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Digital In Arbeit

Immer nur den Zwängen gehorcht

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Über keinen Berufsstand sind binnen weniger Jahrzehnte so viele „Wertewandel” hereingebrochen wie über die Bauern. Eine kleine Gruppe droht echt überfordert zu werden.

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Über keinen Berufsstand sind binnen weniger Jahrzehnte so viele „Wertewandel” hereingebrochen wie über die Bauern. Eine kleine Gruppe droht echt überfordert zu werden.

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Alles spricht vom „Wertewandel”; in den literarischen Äußerungen ist er eindeutig schon da. Die reale Symptomatik ist dagegen nicht so überzeugend: „Hainburg” in Ehren, aber wo zeichnet sich eine Autoverzichtsbereitschaft, ja nur eine allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkung im

Namen des Waldsterbens ab? „An ihren Taten werdet ihr sie erkennen ...”

Werte, Lebensziele ändern sich, wenn frühere Werte und Lebensziele ihre Erfüllung (oder Enttäuschung) gefunden und damit an Attraktivität verloren haben. Die inzwischen in einem Teil der Bevölkerung empfundene materielle Sättigung macht das Herz frei für „höhere” Werte, wie intakte Umwelt, qualifizierte menschliche Beziehungen, (mehr) immaterielle Lebensqualität...

Die Bauern gehören in ihrer großen Mehrheit nicht zum materiell gesättigten Bevölkerungs-, teil, für den Einkommens- und Konsumziele daher keine Anziehungskraft mehr haben; im Gegenteil. Damit würde theoretisch eine entscheidende Voraussetzung für einen Wertewandel wegfallen: der Bauer bleibt Ökonom, muß es sogar bleiben.

Freilich vereinfacht diese Argumentation, läßt Wesentliches ungesagt. Was allerdings zunächst nicht Ausdruck eines Wer-te„wandels”, sondern im Gegenteil charakteristisch für das traditionelle bäuerliche Wertsystem ist: Der echte Bauer ist nicht in dem absoluten Sinne Ökonom, daß seine bäuerliche Existenz als solche für ihn eine Frage des Rechenstiftes wäre. Vielmehr denkt

„Ein wirtschaftlich gesunder Hof mit zerrütteter Familie ist unvorstellbar.” er ökonomisch, um diese in ihm auch psychisch tief verankerte Existenzform nachhaltig zu sichern. Nachhaltigkeit — Gewährleistung der Produktivität in der Dauer — ist ein bäuerlicher Zentralwert, der sich gleichermaßen auf den Hof als wirtschaftliche Einheit, auf die Famüie als soziale Einheit und auf die natürlichen Produktionsgrundlagen bezieht. Ein wirtschaftlich gesunder Hof mit einer zerrütteten Familie auf krankem Boden ist unvorstellbar, ein Widerspruch in sich selbst.

Einen Wert zu „besitzen” und ihn bewußt zu realisieren, sind indessen zweierlei Dinge. Was nun das Verhältnis des wirtschaftenden Menschen zur Umwelt anlangt - und darauf soll sich der Begriff „Wertewandel” im vorliegenden Zusammenhang wohl in erster Linie beziehen -, ist ein gewisser „Bewußtseinsrückstand” insbesondere der älteren Bauerngeneration, ein angesichts von Uberschüssen und Umweltbelastungen unzeitgemäß anmutendes Verharren in „produktivisti-schem” Denken nicht ganz zu bestreiten. Das zeigte sich beispielsweise an zum Teil heftigen emotionellen Widerständen gegen die Einführung von Direktzahlungen um 1970.

Diese Feststellung enthält in meiner Sicht keinen Vorwurf aus zweierlei Gründen: Das bäuerliche Bewußtsein wurde in Jahrtausenden ständigen Nahrungsmittelmangels geprägt; erst vor etwa Jahrzehnten wurde dieser Mangel in Österreich definitiv überwunden, und in der Dritten Welt herrscht er weiterhin. Angesichts solcher stets drohender Knappheit war es keineswegs ein Zeichen grobmaterialistischer Gesinnung, sondern im Gegenteil ein Kernbereich typisch bäuerlicher Ethik, möglichst viel zu produzieren. Für den echten Bauern ist es zwar nicht intellektuell, wohl aber psychologisch ungemein schwer zu begreifen, daß reicher „Erntesegen” heute kein Segen mehr sein soll. Der Hunger in der Dritten Welt wird von vielen Landwirten bis hinauf in höchste agrarische Spitzengremien geradezu als Rechtfertigung und Hoffnung erlebt, scheint er doch die gewohnte Einstellung zur Produktion zu rechtfertigen.

Daneben ist jedoch massiver äußerer Situationsdruck und sind externe geistige Beeinflussungen des bäuerlichen Verhaltens in Rechnung zu stellen. Zunächst galt es nach 1945, eine „Produktionsschlacht” zu schlagen. Erzeugungssteigerung wurde gefordert und prämüert, die gesamte Agrarpolitik setzte auf Mehrerträge und Intensivierung. Als dann im Wirtschaftsaufschwung der sechziger Jahre die anschwellende Abwanderung zu Arbeitskräfteverknappung führte und menschliche Arbeit durch teure Maschinen ersetzt werden mußte, empfand es die Beratung zu Recht als Gebot der Stunde, den Bauern „ökonomisches Denken” zu vermitteln und den Vorrang der betriebswirtschaftlichen Kalkulation vor allen anderen Gesichtspunkten in ihrem Bewußtsein zu verankern. Heute, da dies bei einem Großteil der Bauern gelungen ist, kommt - wiederum von außen — der Vorwurf, eine solche „ökonomische” Einstellung sei unverantwortlich und untragbar. Ähnlich erging es der bäuerlichen Einstellung zum Boden. Historisch gesehen, hat der Bauer seine Beziehung zum Boden stets mehr als Nutzungsrecht denn als absoluten Besitzanspruch im Sinne des ihm ursprünglich fremden römischen Rechtes empfunden. Dann drang in Zusammenhang mit erhöhter Bodenmobilität und Bodenspekulation wieder von außen her dieser absolute Bodenbesitzanspruch, der eine besondere Sozialbindung des Grundeigentümers ablehnt, auch ins Bauerntum ein. Er wurde dort zur vorherrschenden Einstellung, als man in der Raumordnung bereits wieder ein verändertes, mehr „treuhänderschaftliches” Verhältnis zum Bodenbesitz zu diskutieren beginnt...

Dieselbe paradoxe Situation, daß nämlich erst ein von außen herangetragener Wertewandel die bäuerliche Grundeinstellung und Ethik in einer Weise verändert hat, die von denselben Kreisen inzwischen als unzweckmäßig angesehen wird, zeigt sich im Wandel der bäuerlichen Einstellung zum Umwelt. Der traditionelle Bauer empfand sich nicht als „Herr der Natur”. Bei allen nötigen Eingriffen war ihm ein tiefer Respekt vor der Schöpfung eigen. Dann kam der Einfluß von außen, des außerhalb der bäuerlichen Sphäre großgewordenen technokratisch-manipulativen Zeitgeistes, vermittelt durch Ausbildung, Beratung und die Eigengesetzlichkeit von Mechanisierung und Chemisierung, und wiederum leistete der Bauer nach einigem Zögern den Nachvollzug. Jetzt ist er endlich so weit, und nun behaupten scheinbar dieselben Kreise, die ihm dieses mani-pulativ-technokratische Denken erst vermittelten, daß es nicht mehr gut sei.

Man muß sich vergegenwärtigen, was da alles binnen weniger Jahrzehnte auf einen Berufsstand zugekommen—über ihn hereingebrochen ist. Welche geistigen und emotionellen Anpassungsleistungen hier gefordert wurden und werden — und dies alles in einer Streßsituation ständigen ökonomischen Druckes, mit unzureichenden Einkommen trotz überlanger Arbeitszeit, dabei angefeindet als Subventionsjäger, als Uberschußproduzent, neuerdings als Umweltverschmutzer! Viele der heute von außen an die Landwirte herangetragenen Forderungen stehen miteinander in Widerspruch, so etwa der Ruf nach rationeller, nach billiger und nach umweltfreundlicher Produktion bei zumindest relativ sinkenden Einkommen...

Hier droht ein kleiner Berufsstand — der freilich drei Viertel unseres nutzbaren Bodens verwaltet — echt überfordert zu werden, und es ist eigentlich staunenswert, daß auf bäuerlicher

„Der Bauer sieht sich heute als Opfer von Umweltbelastungen.”

Seite nicht mehr Protest- und Trotzreaktionen festzustellen sind, sondern sich die große Mehrheit unserer Landwirte wiederum zäh und unauffällig bemüht, den neuen, von außen an sie herangetragenen Forderungen des Natur- und Umweltschutzes zu entsprechen. Wenn dabei manches noch unbefriedigend erscheint, liegt dies meiner Uberzeugung nach weniger an „Mentalitätsfehlern” als an objektiven Systemzwängen und mangelhafter öffentlicher Unterstützung. Ein Beispiel: wo die Agrarpolitik keine Alternative zur Getreide-Monokultur schafft, sieht sich der Ackerbauer außerstande, auf eine bodenfreundlichere Fruchtfolge auszuweichen, auch wenn er die Nachteüe von Getreidemonokulturen erkennt.

Das Umweltbewußtsein ist bei der Bauernschaft insgesamt keineswegs schwächer entwickelt als im Durchschnitt der Bevölkerung. Der Bauer — vor allem die jüngere, meist gut ausgebildete Generation — hat die Umweltdiskussion durchaus „mitbekommen”, leidet zum Teil sogar unmittelbar an manchen Folgen der Umweltbelastung, wie z. B. dem Waldsterben. Nur macht es eben praktisch und gefühlsmäßig einen Unterschied, ob man als Städter eine grüne Landschaft schauend durchwandert oder sie als Bauer zur täglichen Werkstatt hat. Der Bauer als Einzelner wie als Berufsstand wehrt sich mit Entschiedenheit dagegen, pauschal als „oberster Umweltverschmutzer” hingestellt zu werden, wie das derzeit vor allem in Deutschland, ansatzweise aber auch bei uns geschieht. Der Bauer sieht sich heute zweifellos in erster Linie als Opfer von Umweltbelastungen aller Art — von Schadstoffemissionen bis zur Grundinanspruchnahme —, doch ich wage die Behauptung, daß auch die Einsicht in die eigene, durchaus nicht zu verharmlosende Umweltbelastung zunimmt — vermutlich stärker, als dies in offiziellen Verlautbarungen agrarischer Institutionen zum Ausdruck kommt; auch hier kommt der Wandel am ehesten mit dem Generationswechsel.

Das erstaunlich lebhafte Praxis-Interesse für den Bio-Landbau mag hiefür ein herausragendes Symptom sein. Sicherlich spielen dabei auch wirtschaftliche Überlegungen bzw. Hoffnungen in Richtung auf Kosteneinsparung eine Rolle, doch tiefer gesehen geht es um die Wiedergewinnung einer echten bäuerlichen Identität, die mehr ist als das Umsetzen gewerblicher Produktionsmittel in Massenerzeugnisse...

Der Autor ist Referent für ländliche Soziologie an der Bundesanstalt für Agrarwirt-schaft in Wien.

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