durch öffentlichen Verkehr ersetzt werden muß. Dabei geht es gar nicht mehr darum, den Autofahrern ihren Wagen zu vermiesen. Eine Flotte von Citybussen, die auf einem dichten Netz innerhalb des Gürtels in 3-Minuten-Intervallen verkehren, sowie eine darauf klug abgestimmte Parkraum- und Tarifpolitik wäre verführerisch genug.

In einer Mittelzone zwischen Stadtkern und Stadtrand ist das koordinierte Nebeneinander von Autos und öffentlichem Verkehr bis auf weiteres eine Notwendigkeit. Hier sind auch Bündelungen des Autoverkehrs fallweise denkbar und sinnvoll, wenn dadurch Wohn- und Erholungsgebiete vom Durchzugsverkehr entlastet werden, was durch wirksame Sperren oder Hindernisse sicherzustellen ist, und wenn die Verödungserscheinungen entlang der Bündelungstrassen durch Schutzmaßnahmen gemildert werden.

Am Stadtrand wird der öffentliche Verkehr bis auf weiteres nicht das bieten können, was das Auto kann. In der ganzen Stadt ist vorzusorgen, daß auch die Nichtmötorisierten zu ihrem Recht kommen: Förderung des Fußgänger-, Fahrrad- und Taxiverkehrs! Die U-Bahn wird eine Verbesserung bringen. Aber sie wird weithin in ihrer Wirkung überschätzt. Nach Fertigstellung der U1 werden nur 10 bis 15 Prozent der Wiener in ihrem Einzugsbereich wohnen. Der Prozentsatz derer, die sie regelmäßig für den Weg zur Arbeit benützen, wird noch viel geringer sein. Nach wie vor bleibt die Straßenbahn das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Aus Boston hört man interessanterweise, daß dort das bestehende Netz erweitert werden soll.

Sollen wir Stadtautobahnen bauen?

Die angefangenen Teilstücke wird man miteinander verbinden. Im übrigen ist aber bereits weithin erkannt worden, daß es eine Spirale „Verkehrsflächenangebot-Verkehr“ gibt, ähnlich der „Lohn-Preis“-Spirale. Daher spricht der Gewerkschaftsbund heute sinnvollerweise nicht mehr von einer Lohnerhöhung an sich, sondern von einer Erhöhung des „Reallohnes“.

Solange nicht ähnliche Netto-Nut-zen-Berechnungen für den städtischen Straßenbau vorliegen, sollte man ihn auf Sparflamme betreiben. Wenn sie aber vorliegen - das heißt, wenn die Lobbyisten der Bau- und Au-tobranche sie nicht verhindern oder umbiegen, könnte man sich vorstellen, daß die wilde Pistenbetoniererei ein rasches Ende fände.

Was Wien wirklich braucht, sind Erholungsflächen in den dichtbebauten Gebieten. Seit Jahrzehnten ist nichts Neues geschaffen worden, eher hat man noch die alten Freiflächen zugeklotzt. Beispiel Schmelz. Die Baumpflanzaktionen und die Vorstellungen von einem „Rennweg-Park“ sind ein Hoffnungsschimmer.

In dieser Situation kann der Gedanke von einer innerstädtischen WIG gar nicht intensiv und früh genug propagiert werden. Zentral gelegene Kasernengrundstücke wären der Angelpunkt für die Schaffung einer Kette von Parks. Den Tiefbauern muß klargemacht werden, daß sie das Chaos unter der Straßenoberfläche zu ordnen haben, um Platz für Baum wurzeln zu schaffen. Alte Straßen könnten schrittweise in Alleen umgewandelt werden, und alle neuen könnten von vornherein als solche angelegt sein. Das Ganze gehört in ein Netzwerk von „Grünverbindungen“ eingebettet, wie Heiner Fürst sie seit Jahren vorschlägt. Fußgänger und Radfahrer haben darin Vorrang.

Damit ist schon ein wichtiger Grundsatz eines Stadtgestaltungskonzepts angedeutet: Im Zweifelsfall hat Grün stets Vorrang vor jedem anderen Gestaltungsmaterial.

Es ist überhaupt verhängnisvoll, unter Hinweis auf den Satz „Gusto und Watschen sind verschieden“ die gröbsten Stadtverschandelungen zu tolerieren. Die Philosophie, die hinter diesem Ausspruch steht, ist falsch. Es gibt sehr wohl auch überindividuellen Konsens in der Beurteilung ästhetischer Eindrücke. Richard Neutra hat dieses Phänomen auf das unbewußte Erkennen physiologischer Vorteile zurückgeführt. Im wesentlichen hat er recht. Aber auch das psychische Wohlbefinden spielt eine Rolle.

Ein Gestaltungskonzept, das sich am Wohlbefinden der Menschen als oberste Maxime orientiert, kann leichter zu präzisen Aussagen kommen, als wenn wir Kunst und Kultur ins Spiel bringen. Die Künstler brauchen wir ohnedies zusätzlich.

Es ist kaum anzunehmen, daß sie die Chance, nach op-art, pop-art und land-art endlich einmal city-art zu betreiben, ausschlagen werden. Wir müssen city-art von ihnen konkret fordern, weil wir sie dringend brauchen. Und wir werden das erste Gestammel mit viel Verständnis honorieren müssen, um die Entwicklung einer Ausdruckssprache zu fördern, die schließlich von vielen verstanden und gesprochen werden soll.

Formal-organisatorisch ist die Wiener Stadtplanung eine Geschäftsgruppe wie jede andere. In Wirklichkeit ist sie der Wirtschafts- und Parteihierarchie nachgeordnet. Um nicht zu sagen ihr Watschenmann.

Das ist untragbar. Die Stadtplanung hat eine viel zu wichtige Funktion. In erster Linie hat sie heute aufzuzeigen, welche politischen Ziele nicht verwirklicht werden können, welche nur mit unrealistisch hohem Aufwand zu verwirklichen sind und welche Teilziele einander in der Realisierung aufheben. Das wichtigste ist vielleicht, der Öffentlichkeit klarzumachen, daß so manches innerhalb einer Wahlperiode erreichbar ist, was langfristig gesehen als Bumerang wirkt.

Damit ist eine Position skizziert, wie sie beispielsweise der Club of Rome im Hinblick auf die Zukunftsaussichten der Menschheit einnimmt.

Höchstes wissenschaftliches Niveau und rücksichtslose Ehrlichkeit wären die Voraussetzungen dafür, daß die Stadtplanung ähnliches für das • städtische Gemeinwesen leisten kann.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung