6808332-1972_20_04.jpg
Digital In Arbeit

„Immer eine schlechte Presse“

Werbung
Werbung
Werbung

Der diesjährige Paneuropa-Kon-greß, der zur Erinnerung an die Gründung dieser Bewegung vor 50 Jahren in Wien wieder in dieser Stadt abgehalten wurde, hatte einen unmittelbaren Erfolg: Im Sinne der Brüderlichkeit, zu welcher der Präsident der Paneuropa-Bewegung, Graf Coudenhove-Kalergi, die Völker Europas aufgerufen hatte, einer Brüderlichkeit, die sich der Gleichheit Und Freiheit zugesellen müsse, haben sich bei der Kundgebung vom 4. Mai der österreichische Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky und Doktor Otto Habsburg, zwei Österreicher, denen die Stärkung Europas besonders am Herzen liegt, die Hände gereicht. Diese Geste soll nicht überschätzt, aber auch nicht unterspielt werden. Mit dieser Geste wurde die Habsburger-Hysterie der österreichischen ^Sozialisten, manchmal auch Habsburger-Kannibalismus genannt, endgültig begraben. Eine Entwicklung, die längst fällig war, wie etwa die Einführung des Frauenstimmrechtes in der Schweiz.

Die kleine, Szene vom diesjährigen Paneuropa-Kongreß fällt zeitlich fast zusammen mit einem Ereignis, das ebenfalls nicht vergessen werden soll: mit dem 80. Geburtstag der letzten Kaiserin von Österreich und letzten Königin von Ungarn und Böhmen am 9. Mai.

Die Prinzessin von Bourbon-Parma ahnte wohl nicht, als sie im Jahre 1911 den jungen Erzherzog Karl heiratete, daß ihr Leben, äußerlich betrachtet, dereinst ein einziger Leidensweg sein würde. Auf die drei ersten ruhigen Jahre der Ehe folgten die Kriegsjahre von 1914 bis 1916, in denen Erzherzog Karl sich bereits als Thronfolger zu bewähren hatte. Es folgten die Jahre von 1916 bis 1918, in denen Karl als Kaiser und König herrschte, Jahre des Leides und der Sorgen um den Bestand der Monarchie, angefüllt mit verzweifelten Versuchen, das Donaureich vor dem Untergang zu retten und die Menschheit vom Leid des Krieges zu befreien. Es folgten die Jahre der Verbannung und der frühe Verlust des Gatten, der am 1. April 1922 in noch jungen Jahren den seelischen und körperlichen Strapazen erlag. Es folgten Jahre in Spanien und Belgien, die der Erziehung ihrer großen Kinderschar gewidmet waren. Es folgte die Flucht vor den NS-Truppen und die Übersiedlung nach Amerika, schließlich wieder die Rückkehr nach Europa und der Lebensabend in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung, nahe der Heimat, in der Schweiz.

Ein Leben, das fast immer noch zusätzlich belastet war von der drückenden Enge der materiellen

Verhältnisse. Ein Leben, wie es viele Millionen von Frauen in Europa während der letzten 50 Jahre durchleiden mußten.

Aber die letzte Kaiserin von Österreich hat ihr Schicksal mit beispielhaftem Heroismus getragen.

Während die heutige Welt widerhallt von den Skandalgeschichten fürstlicher oder neureicher Playboys, hat sie ihre acht Kinder so erzogen, daß sie nicht nur alle auch im Beruf ihren Mann stellen konnten und imstande waren, sich durch ihre Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern daß auch niemals das leiseste Gerücht einer Skandalgeschichte über sie auftauchte. Obwohl die Heimat sie nicht gut behandelte, hat die letzte Kaiserin zeitlebens alles getan, um ebendieser Heimat zu helfen. Nach dem zweiten Weltkrieg sandte sie ganze Schiffsladungen von Lebensmitteln und Kleidern, die sie in den USA gesammelt, ja zusammengebettelt hatte, nach Österreich. Niemals auch hat man aus ihrem Mund ein Wort der Abneigung oder des Hasses gehört, niemals hat man aus ihrem Mund ein Wort der Klage über ihr Schicksal vernommen.

Im Bewußtsein des Österreichers sind nur drei Herrscherinnen präsent: Kaiserin Maria Theresia, Kaiserin Elisabeth und Kaiserin Zita. Von allen anderen, von so vielen Herrscherinnen, weiß er nicht einmal den Namen. Maria Theresia gilt als die große Mutter des Vaterlandes, die heute einmütig und von allen bewundert wird. Kaiserin Elisabeth besitzt eine unbeschreibliche Popularität. Dabei war gerade diese Kaiserin eine schlechte Gattin ihres Mannes, eine schlechte Mutter ihrer Kinder und eine zweifelhafte Herrscherin ihrer Völker.

Kaiserin Zita hatte ihr Leben lang eine schlechte Presse, eine noch schlechtere als Kaiser Karl. Dabei war sie eine großartige Frau, eine großartige Mutter und eine Herrscherin, die sich für die Tnteressen aller ihrer Völker aufopferte. Aber die deutschnationale Propaganda machte aus ihr, obwohl sie einer französischen Familie entstammte, die „Katzelmacherin“ (welch ein stumpfsinniges Wort), die es auf die Zerstörung der Monarchie abgesehen habe — wohl die ärgste Absurdität, die je erdacht wurde. Alle Militärs, und hier besonders die Deutschen, die noch im April 1918 vom „Siegfrieden“ träumten, waren gegen sie, weil sie, wie der Kaiser, nicht an den Sieg der Mittelmächte glaubte und überzeugt war, daß nur ein rascher Friede die Monarchie noch retten und die Völker vor Unheil bewahren könne.

Sie hat die Last aller dieser Gerüchte und Verleumdungen getragen, ohne zu klagen. Ein menschliches Vorbild für viele Millionen von Frauen, deren Weg in dieser Zeit ebenfalls nichts anderes war als ein Kreuzweg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung