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Immaculata anno 1984

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Die heftige Auseinandersetzung über den 8. Dezember ist ein Anlaß, auf die - in der Öffentlichkeit leider kaum bekannte -Bedeutung dieses Marienfestes hinzuweisen.

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Die heftige Auseinandersetzung über den 8. Dezember ist ein Anlaß, auf die - in der Öffentlichkeit leider kaum bekannte -Bedeutung dieses Marienfestes hinzuweisen.

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„O Jungfrau, rein und makellos, / o Mutter, die uns Gott gebar, / Dich hat vor allem Anbeginn / des Vaters Liebe auserwählt, / daß Du, vor jeder Schuld bewahrt, / der Welt den neuen Adam schenkst!"

Welten trennen uns -1984 - von diesen hymnisch entzückten Zeilen aus dem „Stundenbuch" (Brevier) zum 8. Dezember, dem „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria". Ein Denken und Kalkulieren, das unter dem Diktat von Kosten-Nutzen steht, kommt hier nicht mit. Dann kommen noch die kirchlich engagierten Anwälte des 8. Dezembers, die nur um das Festhalten am Festtag, sprich: Arbeits-frei-Tag, besorgt sind und der staunenden Öffentlichkeit vom Sinn dieses Festes wenig verständlich machen können.

Ergebnis aus Umfragen (vom Verfasser durchgeführt!): Unbefleckte Empfängnis? Ach ja, jungfräulich (darum meist nur mehr „Empfängnis Maria" genannt), ohne Mann, ohne Lust und Liebe... Hat sie (Maria) oder wurde sie empfangen? (Schließlich sind wir ja vor Weihnachten; und in dieser fatalen Kombination liegt natürlich die irreführende Weichenstellung: Wer denkt schon an den 8. September?) Oder hat das Fest mit Lourdes zu tun? „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis .. (1858)?

Zur Erinnerung: Heuer sind es 130 Jahre her, daß Papst Pius IX. am 8. Dezember 1854 in der Bulle „Ineffabilis Deus" (Der unaussprechliche Gott) die Lehre von der „Unbefleckten Empfängnis" verkündete. „Die Lehre, daß die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben" (zit. nach Neuner-Roos/ 479).

130 Jahre danach stellt sich nicht nur unter ökumenischem, sondern tatsächlich auch unter ökonomischem Druck die Frage nach dem Stellenwert dieser Glaubenslehre. Handelt es sich nur um das Loblied auf ein „Privileg" der Gottesmutter oder auch um unser Fest? Oder im Streit um den 8. Dezember: Geht es um ihr Recht oder auch um unser Recht?

Die Antwort lautet knapp und einfach: Es geht um gar kein Recht, um keinen Vertrag. Das schaut alles ökonomisch nur so aus. Es geht um Gnade, um Geschenk, um Erwählung. Es geht um Gottes Handeln am Menschen, an jedem Menschen.

Das Geheimnis der Erwählung der Mutter des Herrn wird gefeiert. Ohne Mutter kein Sohn. Ohne Maria kein Jesus, der Christus. Ohne Ihn auch keine Christen, keine Gerufenen, kein neuer Mensch. Erwählt Gott Maria, erwählt er auch uns. Grund genug zum Feiern! Als Lesung steht im „Stundenbuch" das herrliche paulinische Loblied auf die Erwählung: „Alle, die Gott im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, der verherrlichten Gestalt seines Sohnes nachgebildet zu werden. Die aber, die er vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, hat er auch gerecht gemacht" (Rom 8,29.30).

Wie sollte er Maria als Messiasmutter nicht „in einzigartiger Weise" erwählt, berufen, gerecht gemacht haben? Die Tradition läßt seit dem 5. Jahrhundert diese Erkenntnis immer heller aufstrahlen (besonders nach dem Konzil von Ephesos). Ende des 7. Jh.s entsteht im Osten ein Fest der „Empfängnis Annas" (der Mutter Maria: Anna hat Maria empfangen), fand Mitte des 9. Jh.s in Süditalien Eingang, verbreitete sich über England und Frankreich, wenn sich die Tradition auch immer wieder gegen Einwände formaler Art (Mangel an positiver Bezeugung in der Schrift) und sachlicher Art (die allgemeine Er-löstheit aller Menschen, auch Maria!) zur Wehr zu setzen hatte.

Und dies bis heute. Daher auch keine Ubereinstimmung mit den Kirchen der Reformation. Es gelang offenbar nicht, die Verehrung der Unbefleckten in ihrer Freiheit von aller Sünde als Lobpreis der herrlichen Gnade darzustellen.

Es geht des weiteren um das Freisein von Schuld und Sünde. Auch wir sollen zur vollen Erlösung gelangen, wenn wir uns auch täglich neu und anstrengend genug dem sündigen Verhängnis der Welt widersetzen müssen.

Blieb Maria das erspart? Man könnte grob fragen: Was hatte sie schon von ihrer Sündelosigkeit, was blieb ihr denn erspart? Eigentlich nichts. Für den Nutzenrechner, der über seine Buchhalter-Theologie nicht hinaus kann, ist da nichts zu entdecken. Die Frage lautet nämlich anders: Was zeigt sich für uns? Heißt „Freisein von Sünde" nicht umso mehr „Freisein für andere"?

Es geht um Erbsünde. Das ist .jene Unheilssituation, in die jeder Mensch aufgrund seiner mitmenschlichen Verflechtung hineingeboren wird... und die er in seiner eigenen Freiheit persönlich als die seine übernimmt" (W. Kasper). Wie immer das Geheimnis des Bösen gedeutet werden kann: Durch Christus ist der Teufelskreis des sündigen Erbes aufgebrochen, und Maria — nach katholischem Glauben — als erste Vollerlöste in die Situation des Heiles gestellt. Ihre Empfängnis, ihr Eintritt in die menschliche Existenz ist der Auf-bruch der Unfreiheit und Einbruch der Freiheit.

Befreiungstheologie - Theologie der Befreiung: Läßt sich von ihr mehr dazu sagen? Läßt sich zumindest aus einem neuen theologischen „Gefühl" für Freiheit durch Erlösung eine neue Annäherung finden — auch über die Grenzen der Kirchen hinweg? Eine neue Einsicht in das „Geheimnis der Gnade", die freimacht zum Dienst, vermittelt durch Jesus und seine Mutter. Es ließe sich lange weiterdenken, an die Rolle der Frau, der Mutter, an das Leben vom Augenblick der Empfängnis an...

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Universität Graz

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